Haftbefehl im Interview: „Es gibt bestimmt 500 Gründe, nach Syrien zu gehen – aber keinen einzigen guten“


Haftbefehl gilt eigentlich als unpolitischer Rapper. Zu Israel, dem ISIS und der Ideologie im Street-Rap hat der Sohn kurdischer Eltern trotzdem eine klare Meinung.

Rabbis mit Champagnerflaschen, Burkas mit Louis-Vuitton-Logo. Das Video zu Haftbefehls „Saudi Arabi Money Rich“ zeigt nicht nur einen von Deutschlands derzeit besten MCs auf dem Zenit seines Könnens. Es ist auch ein Statement zur rechten Zeit. Das HipHop-Jahr 2014 war geprägt von kaum verhohlenem Antisemitismus, Verschwörungsfantasien, Kokettieren mit dem Wahnsinn des ISIS – und den dazugehörigen Medien-Reflexen rund um „Terror-Rapper“. Höchste Zeit also für ein Gespräch mit dem Mann, der deutschen Straßenrap neu erfunden hat: als Kunstform.

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Musikexpress: Du hast dich immer als unpolitischer Rapper positioniert. Warum bist du jetzt, bei deinem ersten großen Major-Album, mit einem Video wie „Saudi Arabi Money Rich“ rausgekommen?

Haftbefehl: Das war die Idee meiner Produktionsfirma Easy Does It. Ursprünglich wollte ich das Video in Dubai drehen und alle Klischees durchziehen. Aber Easy Does It wollten etwas ganz anderes machen. Mit mir wurde davor darüber gesprochen. Sie haben mich gefragt, ob ich was dagegen hätte, wenn Rabbis in meinem Video sind. Aber warum sollte ich was dagegen haben? Ich habe nichts gegen Juden. Ich fand die Idee sofort cool.

Hast du negative Reaktionen aus deinem Umfeld darauf bekommen?

Direkt ins Gesicht sagt mir ja nie jemand irgendetwas. Aber bei Facebook haben sich die Leute wiederum ganz schön das Maul zerrissen.

Weil manche Leute nicht verstehen, dass jemand einen Song namens „Free Palestine“ macht und dann Rabbis in seinem Video auftauchen lässt?

Ich sehe da keinen Widerspruch. Ja, ich würde mich freuen, wenn in Israel andere Leute mit einer anderen Denkweise an die Macht kommen würden. Aber ich respektiere das Judentum, genauso wie ich den Islam, das Christentum oder irgendwelche Inder respektiere, die Kühe anbeten. (lacht) „Free Palestine“ ist fünf Jahre alt. Ich stehe zu dem Song. Davor habe ich leider auch Sachen von mir gegeben, die ich heute bereue. Aber das war nicht wirklich meine Meinung, das kam nicht von mir.

Woher kam es dann? Und woher kommt ganz allgemein dieser offensichtliche Judenhass von Leuten, die zum Beispiel den Gaza-Konflikt nicht im Ansatz durchblicken?

Du musst verstehen: Ich bin in einem Bezirk aufgewachsen, in dem alles, was nicht aus deinem unmittelbaren Umfeld kommt, automatisch schlecht ist. Alles, was nicht türkisch, arabisch oder kurdisch ist; alles, was nicht von deinen Freunden kommt, ist automatisch der Teufel. Das wird gar nicht hinterfragt. Diese Leute hassen alles, was es dort nicht gibt. Ich war genauso, und ich schäme mich heute dafür. Aber ich war 19, 20 Jahre alt. Ich habe einfach das gesagt, was alle gesagt haben. Ich respektiere alle Religionen, für mich ist das selbstverständlich. Wo ich herkomme, sehen das leider viele anders – weil sie nichts anderes kennen als ihren Block und sich deshalb nicht ihre eigene Meinung bilden können. Das ist das Problem.

Viele Kommentare gingen in die Richtung: Erst Palästina, jetzt „sogar Juden“, aber für Kurdistan setzt du dich nicht ein. Fühlst du dich unter Druck gesetzt, wegen deiner familiären Wurzeln, zu bestimmten Themen eine Meinung haben zu müssen?

Ich habe schon oft in Texten über das Thema gesprochen. Aber guck mal: Was würde ein Staat Kurdistan an den Problemen ändern? Im Endeffekt sind die Kurden in der Türkei sehr akzeptiert. Die Sprache wird an den Schulen gelehrt, keiner muss seine Kultur verstecken. Die Errichtung eines Staates Kurdistan ist als Idee natürlich was Schönes – auch wenn es ein ganz schönes Durcheinander wäre. Aber ich glaube nicht, dass es dem kurdischen Volk in einem solchen Staat besser gehen würde. Was gerade im Irak und in Syrien passiert, ist ein ganz anderer Fall. Das ist natürlich beschämend.

Kannst du erklären, was da passiert?

Da steckt auf jeden Fall mehr Gehirnwäsche dahinter als die Überzeugung der Menschen. Das ist nicht Ideologie, was die Leute da hinbringt. Wenn das tatsächlich deine Ideologie ist, warum bist du dann nicht nach Afghanistan gegangen? Jedenfalls ist das nicht im Namen Gottes, was da unten passiert. Es geht um Macht, es geht um Geld. Worum es halt immer geht im Krieg …

Kennst du Leute, die mit dem ISIS sympathisieren?

Nein. Das ist ja auch völlig absurd. Die sagen, sie wollen Schiiten und Alleviten töten. Aber sie bringen selbst Sunniten um. Das ist einfach völliger Schwachsinn – selbst wenn man versucht, ihrer Argumentation zu folgen.

Warum sehen das so viele anders?

Ich weiß es nicht. Ich glaube, es steht eine größere Macht dahinter. Dass sich 15 000 Araber zusammentun und zwei Länder übernehmen, halte ich für unmöglich.

In den Medien hier wird gerne ein direkter Zusammenhang zwischen HipHop-Kultur und der ISIS-Faszination konstruiert.

Da macht man es sich zu einfach. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Jeder träumt davon, reich zu sein. Alle wünschen sich Macht, jeder auf seine Weise. Und wenn du dann hier deine Rechnungen nicht bezahlen kannst, ist es eben ein bequemer Weg, dafür dem Staat die Schuld zu gehen, Deutschland zu hassen und irgendwo hinzugehen, wo du vermeintlich jemand bist. Aber das Ding ist: Das ist nicht Deutschlands Schuld. Das ist die Schuld von niemand anderem. Das hat in diesem Land jeder selbst in der Hand. Wenn Leute aus Tschetschenien oder Afghanistan da hingehen, kann man sich das also gerade noch irgendwie erklären. Ich finde das nicht richtig, aber man kann zumindest nachvollziehen, warum die durchdrehen und denken, das tun zu müssen. Aber bei irgendwelchen Ahmeds und Mustafas aus Frankfurt oder Hamburg ist es einfach nur verrückt: Du bist in Deutschland aufgewachsen, und jetzt gehst du nach Syrien, um Menschen umzubringen? Was machst du da?!? Komm mal zu dir!

Was hältst du als Einwanderersohn von der Theorie, dass viele Kids nicht darauf klarkommen, wie ihre Eltern sich in Deutschland angepasst haben?

Das gibt’s alles. Es gibt bestimmt 500 Gründe, da hinzugehen. Aber es gibt keinen einzigen guten.

Auf deinem neuen Album RUSSISCH ROULETTE sparst du solche Themen weitestgehend aus und sprichst stattdessen sehr persönlich über deine eigene Vergangenheit auf der Straße. Warum?

Na schon alleine, weil das jetzt niemand erwartet hätte. Mein erstes Album bei einem Major-Label, und ich mache wieder klassischen Streetrap! Inhaltlich ist das ja schon sehr old school, nur eben technisch auf einem neuen Level. Im Endeffekt liegt es aber eh nicht in meiner Hand, die Welt zu verändern. Was ich machen kann, ist: einen Einblick in meine Gegend und meine Vergangenheit zu geben. Damit kann ich Jugendliche warnen und die Leute in den Machtpositionen vielleicht sogar dazu bewegen, etwas in Deutschland zu verändern – oder zumindest in bestimmten Gegenden. Denn egal ob nun in Offenbach, Berlin oder sonstwo. Die Probleme der Leute sind doch letztlich überall die gleichen.

Zur Person:

Aykut Anhan alias Haftbefehl, 28 Jahre alt, Sohn kurdischer Eltern, ist eine der interessantesten Figuren im deutschen HipHop. Seine außergewöhnliche Stimme und Wortwahl, sein Flow und seine Aura zwischen Selbstironie und Bedrohlichkeit haben dem Hünen aus Offenbach eine echte Ausnahmestellung verschafft. Zu seinen Fans zählen Rap-Connaisseure wie Street-Kids, dazu Kollegen wie Jan Delay, Marteria, Cro und Bushido. Dieser Tage ist sein viertes und bislang kohärentestes Album RUSSISCH ROULETTE erschienen.

(dieses Interview erschien zuerst im Musikexpress 01/2015)