Gut abgehangen


Wer gut gekleidet ist, entscheidet Jan Joswig. Heute vor dem Stilgericht: Dave gahan.

Dave Gahan ist den ganzen Weg gegangen. Vom Poesiealbum-Popper in unschuldig weißer 501 hat er sich mit alttestamentarischer Wucht zum Las-Vegas-Rocker in schwarzer Glitzerweste durchgekämpft. Auf den ersten Blick sieht sein Outfit aus wie ein abgekarteter Ritt auf der Welle von verruchtem Düsterglam, zu dem gerade auch die Brigitte ihre Leserinnen mit Riester-Rente animiert. Aber Glitzerweste, Kajal und Tattoos sind beim ehemaligen Synthiepop-Sunnyboy Dave Gahan nichts weniger als das neue Gesicht des uralten Blues. Das Pop-Panoptikum kennt sie alle: einen alterslosen Gentleman-Typen wie Bryan Ferry, einen zwangsjugendlichen Hampelmann wie Mick Jagger, der nach zwei Jahrzehnten im Business die 80er in quietschbunten Leggings beschämte, die Märtyrer der Jugend wie Kurt Cobain, Ian Curtis oder Michael Hutchence – und sie, die großen Tragöden, die in den Abgrund geschaut und weitergemacht haben: Johnny Cash, Serge Gainsbourg oder Townes van Zandt. Zu diesen reiht sich Dave Gahan, der Junge aus der Besserungsanstalt, der suizidgefährdete Megastar mit Heroinproblem, der wiedergeborene Prinz der Dunkelheit. Wenn ihm sein musikalischer Auftakt zur neuen Rolle mit „Suffer Well“ in muffigem U2-Pathos etwas aus dem Ruder geriet, mit seinem Outfit bebildert er sie perfekt. Die durchs Stahlbad eines exzessiv-ruinösen Lebens gegangenen tätowierten Muskeln und die schartigen Gesichtsfalten werden durch die frivolen Showgeschäftrequisiten Kajal und Glitzerweste entscheidend relativiert. Denn ein echter Blueser weiß, dass er sich immer mit einem Quäntchen Komödie tarnen muss. Die pure Dosis würde beim Publikum zum Fremdschämen führen. Der Depeche-Mode-Weggefährte Marc Almond von Soft Cell ist einen parallelen Weg vom schmollmundigen New Romantic zur über und über tätowierten Dunkelgestalt vor Musical-Kulisse gegangen. Wenn allerdings junge Schnösel wie The Killers, die noch keine Quittung des Lebens begleichen mussten, die Las-Vegas-Rocker mimen, werden sie zu pompösen Clowns. Den Austritt aus den Turbulenzen feiert Dave Gahan in der zweiten Hälfte des Lebens nicht, indem er alle Risse seines Charakters hinter tadellosem grauem Flanell versteckt. Er inszeniert sich nicht als Phönix aus der Asche, er verkörpert den Phönix in der Asche.

Jan Joswig ist studierter Kunstgeschichtler, wuchs in einer chemischen Reinigung auf, fuhr mit Bowie-Hosen Skateboard und arbeitet als freier Journalist für Mode, Musik und Alltag. Was LL Cool J in den 80ern die Kangolmütze bedeutete, ist ihm der Anglerhut.