Gruppen Dynamik


Schönwetter-Freundschaften gibt es bei Bon Jovi nicht. Nach allen Zwists beweisen sie mit der neuen LP, daß sie noch immer eine sehr dynamische Gruppe sind.

Die Fussmatte vor der Suite im Bei Age Hotel grummelt ein unheilschwangeres „Willkommen unter der Dampfwalze amerikanischer PR-Strategie. “ Hinter der Tür erklingt der Trommelwirbel zum Drei-Manegen-Rock ’n‘ Roll-Interview-Zirkus mit Bon Jovi: „Tolle Cowboyboots, wo hast ‚/? die her?“ fragt Gitarrist Richie Sambora aus einem Zimmer. „Spezialanfertigung. Hab‘ sie mir mit einem Stück Stoff, das ich gefunden habe, beziehen lassen“, antwortet Drummer Tico Torres. „Und wenn’s regnet?“ — „Ziehe ich sie nicht an. „

Weiter geht’s in die Hauptmanege. Bevölkert von Zimmerkellnern, herumschwirrenden PR- und sonstigen Damen, der Fernseher plärrt nonstop, MTV-Videos, vom Sunset Boulevard dröhnt der Autoverkehr herüber. Blumen werden geliefert, Kaugummi wird herumgereicht. Kein Zweifel — in diesem Zimmer kann nur Jon Bon Jovi sitzen.

„Als Rapper würde ich mich D. W.T. nennen“, eröffnet der Sänger mit unverbindlichem Sunnyboy-Grinsen. „das steht für Dry White Toast, eine trockene Scheibe Weißbrot. Ich habe null Rhythmus in meiner gesamten Ernährung. ‚ Alles Luge — Jon sieht mit seiner kalifornischen Sonnenbräune im Gesicht und der gold-blond glänzenden neuen Kurzhaarfrisur eher wie ein knusperiges Croissant denn wie eine trockene Toastscheibe. Das Hörnchen plaudert fröhlich weiter: „Auf unserer LP haben wir einen Song im Acid House Mix drauf. Wer halte dasjefiir möglich gehalten, Bon Jovi macht Dance-Music!“¥asl die ganze Wahrheit. Die erste Single, „Keep the Faith“, war zunächst ein stinknormaler Bon Jovi-Song. Erst Mick Edwards (Jesus Jones) verpaßte dem Rocker einen kleinen Acid House-Kick. „Ich bin noch nie auf einer Acid House Party gewesen“, gesteht John. „aber es hat sich iel verändert in unserem Leben. Wir sind eine andere Band als noch vor vier Jahren. Damals hatten wir alle die gleichen Erfahrungen und Erlebnisse, weil wir als Band ständig zusammenhockten. Seit zweieinhalb Jahren geht jedoch jeder von uns seine eigenen Wege, und jetzt haben wir auf einmal fünfmal soviele Erfahrungen, die wir in unserer Musik verarbeiten können.“

Das Ergebnis: 30 fix und fertig aufgenommene, abgemischte Songs warten auf die Endauswahl. Fast sechs Monate lang hatten Bon Jovi daran in den Little Mountain Studios im kanadischen Vancouver gearbeitet, in denen auch die vorausgegangenen Alben entstanden waren. Die Entscheidung, welche der Songs auf das Album kommen, war schwieriger denn je, aber: „Ein Doppelalbum herauszubringen wäre im Augenblick finanzieller Selbstmord. „

Mehr als nur finanzieller Selbstmord wäre auch die Auflösung der Band geworden, von der in den vergangenen Jahren immer lauter gemunkelt worden war. John, der Pragmatiker, packt diese Frage wie den Stier bei den Hörnern: „Ich hab’mich an das Sprichwort gehalten, daß man das Baby nicht mit dem Badewasser ausschulten soll. Was zählt, ist das Baby, ako die Band, und nicht diese ganze geldproduzjerende Maschinerie um Dich herum, die Dich auffrißt. Es war das gleiche, was ich den vier Boys bei der Gründung der Band 1983 erzählte — Hauptsache, wir vertragen uns.“

Vier Alben und 27 Millionen verkaufter Tonträger später sollte jedoch genau die Freundschafts-Frage zum Stein werden, über den die Band beinahe gestolpert wäre: Richie Sambora brachte seine Solo-LP heraus, ebenso John Bon Jovi und prompt sprachen die beiden nicht mehr miteinander. „Yeah“, grinst John, „ich habe nach ein paar Monaten den ersten Schritt gemacht und Richie angerufen. Mußte sein. „

Immerhin sorgte Johns Filmmusik-Ausflug „Blaze Of Glory“ für eine neue Facette in seinem Leben. Seine Augen bekommen einen feuchten Glanz: „Der Song warfiir die Golden Globe Awards nominiert. Ich dachte, ich gewinne sowieso nicht und sagte zu meiner Frau: ,Laß und hingehen und wenn ich verloren habe, hauen wir sofort ab.‘ Aber so haben wir wenigstens A I Pacino gesehen. Und dann bekomme ich doch tatsächlich einen Golden Globe Award für „Blaze of Glory“. Ich packte das Ding, marschierte auf den Tisch von AI Pacino zu und sagte mir, er hat keine Ahnung, wer ich bin. aber mit dieser Trophäe in der Hand kann ich mich ihm vorstellen.“

Der 30jährige Bon Jovi sitzt so zufrieden und verzückt beim Erzählen dieser Geschichte im Sessel, als wäre er ein 14jähriger Teenager. “ Und ich habe AI Pacino die Hand geschüttelt. Das war meine Belohnung.“