Grüne Jungs und Tote Hosen: in den USA geht der Punk ab


Es versprach, eine Nacht der langen Messer zu werden. Ein Schlachtfest. Ein Debakel. Anarchie, Terror oder zumindest ein Höllenspaß. Drei Punkbands standen parat, im berüchtigten New Yorker ‚Nassau Coliseum‘ zu spielen. Einem Stadion, in dem bei vergangenen Rap-Konzerten Messerstechereien ausgebrochen waren und Security Guards im Ruf standen, Zähne gleich reihenweise auszuschlagen und Rippen wie Salzstangen zu brechen. Das, gepaart mit der Musik, die vor 20 Jahren zum ersten Mal zur Revolution aufrief, Was konnte da noch schiefgehen?

So ziemlich alles. Denn in 20 Jahren hat sich einiges verändert. Allem voran die eigentlich kaum noch existente, derzeit dennoch hochgejubelte Punkszene. Das wird spätestens beim ersten Blick auf die Massen klar, die vorm Coliseum auf Einlaß warten. Nein, das sind keine Punks. Da ist kein einziger Mohikaner zu erblicken, keine Lederjacke, keine Springerstiefel, keine gefärbten Haare. Statt dessen fällt der verwirrte Blick auf eine Horde von Vorstadtmachos: kleine, pubertierende und gefährlich angetrunkene Muskelprotze in weiblicher Begleitung. Mädels, die noch vor zwei Jahren bei den New Kids On The Block in Ohnmacht gefallen sind.

Die Laune des ernsthaften Punkfans verdüstert sich. Was, zum Teufel, soll hier abgehen? Dann der zweite Schock: Das Konzert fängt pünktlich an. Schlag acht betreten Die Toten Hosen die Bühne. Was ja an sich ganz nett sein könnte. Doch die Hälfte des 10.000 Zuschauer zählenden Publikums ist noch draußen und balzt bei den Bierständen. Die andere, schon in der Halle befindliche Hälfte fragt sich, wer um Himmels willen Die Toten Hosen sind – Campino kennt hier keiner. Und obwohl die Düsseldorfer ein straffes 30-Minuten-Programm in englischer Sprache auf die Bühne bringen, ernten ihre Songs – von ‚Here Comes Alex‘ bis ‚Born To Lose‘ – eher mitleidigen Beifall. Der amerikanische Sinn fürs Obskure hört eben beim Taco-Bell-Burrito auf. Daran ändern selbst die Hosen nichts.

Um Viertel vor neun dann, inzwischen ist es schon recht voll im Saal, die nächste Band, Pansy Division. Peinlich nur: Eine Horde hektisch nach vorn stürmender, den ein oder anderen Ordner niederstreckender Teenies hält das solide Punk-Trio aus San Francisco für Green Day, den Haupt-Act des Abends. Doch der ist erst um halb zehn dran. Dann nämlich, als per CD der beste Song der Veranstaltung, der Beastie Boys-Klassiker ‚You Gotta Fight‘ , eingespielt wird. Nach diesem Intro gehen Sänger und Gitarrist Billie Joe Armstrong, Bassist Mike Dirnt und Drummer Tre Cool zum Angriff über. In der Hallenmitte, im Mosh-Pit also, freut das alle. Von den Rängen aber, wo ein paar Nicht-Fans wie paralysiert zurückgeblieben sind, ertönen Rufe wie „Green Day Sucks!“ Und ja, man kann sie verstehen, die paar Spielverderber, die da ohne Aussicht auf Erfolg versuchen, den anderen den Spaß zu verderben.

Vor anderthalb Jahren waren Green Day noch eine originelle, vielversprechende Band aus Oakland, die den totgeglaubten Punk zu reanimieren versprach. Heute jedoch graben Green Day der musikalischen Revolte das Grab tiefer als je zuvor. Ihr Repertoire besteht ausschließlich aus den Songs des Drei-Millionen-Sellers ‚Dookie‘. Was davor war, gilt nicht mehr. Zugegeben: Manche der bestens verkaufenden Gossenhauer greifen. Aber warum nur fühlt man sich beim Zuhören eher an die Beatles als an die Sex Pistols erinnert? Warum hat man ständig das Gefühl, die nächste Akkordfolge schon zu kennen? Weil einem die Songs seit zwölf Monaten ununterbrochen in den Gehörgang getrichtert werden? Wohl kaum. Viel eher ist es so, daß die Musik von Green Day von vornherein kaum mehr war als ein Konglomerat bestehender Strukturen, eine nette, für die breite Masse abgemilderte Aufarbeitung alter Punk-Riffs. Wogegen anfangs auch gar nichts einzuwenden war. Nur leider haben Billie Joe & Co. ihre Pop-Punk-Basis inzwischen verlassen. Wo vor gar nicht langer Zeit noch der pure Protest gegen das Establishment im Vordergrund stand, regiert in diesen Tagen bei Armstrong und Kumpanen nicht selten kühle Professionalität. So verläuft ihre Show mittlerweile ähnlich routiniert wie dereinst Dean Martins Selbstinszenierungen in Las Vegas. Nur halten Green Day keine Wodka-Martinis hoch, sondern statt dessen den ausgestreckten Mittelfinger.