Grateful Dead: Dead Can Dance


Ab in die Zeitmaschine! Grateful Dead (r.) ziehen ein buntes Volk an, das in den 60ern stehengeblieben zu sein scheint. Doch die heutigen Deadheads rekrutieren sich nicht etwa aus ergrauten Hippies, sondern aus den Kindern der Blumenkinder.

„Wir waren schon immer ein anachronistischer Haufen. In eine bestimmte Zeit haben wir jedenfalls noch nie so richtig gepaßt.“ Der ergraute Hippie lehnt sich sichtlich entspannt zurück und kann sich ob seiner eigenen Worte ein zufriedenes Grinsen nicht verkneifen. Wer will es ihm verübeln? Nach einem knappen Vierteljahrhundert Rock ’n“ Roll erleben Jerry Garcia (48) und seine ebenfalls angejahrten Kollegen mit ihren scheinbar anachronistischen Westcoast-Klängen den Höhepunkt ihrer Popularität: Mit 1.4 Millionen verkauften Konzerttickeis rangieren Grateful Dead in Amerika auf Platz 3 der erfolgreichsten Live Acts des zurückliegenden Jahres. Nur die Stones und Who lockten noch mehr in die Stadien.

Konnten sich schon die alten Steine über regen Zulauf der dritten Rockgeneration freuen, so gerat die Begeisterung der Kids für die Rockrentner von Grateful Dead geradezu zum Phänomen. Eileen Law, Bürovorsteherin im „Deadhead“-Office, das Kontakt zu 80.000 Fans hält, glaubt zu wissen, warum so viele Teens die Rauschebärte aus der hohen Zeit der psychedelischen Musik in ihr Herz geschlossen haben: „Wir bekommen immer wieder Briefe von jugendlichen Deadheads, die uns darum beneiden, daß wir in den 60er Jahren aufgewachsen sind. Da sind nämlich welche bei, die uns schreiben, daß sie von allen Epochen am liebsten in den Sixties groß geworden wären.“

Auch Jerry Garcia glaubt zu wissen, warum sie von Fans verehrt werden, die fast schon ihre Enkel sein könnten: „Die müssen offensichtlich das Gefühl haben, daß ihnen einiges an Spaß durch die Lappen gegangen ist. Vergleicht man die 60er Jahre mit der jetzigen Zeit, muß man doch ganz klar feststellen, daß die Welt heute düsterer aussieht als damals.“

Probates Mittel gegen allzu viel Düsternis war bei Grateful Dead über Jahre hinweg der Konsum von Drogen. Frönten die Hohenpriester der amerikanischen Subkultur in ihren Anfängen noch ungebremst LSD-Freuden, so nahmen die artifiziellen Ekzesse im Laufe der Jahre bedrohliche Formen an. 1986 wäre Jerry Garcia um ein Haar den Weg alles Irdischen gegangen: Heroin und Kokain hatten aus dem fingerfertigen Gitarren-Guru ein menschliches Wrack gemacht. In seinem Haus in San Rafael fiel Garcia in ein mehrtägiges Diabetis-Koma.

Auch wenn Garcia heute einen gesünderen Eindruck macht als je zuvor, haftet der Band doch noch immer das Image der ewigen Spacekadetten an. Mehr noch: Bis zu einem gewissen Grad leben sie geradezu von der schillernden Outlaw-Aura, die sie seit über zwei Jahrzehnten umgibt. In Zeiten stromlinienförmiger Uniformität haben Hippies halt wieder Hochkonjunktur. Bester Beweis: Das „Forbes“‚-Magazin führte das Unternehmen GratefuI Dead in seiner „Jahresliste der bestbezahlten Entertainer“ mit einer geschätzten Einnahme von 12.5 Millionen Dollar immerhin auf Platz 29.

„Es kann uns doch nicht als Fehler angelastet werden, daß wir erfolgreich sind“, kommentiert Garcia den neuerlichen Boom seiner Band – und poliert doch gleich wieder das alternative Image: „Trotz unseres Erfolgs gehören wir im Musikbusiness nach wie vor zu den Außenseitern. Auch wenn wir uns inzwischen notgedrungen an einige Spielregeln der Geschäftswelt hallen. So spielen wir beispielsweise in Football-Stadien und Sporthallen, weil es immer noch viel zu wenig geeignete Auftrittsorte für Rockbands gibt.“

Immer weniger geeignete Auftrittsorte gibt es vor allem für Garcias eigene Altherrenriege. Seit dem überraschenden Erfolg des Dead-AIbums IN THE DARK, das der Band 1987 in Amerika den einzigen Top Ten-Hit ihrer langen Geschichte bescherte („Touch Of Grey“), sind die Deads zu wahren Zuschauermagneten avanciert. Die University Of California in Berkley oder die Stanford University. angestammte Auftrittsorte der Band, sehen sich längst außerstande, Konzerte mit ihrer ehemaligen Hauskapelle zu veranstalten – sie sind dem Ansturm der Zuschauer nicht mehr gewachsen. Allein der feste Anhang der psychedelischen Rocksenioren besteht aus 500 bis 1000 Fans, die der Band ständig hinterherreisen und jedes Konzert besuchen. (Um die Auftritte ihrer Helden in Deutschland nicht zu verpassen, haben 600 amerikanische Deadheads eigens zwei Jumbo Jets gechartert). Hinzu kommen fast überall Zehntausende von beinharten Fans, die gleich nach Bekanntwerden eines Konzerts die Vorverkaufsstellen stürmen. Welches Fassungsvermögen der jeweilige Auftrittsort auch haben mag: Die Nachfrage nach den Tickets ist ständig größer als das Angebot. „Um Arger zu vermeiden, müssen wir die Leute inzwischen bitten, zu Hause zu bleiben, wenn sie keine Karte bekommen haben“, schildert Garcia die teilweise chaotische Situation. In Hartford/Connecticut hagelte es kürzlich erst Beschwerden, weil anläßlich eines ausverkauften Konzerts 5000 Deadheads den beschaulichen Stadtpark in ein Zeltlager verwandelt hatten; in Pittsburgh ist der Bürgermeister auf die Band sauer, weil sich vor der Civic Arena Dead-Fans mit Polizisten prügelten. Hauptgrund für den Aufruhr in der Burgerschaft ist jedoch der exzessive Drogenkonsum im Umfeld der Dead-Konzerte. Gary Gardner. Pressesprecher der Howard County Police: „Selbst einen Monat nach dem Konzert der Bund sind uns hier noch beträchtliche Mengen LSD in die Hände gefallen. Dabei hauen wir mit diesem Zeug lange Zeil keine Probleme. Irgendwie hat es den Anschein, als ob das Auftauchen von LSD in direktem Zusammenhang mit den Shows von Grateful Dead steht.“

Bob Weir, neben Garcia zweiter Gitarrist der Deads, hält solches nicht mal für unwahrscheinlich: „Ich denke, es ist gut möglich, daß uns ein paar professionelle Dealer hinterherreisen. Wie soll man sich sonst erklären, daß wir in irgendeine Stadt kommen und die Schulen für die nächsten drei Monate an LSD ersticken. Ich kann absolut verstehen, daß die Leute angesichts solcher Auswüchse sauer reagieren – speziell wenn’s sich um schlechtes Acid handelt.“

Mittlerweile ruft die Band auf Flugblättern dazu auf, im Umfeld ihrer Konzerte Drogen weder zu kaufen noch zu verkaufen. In den Wurfsendungen weist die Band eindringlich darauf hin, daß der Handel mit Drogen die Deads „zu einem Ziel der Polizei“ mache. Daß diese Einschätzung durchaus der Realität entspricht, belegen mehrere Aktenordner – inzwischen sehen die Behörden einen direkten Zusammenhang zwischen drei LSD-bedingten Todesfällen und einigen Konzerten von Grateful Dead.

Waren die Rauschgiftopfer für die Band noch Unbekannte, so traf sie der jüngste Todesfall weitaus härter. Mit Brent Mydland mußte am 26. Juli, also knapp drei Monate vor dem Start ihrer Deutschland-Tournee, einer der ihren dran glauben. Der Keyboarder der Dead hatte in der Vergangenheit Alkoholprobleme. Zu seinem Tod führte aber eine Mixtur aus Heroin und Kokain, ein sogenannter „Speedball“. John Barlow. der zusammen mit Brent für die Band Texte schrieb, betont jedoch: „Man sollte jetzt nicht alles auf dieses Teufelszeug schieben, denn das Leben hat’s nicht gerade gut gemeint mit Brent. Er war sehr sensibel und litt mehr unter Problemen als andere. Brent hatte so eine An, den Schmerz dieser Welt in sich aufzusaugen. Am Ende wußte er dann nie, wohin damit. Ausdrücken konnte er sich nur mit Hilfe seiner Musik.“ Gitarrist Bob Weir hat derweil langsam die Nase voll vom Thema Drogen: „Ständig wird uns angedichtet, es ginge uns um Drogen. Letztlich ist das doch totaler Schwachsinn. Uns geht’s lediglich um die Musik!“

Darum geht’s auch den Hunderttausenden, die jährlich in die Konzerte der Deads pilgern – um Musik und Mythen, denn die Shows der Dead haben noch immer etwas Magisches an sich. Nach wie vor gehen die Musiker ohne Tracklist auf die Bühne – die Reihenfolge der Songs liegt also nicht fest. Das Konzert entwickelt eine Eigendynamik. „Unsere Gigs sind keine geplanten Shows, sondern sich ständig entwickelnde, spontane Prozesse“, charakterisiert Garcia das Spezifische an den Auftritten der Band.

Und überhaupt, so das wortgewandte Sprachrohr der Deads. könne man die Band nur sehr schwer mit normalen Maßstäben messen. „Grateful Dead sind in Amerika so etwas wie ein Wanderzirkus. Wir sind ein Teil derselben Tramp-Tradition, zu der auch schon Jack Kerouac gehörte. Die Band zählt zu den letzten amerikanischen Abenteuern. Die Zeit der Hobos, die auf Güterzügen durchs Land reisten, ist längst vorbei. Aber uns, uns kann man kreuz und quer durch die Staaten folgen. Schau dir nur die Deadheads an, die uns an den Fersen kleben. Die sind schon lange zu einer Subkultur in der Subkultur geworden. Sie bilden eine verschworene Lebensgemeinschaft, wenn du so willst, eine Familie.“

Für den Fall, daß sich diese Familie bald nicht sittsamer aufführt, droht einer ihrer Familienväter allerdings geradezu drakonische Strafen an: „Wenn im Umfeld unserer Shows weiterhin Dealer ihre Geschäfte machen, bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als vorübergehend nur außerhalb Amerikas aufzutreten, wie jetzt in Europa zum Beispiel oder auch in Asien“, orakelt Bob Weir. Auch John Scher, der einen beträchtlichen Teil der amerikanischen Dead-Konzerte veranstaltet, befürchtet bei anhaltendem Trouble mit den Obrigkeiten unangenehme Konsequenzen: „Grateful Dead könnten zumindest gezwungen sein, unregelmäßiger als bisher aufzutreten. „

Der erste Schritt in diese Richtung ist bereits getan. Um Ärger zu vermeiden, gibt die Band in Amerika seit neuestem sogenannte Kamikaze-Konzerte: Die Shows werden kurzfristig angesetzt, um zu verhindern, daß Tausende von Dead-Heads schon Tage vor dem Auftritt die Stadt in einen Belagerungszustand versetzen. Bisher haben die Deads mit der Kamikaze-Strategie aber immerhin schon einige positive Erfahrungen gemacht: ausverkaufte Hallen, aber kaum mehr Ärger mit der Polizei. Um die strengen Cops zu beruhigen, läßt die Band so gut wie nichts unversucht. Vor einem Konzert im Nassau Coliseum auf Long Island traf sich eine Delegation der Band sogar zu einem offiziellen Meeting mit Vertretern der New Yorker Polizei. Bis zu diesem Zeitpunkt war das Coliseum für die Gruppe immer eine „Problembühne“ gewesen. Bei den Auftritten hatte es bei massiven Polizeieinsätzen jeweils Dutzende von Durchsuchungen und Verhaftungen gegeben. Seit der Konferenz zwischen Cops und Künstlern ist damit Schluß! Mittlerweile reißen sich im Nassau Coliseum Publikum und Polizei gleichermaßen zusammen.

Der Weisheit letzter Schluß sind solche Schachzüge für die Band aber nicht. Da verfolgt Jerry Garcia schon lieber einen hochfliegenden Traum, der ihn seit einiger Zeit beschäftigt: „Ideal für die Konzerte wäre ein speziell auf unsere Verhältnisse zugeschnittener Ort, an dem wir regelmäßig auftreten könnten. So ähnlich vielleicht wie Bayreuth mit seinen Wagner-Festspielen.“