Gong – Das Space-Fest der letzten Hippies
Knapp sechstausend Franzosen fuhren vor einigen Wochen ab in den siebenten S pace-Himmel. Einen halben Tag und eine halbe Nacht lang spielten unter dem großen Zelt des Pariser Hippodrome-Zirkus sämtliche Splittergruppen und Besetzungen der Kultband Gong. Steve Hillage war dabei und David Allen, Shamal und die Pierre Moerlen Band. ME-Mitarbeiter Miles saß im Zirkuszelt inmitten von riesigen, knisternden Joints , die die Luft mit beißendem Qualm erfüllten, und erlebte einen Anachronismus: ein großes Hippie-Festival.
Ich fühlte mich wie bei einem Festival der Jahre 1968/69. Händler mit allen möglichen psychedelischen Zubehör waren zur Stelle. Je später es wurde, desto merkwürdiger waren die Typen gekleidet, die immer zahlreicher eintrafen. Sie alle orientierten sich an den Figuren der komplizierten Welt des Planeten Gong. Sogar der Backstagepass war pyramidenförmig und mit Blumen bedruckt. Einige Ignoranten von der Schallplattenfirma trugen ihren verkehrt herum und zerstörten so natürlich überall wo sie gerade standen die guten „vibes“.
Tim Blake mit seinen Synthesizern ließ die Musik losschweben und Didier Malherbe spielte fließende, friedliche Flötenlinien, die er nur gelegentlich mit seinem seltsamen Gesang in Englisch, Französisch und „Gongalesisch“ unterbrach.
Strontium 90 war die erste Gruppe, der ich aufmerksam zuhörte. Dafür, daß es ihr erster Gig war, machten sie ihre Sache gut – kein Wunder, da Stewart Copeland (dr) und Sting Sumner (voc,git) (beide ex-Curved Air und nun bei Police), der Bassist Mike Howlett (Gong-Verbindungsmann) und der fantastische Andy Summers an der Leadgitarre dazugehörten. Stewart, nach der neuesten Punk-Mode mit Leder und Ketten ausstaffiert, hatte in der Garderobe schon ungeduldig mit den Füßen gescharrt und gebellt: „Laßt uns endlich ‚rausgehen und die Hippies aufscheuchen!“ In der Tat, die Gruppe war vielleicht ein wenig zu funky für das Gong-Publikum, das sich nun aufgefordert fühlte, mit den Füßen zu wippen, dem Kopf zu nicken und sogar zu tanzen, obwohl es lieber mit vernebeltem Dope-Schädel im Dreck unter Wogen von psychedelischer Musik liegen wollte.
Steve Hülage hatte bei seinem Auftritt Pierre Moerlen am Schlagzeug, Mike Howlett am Baß, Miquette am Synthesizer, Mireille Bauer für die Percussion und Daevid Allen am Tambourine dabei. Steve kramte einige der ältesten Griffolgen hervor, und sein Gesang klang zeitweilig wie einst der von Syd Barrett. Während Hillage seine Acid-getränkten Stereo-Soundfetzen produzierte, schwang sich zwischen bleistiftdünnen Laserstrahlen ein Mädchen im Mini-Bikini am Trapez über das Publikum.
Die Shamal-Besetzung hatte sich am Morgen nur zwei Stunden lang vorbereitet, deshalb war der Sound nicht so ganz abgerundet. Trotzdem, Mike Howlett strahlte, als er die Bühne verließ. „Jeder war in der richtigen geistigen Verfassung,“ freute er sich. Pierre Moerlen saß am Schlagzeug, Didier Malherbe spielte Blasinstrumente, Mireille Bauer Percussion und Vibraphon, Jorge Pinchevski Geige und Steve Hillage Gitarre. Steve hatte das Material noch nie live interpretiert, stieg aber während des Gigs ganz gut darauf ein.
Der Name Gong bleibt ja nun bei der Pierre Moerlen Band, die in Zukunft die Gong-Platten produzieren wird. Die Mehrzahl der Zuhörer empfand dies als gelungenste Besetzung des Festes: Pierre Moerlen (dr), Benoir Moerlen (Vibraphon), Mireille Bauer (Vibraphon). Jorge Pinchevski spielte Geige, die Haare zu einem Zappa-Pferdeschwanz zurückgebunden und
das Gesicht vergoldet. Vielleicht wollte er von den Behörden unerkannt bleiben, obwohl ich glaube, daß er in Frankreich nichts zu befürchten hat. Nach England darf er nämlich wegen eines Drogen-Deliktes nicht mehr einreisen. Der Newcomer Honny Rowe aus den USA setzte mit seinen schlangenähnlichen Bassfiguren eigenwillige Akzente und auch die doppelte Vibraphon-Besetztung war einmalig.
Seltsame Requisiten und merkwürdig gekleidete Typen kündigten Daevid Aliens Auftritt an. Mit dem traditionellen spitzen Hut des Planeten Gong sang er zunächst Songs im 65/66er Donovan-Stil, dann gesellten sich die Musiker seiner Gruppe Euterpe dazu – alle mit Narrenkappen. Daevid sang seinen „Cup Of Tea“-Song. Er ist nur noch eine Parodie seiner selbst. Es war traurig anzusehen, zumal mir die erste Soft Machine-Besetzung mit ihrer Energie und Erfindungsgabe noch gegenwärtig ist. Während seines Auftritts ließ Daevid einen als Charlie Chaplin-Aufziehpuppe verkleideten Seiltänzer über den Draht balancieren. Unten zeigten Feuerschlucker ihre Show. Daevid lächelte teilnahmslos. „Have You Seen My Friend?“ sang er. Die alten Songs sind noch immer die besten. Die neuen taugen in der Tat nicht viel.
Der Abend endete mit einem überlangen Gong-Set. Drei Stunden waren fast des guten zuviel für jemanden, der nicht unbedingt zu den eingeschworensten Fans der Gruppe zählt. Sie begann mit der Musik vom „Camembert Electrique“-Album. Steve sandte seine Gitarrenströme ins Publikum, Didier Malherbe spielte ein sehr weiches Saxophon.und Tim Blake wirbelte in seinem sibernen Sufer-Anzug über die Bühne. All die mythischen Figuren des Planeten Gong erwachten zum Leben. Die Metallträger des Zeltes erstrahlten unter flackernden Kerzen, und von den Beleuchtungstürmen wurde Feuerwerk abgebrannt. Daevid wirkte total versteinert. Er warf seine Arme in einer Geste der totalen Vertiefung zurück und tanzte wie ein Irrer. Steve und er, beide mit elektrischen Gitarren bewaffnet, strahlten. Als sie die Bühne um 2 Uhr morgens verließen, waren sie total erledigt und glücklich.
Gong ist ein Konzept. Es lebt von der Einstellung seiner Gefolgschaft. Es wäre großartig, wenn seine Geschichte so wie in diesem Jahr irgendwann noch einmal aufgeführt würde.