Gomez: Melodien für Melonen
Vom Promo-Stress angeschlagen, von der Erscheinung Lenny Kravitz' verfolgt, sprechen Ben Ottewell und Tom Gray über das neue Gomez-Album, Inspiration und, tja, Obst. Und gestehen freimütig: "Äpfel lassen uns kalt."
Lenny Kravitz ist immer und überall. Zumindest in der Kölner Dependance der Plattenfirma Virgin. Wo man auch sitzt und steht, sich dreht, wendet und hinguckt: Lenny. Mal groß, mal größer – maximale Ausbreitung als Hochglanzfarbposter: schätzungsweise drei mal drei Meter. Der multiple Kravitz blickt einem nicht gerade unaufdringlich entgegen, und die dämliche Pilotensonnenbrille lässt den Mann auch nicht zwingend sympathisch erscheinen. „This fuckhead“, kommentiert Gomez-Gitarrist und -Sänger Ben Ottewell die Kravitze in seinem Rücken und zu seiner Linken. Sofa-Sitznachbar Tom Gray, Sänger/Gitarrist/Keyboarder, erklärt Ottewells präzis-knappe Analyse näher: „Wo immer wir auf dieser Promoreise hinkommen, in welches Land und welche Stadt auch immer: In den Büros hängt er schon an der Wand. Oder steht als Pappaufsteller in einer Ecke. Das nervt!“
Ben Ottewell rutscht tiefer ins Sofa und echauffiert sich noch eine Runde. „Diese aufgesetzte Sexyness, dieses immergeile Getue. Dass er nicht auch noch sabbert, ist schon alles.“ Ein kurzer Blick zu Tom, ein angedeutetes Kopfnicken – man ist sich einig. „Ein sauberer Schwinger, und die Sache wäre erledigt“, verkündet Tom Gray, steht auf und rüttelt an einem der Kravitz-Bilder. Keine Chance. Künstler mit diesen Verkaufszahlen sind bei Plattenfirmen gut befestigt. Tom Gray lässt sich zurück aufs Kanapee plumpsen. „Gibt’s denn hier keine Tücher, um ihn zu verhüllen?“, seufzt er. „Sie könnten hier doch auch überall Iggy Pop aufhängen“, schlägt Ottewell vor. „Der ist auch bei der Firma und sieht viel besser aus. Und rockt.“
Kurzes Schweigen. „Wir rocken nicht, dafür sind wir viel zu faul“, grinst Tom Gray, „wir machen unsere Art von Musik, inspirierte Musik. Wir lassen uns von allem Möglichen inspirieren: von Styles, von Platten anderer Leute, von diversen Obstsorten. Ich hab’sja schon bei unserem letzten Album gesagt, dass Bananen unheimlich inspirierend sein können.“ Gray staunt selbst ein wenig über den hübschen Quatsch, den er da gerade improvisiert – Gomez drehen die Rockmühle an einem Interviewtag, wie es ihnen gefällt. Ben Ottewell übernimmt: „Melonen sind aber auch gut, allerdings ziemlich groß. Man kannst höchstens zwei, drei davon auf einmal halten – und zuviel Inspiration ist ja auch nicht gut.“ – „Äpfel hingegen lassen mich völlig kalt“, setzt Gray trocken nach. Tom Gray und Ben Ottewell sind ein prima eingespieltes Team, und wenn der Ball auf dem Elfer liegt, ist es egal, wer ihn schlussendlich reinmacht. Hauptsache: Tor.
Möglicherweise kann die Null aber auch auf dem seriösen Spielfeld stehen. Für einen Moment soll gelten: Ernst werden jetzt. Bitte. „In Our Gun‘ ist auf jeden Fall unsere konzentrierteste Platte, das Album ist sehr fokussiert“, sagt Tom Gray. „Die Songs finden mehr als sonst in einem Rahmen statt und fransen nicht mehr so aus.“ „Wir haben viel weniger Instrumente benutzt als auf den ersten beiden Alben“, ergänzt Ben Ottewell, „und wenn sich in den Stücken viele Elemente verzahnen, dann lösen sie sich auch wieder.“ Übersetzt bedeutet das unter anderem, dass Gomez auch auf ihrem dritten Album „In Our Gun“ ein sorgfältig arrangiertes und wohl durchdachtes Chaos mit diesem, jenem, aber auch solchem veranstalten. Bluesrock ist nicht, Hippie-Scheiße ist doof, und Retro-Käse wird erst recht nicht aufgewärmt. Akkurate Verdrehtheit ist dagegen genauso unerlässlich wie wohldosierte Ironie in Tateinheit mit skurrilem Humor. Ein Song-Beispiel von insgesamt 13: Der Titelsong „In Our Gun“. Der fängt als Folk-Stück mit akustischen Gitarren und Country-affiner Mundharmonika an – Gomez geben gekonnt die ziemlich moderne Ausgabe von Simon & Garfunkel -, bevor in den letzten anderthalb Minuten elektronische Momente der Harmonieseligkeit verstörend in die Parade fahren. Nenn es funky Blutgrätsche oder folge einfach der Einschätzung von Tom Gray: „Es hört sich an, als würden Motörhead an einem Computer rumfummeln.“ Ottewell: „Wir spielen nicht die Musik von irgendjemandem nach, wir sind auch keine typisch britische Band, wir sind einfach eine Band, die ihre eigenen Songs schreibt.“ Aber hallo.
Ben Ottewell grinst, Tom Gray tapert suchend im Zimmer herum und weiß nach einigem Suchen endlich, was in Bezug auf Lenny Kravitz zu tun ist: In einem Regal findet er zwei Hundemasken von der Machart, wie sie Daft Punk seinerzeit in ihrem Clip zu „Around The World“ trugen. Tom Gray schnappt sie sich und geht juchzend ans Werk: Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss. Lenny Kravitz ist im Virgin-Büro zu Köln auch am Ende des Gesprächs noch immer das, was er vorher schon war: immer und überall. Aber – der Hartnäckigkeit von Gomez und den Masken sei Dank – man sieht nicht mehr ganz so viel von ihm. Ein Anfang ist gemacht.
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