Götter in Gummi
Wenn am Sonntag abend „Spitting Image“ auf dem Programm steht, sitzt die englische Fernsehnation einträchtig vor dem Bildschirm. Für 30 Minuten vergessen die sonst so reservierten Briten ihre Kinderstube und frönen der Zote. Da werden Politiker durch den gröbsten Schmutz gezogen, da wird die geheiligte Royal Family in einem gänzlich neuen Licht gezeigt (s. Foto).
Eine ganz vortreffliehe Zielscheibe liefern natürlich auch unsere Popstars. Kein körperliches Gebrechen, keine Warze und keine Wulstlippe, die nicht eine liebevolle Würdigung erhält. Da wird Phil Collins zum weinerlichen Waschlappen, der nichts anderes im Kopf hat, als seiner gescheiterten Ehe nachzujammern; da besteht Samantha Fox nur aus zwei gigantischen Milchhupen, die über Sams musikalische Qualitäten plaudern. Für die Spitting Image-Macher Fluck & Law kann keine Karikatur krass genug sein. ME/ SOUNDS besuchte die Macher in ihrem Londoner Studio.
Letztendlich dreht sich alles um Ärsche. Von der Amme gestreichelt, vom Lehrer verdroschen, von der Mutter zur Sauberkeit erzogen: Das klassische britische Ärschesystem, vom Klotraining bis hin zum Sex, hat die Engländer zu ihrer unverkennbar sadomasochistischen Mischung aus blindem Gehorsam und wilder Ablehnung jeder Autorität gebracht. Margaret Thatcher ist nur ein Auswuchs davon — die strenge Amme, die wir liebend gerne hassen. Musikzeitschriften, die erst den Champagner der Stars trinken und dann die gemeinsten Bosheiten loslassen, sind ein anderer.
Und dann ist da noch die satirische TV-Sendung Spitting Image. Tatsache ist — und die Macher sind die ersten. die das zugeben —, daß sie mehr Ärsche aus Latex formen als irgend etwas sonst. Allein der Geruch der Latex-gefüllten Fässer erinnert an die Pariser der Pubertät, die man nach eher peinlichen Techtel-“ mechteln mit Ersatz-Mammis verschämt in die Büsche warf … Ursprünglich war Spitting Image als Kult-Sendung für „intellektuelle, ältere“ Zuschauer 0 gedacht, wurde aber vom Interesse der Jugendlichen ans Licht der breiten Öffentlichkeit gezerrt. Demoskopen fanden heraus, daß sie bei 14—30jährigen besonders gut ankam. Man besuchte Schulen und stieß auf Studenten, sie sich mehr mit den Puppen als deren lebenden Vorbildern identifizierten; die Puppen hatten einen nachweisbaren Einfluß auf politische Bildung und Standpunkte der Studenten.
Spitting Image machte Hits. Bestseller, drei Werbespots (Bier, Kaugummi und japanische Cola), zwei Sondersendungen im amerikanischen Fernsehen („The Ronnie & Nancy Show“ und „The Spitting Image Academy Awards“), zwei Diebstahle (Margaret Thatchers Kopf und der ganze Prinz Charles wurden aus dem Londoner Lager gestohlen), ein Pop-Video (Genesis‘ „Land Of Confusion“) und vier quietschende Hunde-Spielzeuge (Thatcher, Reagan, Neil Kinnock und David Owen). Helmut Kohl hasst es, die Amerikaner verliehen ihm zwei Emmys, und die Sendung geht, obwohl sie nicht mehr den anfänglichen Schwung besitzt, inzwischen in die dritte Saison und hat Millionen Zuschauer.
Hinter dem, was die Times „growske Porträts“ genannt hat, stecken zwei Männer namens Peter Fluck und Roger Law. Beide sind 45 Jahre alt, einsneunzig groß, bärtige Väter von zwei Kindern und beide kommen von der Kunstschule in Cambridge. Zuerst zeichneten sie politische Comics, dann machten Sie Tonmodelle von Politikern und Prominenten, um sie für Artikel im „Sunday Times Magazine“ abzulichten. Damals verdienten sie laut Fluck „gerade genug, um sich zu besaufen“, bis sie den Produzenten John Lloyd— früher Macher der bekannten Fernsehsatire-Sendung „Not The Nine O’Clock News“— trafen, der sie in ein seltsames, fensterloses Studio im Londoner Hafenviertel steckte. Dort entstehen mit Hilfe eines etwa 70köpfigen Teams — die meisten sind gerade Anfang 20 — die Puppen: das Studio riecht wie ein Kondom und sieht aus wie der Film „Texas Chainsaw Massacre“; tropfende Latex-Köpfe baumeln an Fleischerhaken. Fässer mit einer dampfenden rosa Substanz stehen rum. Flaschen mit Chemikalien. Perücken und billige Second-Hand Klamotten. Eine Puppe kommt auf ungefähr 4500.-— DM. Irgendwo dazwischen sitzen die Drehbuchschreiber und brüten nächtelang über aktuellen Gags für die wöchentliche Show.
Ein Team von vier Cartoonisten zeichnet nach Fotos Karikaturen ihrer Opfer; sechs Bildhauer modellieren danach dann die Köpfe: eine Tonform wird hergestellt, Latex reingegossen, ein Fiberglas-Schädel wird konstruiert, um die Elektronik, die Augen und Mund bewegt, zu befestigen; die Make up- und Garderoben-Leute geben den letzten Schliff, und Fluck & Law — die ihre Arme nicht mehr allzuoft persönlich in die Latex-Pampe tunken — erteilen dann den abschließenden Segen. Von dringenden Fällen abgesehen, dauert die Produktion einer Puppe ungefähr eine Woche. Aus Kostengründen werden manche auch öfters verwendet: Die Zunge von Prince ist dieselbe wie die von Margaret Thatcher; sie benutzte sie in einer früheren Sendung dazu. Reagans Arsch zu lekken.
Gorbatschow wurde zum Schaffner, nachdem man das Hammer-und-Sichel-Muttermal verdeckt hatte. Die meisten Puppen sind lebensgroß und werden von vier Leuten bedient. Plastische Chirurgen besuchen inzwischen regelmäßig das Studio, um herauszufinden, ob das Patent-Late.x von Fluck & Law vielleicht auch für Brust-Prothesen verwendet werden könnte …
Außer Ärschen gibt es auch Titten. Einer der lustigsten frühen Sketche war das Interview mit Samantha Fox‘ Milchhupen. Die kleine Mund-Warze auf der linken Brust erzählte, daß sie mit dem Gedanken spiele, eine Solo-Karriere zu starten. „Alles, was wir zeigen wollten, waren die Titten“, erklärt einer vom Spitting Image-Team. „An dem unwichtigen Rest oberhalb ihres Halses waren wir nicht sonderlich interessiert. Warum also gutes Latex versch wenden ?“
Wham! wurden als singende Ärsche gezeigt. Boy George hatte in ihrer Darstellung mehr als nur Interesse für den Arsch von Frankies Holly Johnson, Prinz Andrew war splitternackt und hatte Würste als Genitalien (die Queen war dem Vernehmen nach „nicht amüsiert“; Sarah, Herzogin von York, hat angeblich trotzdem ein Bild von der Spitting Image-Version der Prinzessin Di auf ihrem Schreibtisch stehen und Prinz Charles — normalerweise als
Schrankkoffer dargestellt, der sich mit Gemüse unterhält und unter Di’s Pantoffel steht – ist ein Fan). Madonna wurde anfangs als singender Bauchnabel und Barry Manilow als klavierspielende Triefnase gezeigt.
„Ich weiß, was im Fernsehen machbar ist — und gehe an die Grenzen der Legalität“, sagt Produzent Lloyd, der das Ganze als Teil „der großen englischen Tradition gesunder Respektlosigkeit gegenüber der Autorität“ sieht. Wer seiner Meinung nach in Großbritannien „im Showbusiness ist und nicht in Spilling Image auftaucht, hat ausgeschissen“, und damit hat er wahrscheinlich recht. „Die Leute rufen an und flehen: , Bitte nehmt mich in die Show; es ist mir ganz egal, wie widerlich ihr mich macht'“. Und sie machen sie wirklich widerlich.
Man gewinnt den Eindruck, daß Pop-Persönlichkeiten Fluck & Laws‘ unliebste Zielscheiben sind, aber Spitting Image hält sich an das, was in den Zeitungen der jeweiligen Woche aktuell ist; und nach der explosionsartigen Verbreitung der Boulevard-Zeitungen für die geistig Ärmeren des Landes sind Popstars in England in den letzten paar Jahren regelmäßig auf den Titelseiten.
„Das Gute an dieser Show ist“, grummelt Fluck, „daß du die verdammten Popstars danach einfach ins Regal stellen kannst.“
„Mit dem ganzen Hvpe, der um sie gemacht wird“, ergänzt Law, „sind die Popstars sowieso schon Parodien ihrer selbst. Was wir wollen, ist ein Popstar, der ein bestimmtes Image kriegt und gefälligst dabei bleibt. Diese ganzen Geschichten mit dem Wechsel von einem Image zum nächsten gelten mir wirklich auf die Nerven“.
Wie etwa Boy George: Seine Puppe wurde ebenso wie die Wachsfigur von Madame Tussaud auf den Latex-Müll geworfen. „Wir wollen Leute wie Cliff Richard, auf die man sich verlassen kann!“
Sie haben Jagger gemacht (was einfach ist, „weil du nur die Lippen richtig hinkriegen mußt und basta“), Tina Turner („was schwieriger ist, weil sie beim Singen anders aussieht als normal“), Townshend und Daltrey von den Who (wieder einfach), Bob Geldof (im Grunde „eine Variante von Mick Jaggers Puppe!“), George Michael und Andrew Ridgeley von Wham! (im Grunde Kopien von Prinzessin Di und Sylvester Stallone!) und Status Quo („in Wirklichkeit sind’s irgendwelche alte Puppen mit Perücken! Für den einen haben wir Adolf Hitler verwendet— er sah gleich alt aus —, einfach eine große Perücke draufgesetzt und tonnenweise Make up“).
Paul McCartney und Michael Jackson waren angeblich stinksauer über ihre Puppen-Portrats. Sylvester Stallone soll seinen Fernseher zertrümmert haben, als er sich als Gummi-Rambo sah — und die englischen Zeitungen waren voll von Geschichten, daß Phil Collins drohte, gegen einen Sketch zu klagen, in dem seine häßliche Puppe ein Lied über seine Scheidung sang —obwohl er und seine Genesis-Kollegen gleichzeitig die Spitting Image-Crew für ein erv folgreiches Pop-Video engagiert hatten. „Die ¿i Prominenten“ sagt Lloyd, „teilen sich in die, die das Programm nicht mögen — wie die Premierministerin — und jene, die scharf darauf sind, daß wir Puppen von ihnen machen. Spott ist komischerweise manchmal auch eine Form von Schmeichelei.“
Der musikalische Leiter der Show, Philip Pope, kann von musikalischem Spott ein Lied singen. Er war vor Jahren der Erfinder der fiktiven Gruppe The Hee Bee Gee Bees, die eine brillante Parodie der Bee Gees auf dem Höhepunkt ihrer Karriere namens „Meaningless Songs“ machte; die echten Bee Gees versuchten ihn deshalb zu verklagen. Er hat auch die Spitting Image Hitsingle „The Chicken Song“ geschrieben und produziert. Samtliche Gummiberühmtheiten der Show sangen ein Lied, das sich über die britischen Spanien-Touristen lustig machte; eine groteske und effektvolle Mischung aus den Pauschaltouristen-Discohits „Y Viva Espana“ und „La Paloma Bianca“. Als das auf Platz eins der Charts landete, sagte Pope: „Ich bin überrascht, erschrocken und entsetzt. Das zeigt nur, in was für einem Zustand das Musikbusiness sein muß. „
Weniger erfolgreich war die Spitting Image-Weihnachtssingle „Nikolaus geht Stempeln“ und ein Album, auf dem die königliche Familie eine Rockband namens The Windsors mimte (die Queen sieht natürlich so aus wie Freddie Mercury; Prinz Andrew, von der Presse wegen seiner vorehelichen Querelen „Randy Andv“ sjenannt, singt ein Lied namens „Ich bin bloß ein Prinz, der nicht Nein sagen kann“; ein anderer Song mit Titel „Ich hab‘ noch nie einen netten Südafrikaner getroffen“ wurde bei der BBC verboten). Dazu der Produzent: „Die Puppen sind weit provokanter als die Songs. „
Tatsächlich sind die Puppen bei Spitting Image das allerwichtigste. Fluck und Law können es noch so abstreiten — was sie auch tun —, aber es ist das Gummi und nicht das immer weniger satirische, dafür um so schmutzigere Drehbuch, das das Publikum Woche für Woche vor den Bildschirm lockt. Die Papstpuppe mit ihrer Punk-Sonnenbrille, Margaret Thatcher, die mit behaarter Brust im Männerklo pißt, die Queen, die stockbetrunken umfällt und ihre Enkel mit Whiskey tauft, Madonnas Bauchnabel. Barry Manilows Nase, Sams Titten und massenhaft Ärsche. Wie die meisten Dinge, die erfolgreich sind, ist Spitting Image inzwischen im Mainstream gelandet und kann den Mund nicht mehr so voll nehmen, wie es das als „intellektuelles, erwachsenes Kultprogramm“ vielleicht gekonnt hätte. Aber bei den Millionen-Umsätzen, die die Spitting-lmage-Erfinder inzwischen machen, zerbricht sich darüber niemand mehr den Kopf.