Get Back To Where You Once Belonged


Für ihr neues Album musste die vermeintlich unzerrüttbare Dreieinigkeit BelaFarinRod a.k.a. Die Ärzte erst wieder zueinander finden. Ein kleines bisschen Wurzelsuche war angesagt: "Wir wollten auf keinen Fall so weiter machen wie zuletzt"

Die Band war an einem lähmenden Punkt angelangt. Ihr Ruhm und ihr Ansehen, waren über die letzten Jahre ins Überlebensgroße gewachsen, es gab kaum jemanden, der ihren Status als beste Band der Welt bestritten hätte. Doch während draußen eine ergebene Fangemeinde und ein interessiertes Fachpublikum jeden neuen move der Band mit Argusaugen beobachtete, rutschte innerhalb der Gruppe – in der klischeehaften Außenansicht immer noch eine unzertrennliche Gang -, der Haussegen in Schieflage. In die Beziehung der beiden Hauptsongwriter, die einst als beste Freunde die Band aus der Taufe gehoben hatten, hatte sich zersetzende Routine eingeschlichen. Und seit der Gründung eines eigenen Plattenlabels – ein in den Augen der Band wichtiger Schritt in Richtung Unabhängigkeit, der sie aber viel Energie gekostet hatte und immer noch kostete – begegnete man sich vermehrt auf einer Ebene, mit der man nie viel hatte zu tun haben wollen: Auf die Schultern der Musiker, die einst niemand als sich selbst und ihrer Kreativität Rechenschaft schuldig waren, hatten sich geschäftliche Verantwortung und Pflichten gelegt.

Noch litt – nach außen hin – die Kreativität der Band nicht dramatisch. Das letzte Album war ein stilistisch buntes, ausuferndes Doppelalbum gewesen, auf dem sich jedes der Bandmitglieder – alle schrieben sie Songs – hatte entfalten dürfen. Bei und in Folge von dessen Entstehung aber der einst so enge Band-Spirit, vor allem die legendäre kreative Chemie unter den beiden Köpfen mithin einem schnöden technokratischen „Funktionieren“ gewichen war. Die Frustrationen nahmen zu, immer ausführlicher widmeten sich die Musiker Aktivitäten abseits ihrer Band. Soloplatten. Bandprojekte. Filme. Bücher. In Indien rumhängen. Alles ganz nett, aber – das fanden auch die Fans – kein Vergleich zu dem, was sie zusammen auf die Beine zu stellen vermochten. Noch einmal ging ein Ruck durch die Band. Der Plan: sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen. Die Routine aufbrechen. Spüren, wie es früher war. Zurück zum Wahren, Guten. Nach längerer Pause mal wieder live aufspielen, und dann sehen, ob der Funke springt…

Nun mag man das legendäre „Rooftop Concert“ der Beatles auf dem Dach ihrer bandeigenen Plattenfirma Apple Corps. Ltd. am 30. Januar 1969 schlecht mit dem Open-Air-Gig vergleichen, den Die Ärzte letzten Silvester spielten – nicht auf dem Dach von Hot Action Records, sondern im Kölner Rhein Energie Stadion. Aber zumindest der Hintergedanke war bei diesen beiden Konzerten ein ähnlicher: Eine Band, die sich persönlich und emotional aus den Augen verloren hatte, wieder aufeinander einzustimmen, ihr durch selbstverordnetes Ausrocken wieder die Augen fürs Wesentliche zu öffnen: Die Musik, das Bandgefüge, das gemeinsame Musizieren.

Ja, es gab tatsächlich so etwas wie eine schleichende Bandkrise bei den Ärzten, von der Farin Urlaub, Bela B. und Rod Gonzalez jetzt im Interview erzählen. Nach Jahren voller Höhepunkte und Erfolge war der DÄ-Bolide immer noch flott unterwegs, aber da war kein Tiger mehr im Tank. Die Luft wich aus den Reifen. Autopilot. Unerfülltheit. Sinnfrage. Entfremdung gar. Von einer inneren „großen Leere“ spricht Farin Urlaub nur halbironisch mit Blick auf die Zeit nach dem bunten weißen Ärztealbum Geräusch von 2003.

Immer wieder reizvoll, die Beatles-Logik anzuwenden auf die Ärzte, die ja zu zwei Dritteln aus glühenden Beatles-Fans bestehen. Auf die Gefahr hin, religiöse Gefühle zu verletzen und/oder auf krude Weise popkulturelle Maßstäbe zu verzerren: Bemerkenswert ist es schon, wie gewisse Züge der Geschichten der besten Band der Welt und der Besten Band Der Welt sich immer wieder parallel lesen lassen. Aber irgendwo müssen die Vergleiche aufhören, und sie tun es – zur Erleichterung der Ärzte-Fans (und wohl auch der nun genug strapazierten Beatles-Fans; der Autor vertraut im Übrigen auf eine große Schnittmenge) – hier. Schließlich weiß man, wie die von Paul McCartney angestrengten Bandzusammenschweißversuche bei den Beatles endeten: In den so umfangreichen wie zermürbenden „Get Back Sessions“, Vertiefung der Gräben, Zerwürfnis und Auflösung.

Letztere, so hört man, stand auch bei den Ärzten als Option irgendwo ganz weit hinten im Raum, weniger aus großem zwischenmenschlichem Drama als aus schierem Ennui der von jeher nicht zu Kompromissen aufgelegten Band. Gleichwie: Sie ist umschifft, wie knapp, bleibt offen. Eine kleine „Get Back“-Therapie war jedenfalls im Spiel. Nach einem Jahr „Urlaub voneinander“, nach dem launemachenden Silvesterkonzert waren sie ins Studio gegangen. Zum ersten mal seit dem Ärzte-Debüt debil vor 22 Jahren in Eigenregie ohne Produzent, zum ersten Mal seit ewigen Zeiten wieder in der alten Ärzte-Hauptstadt Berlin. Zu dritt, als Gang. Und jetzt sitzen sie blödelnd zusammen in einem Kölner Cafe, merkbar glücklich mit ihrer neuen Platte jazz ist anders, über die Farin Urlaub im Vorfeld voller Inbrunst gestrahlt hat: „Ich find, es ist unsere beste geworden. Seit immer.“ Eine Platte allerdings, die den seit Jahren in Fankreisen kursierenden Bandauflösungsspekulationen neue Nahrung geben wird.

Wie oft seid ihr schon gefragt worden, ob das jetzt eure letzte Platte ist?

Farin: Schon oft und wir sagen immer „Ja“.

Bela: Unsere Fans stellen regelmäßig neue Theorien auf, wie und warum jetzt alle Zeichen darauf hindeuten, dass wir Schluss machen.

Aber die kennen ja die neue Platte noch nicht. Da wird’s einiges zu theoretisieren geben.

Bela: Du meinst wegen des letzten Songs?

„Vorbei ist vorbei“. Nein, nicht nur. Es gibt so einige Stellen auf der Platte, die man mit etwas gesunder Paranoia als Hinweise auf ein baldiges Ende der Ärzte interpretieren könnte. Und nach der Beatles-Logik wäre Jazz ist anders nach dem weißen Album Geräusch ja jetzt die „Get Back“-Sessions-Platte.

Bela: Aber hör mal: In der Band spielt ja noch Bela B. mit. Also vergiss die Beatles-Logik.

Sind all die Andeutungen seelische Grausamkeit gegen Fans, oder wollt ihr uns was sagen?

Bela: Man kann überall was reindeuten. Ich könnte dir auch auf der debil Anhaltspunkte nennen, warum es uns nicht mehr lange gibt.

Farin: Ich sag dir jetzt die wirklich-unverfälschte Wahrheit: Wir machen jetzt diese Tour und dann im Frühling gleich noch eine.

Die Tour heißt „Es wird eng“. Da geht’s ja schon weiter mit den Andeutungen…

Farin: Da bin ich überhaupt nicht drauf gekommen, dass das jemand so interpretieren könnte! Das ist doch ganz klar: Das wird eng, weil da unten viele Leute stehen, verdammt! (lacht)

Bela: Die Doppeldeutigkeit, an die wir da maximal gedacht haben, war: „Hm, jetzt wieder jeden Abend drei Stunden live spielen, in unserem Alter? Das wird eng…“ Irgendwie so.

Rod: Ich sehe schon: Wir bringen dich von dieser Sache mit der Auflösung nicht mehr weg.

Doch, doch. Aber bin ich tatsächlich der einzige Depp, der damit ankommt?

Farin: Ja. Aber das heißt nicht, dass die anderen sich nicht alle irren. Will ich nur mal festhalten.

Oh Mann …

Farin: Wir machen also diese große Tour. Und was danach kommt, besprechen wir danach.

Bela: Das war ja tatsächlich das Wichtigste an dieser Zäsur, die wir gemacht haben… .

Farin: Zäsur kennste? Stecher von Kleopatra.

Bela: … dass wir uns diesen Druck nicht mehr machen wollen und können, um nicht den Spaß und alles zu verlieren, was in dieser Band steckt.

Welcher Druck genau?

Farin: Unserem Manager Axel war s zum Beispiel am liebsten, wenn wir jetzt schon sagen würden, wie die erste Single vom nächsten Album heißt. Und wir wollen so nicht leben, (kichert) Da hat’s ein Hund besser!

Bela: Wir haben uns nach der Tour zu Geräusch ein Jahr lang nicht gesehen und gesprochen. Im Herbst letzten Jahres haben wir uns getroffen und über die Gefühle und Gedanken geredet, die wir in dem Jahr hatten. Im Vorfeld dieser Treffen meinte unser Manager: „Lasst uns wenigstens ein Studio suchen, sonst kriegen wir so kurzfristig dann keins mehr“, und wir haben gesagt: Scheißegal. Wir wissen nicht, was kommt. Könnte durchaus sein, dass wir entscheiden: Wir brauchen noch ein Jahr Pause. Oder noch fünf. Oder 30. Wir wollten uns diesmal einfach keinerlei Druck machen, sondern in aller Ruhe entscheiden, wie’s weiter geht. Dann kam erst mal der Beschluss, dieses Winter-Open-Air in Köln zu machen. Und dann die Frage: Okay, wie würden die Aufnahmen zu einer nächsten Platte aussehen? Der Entschluss, selbst zu produzieren. Und dann fingen wir an, ein Studio zu suchen. Alles der Reihe nach. Und so gesund, wie das jetzt war, wollen wir es weiter halten.

Die Ärzte waren also an einem Punkt, wo ihr dieses „Zurück zu den Roots“ brauchtet.

Farin: Es ist tatsächlich was verloren gegangen. Dadurch, dass wir über die Jahre so verdammt groß geworden sind. Das hat ganz viele tolle Vorteile – das Geld ist noch der unwichtigste davon. Aber irgendwann stellst du halt fest, dass ein riesen Apparat draus geworden ist. Und den kannst du nur aufbrechen, indem du bewusst sagst: Okay, jetzt lassen wir mal ganz viele Sachen anders laufen. Wir brauchten einfach Urlaub voneinander. Jeder hatte Zeit, auf einen großen imaginären Zettel zu schreiben: Was hat uns genervt, was wollen wir anders machen?

Was hast du drauf geschrieben?

Farin: Zum Beispiel, dass ich keinen Bock mehr habe, dass es nur noch so … ganz grob gesagt: geschäftsmäßig läuft. Dass man zwar auf der Bühne Spaß hat, aber ansonsten erfüllt man seine Termine und geht getrennte Wege.

Und wie sieht’s jetzt aus?

Farin: Jetzt erfüllen wir Termine und gehen getrennte Wege, aber verstehen uns super dabei!

Bela: Wir machen es jetzt wieder gerne, haha! (wieder ernsthaft) Es war so geworden, dass man in Situationen kam, wo man Songs schreiben musste. Und zwar so: Okay, dieses Stück muss am Mittwoch um 14 Uhr fertig sein. Terminarbeit. So war das in meiner Wahrnehmung. Das hab ich auch in den Interviews zu meinem Soloalbum letztes Jahr gesagt. Jeder muss da für sich sprechen. Es ist eine Entwicklung, die meiner Meinung nach lief seit unserem Schritt, ein eigenes Label zu gründen. Der war notwendig und wichtig, aber durch die Gründung von Hot Action Records und die Pflichten und die Verantwortung, die daraus entstanden sind, bin ich immer weiter von der Musik abgerückt. Das war schwierig für mich, ging aber erst noch, weil ich mich innerhalb des Ärzte-Kosmos sicher bewegen und „abliefern“ kann. Nur hat mir dieses Abliefern dann immer weniger Spaß gemacht und mich immer weniger erfüllt. Es war einfach dringend diese Pause nötig. Dass jeder Mal Zeit für sich selbst hat, um nachzudenken. Und zwar ohne Druck. Darum haben wir bewusst offen gehalten, was passieren wird, wenn wir uns wiedersehen. Natürlich spukte das manchmal im Kopf rum, dass es sein könnte, dass wir sagen, wir haben keinen Bock mehr. Aber darüber hinaus habe ich mir immer verboten, darüber nachzudenken. Weil es darum nicht ging in diesem Jahr. Sondern darum, Pause zu machen von den Ärzten. Nicht an die Ärzte zu denken. Das fällt natürlich schwer, wenn man eine Soloplatte macht und in jedem Interview nach den Ärzten gefragt wird, (lacht) Aber ich hab’s versucht.

Farin: Ja, das kenn ich …

Was hast du auf den Zettel geschrieben, Rod?

Rod: Ich hatte keinen Zettel. Dass Bela unzufrieden war, hatten wir ja alle mitgekriegt. Und es ging, glaub ich, jedem von uns so. Ich bin ja ungefähr heute noch in Therapie wegen der sechswöchigen Promotournee zu unserer damaligen Platte 13, mit der wir auch das Label gestartet haben. Das war wirklich heftig damals. Da ging es los, dass man Momente hatte, wo man zwar noch funktioniert – das geht ja immer, irgendwie – aber sich fragte: Was mach ich hier eigentlich?

Farin: Das ist nicht der Grund, warum man damals eine Gitarre in die Hand genommen hat.

Rod: Wir sind halt Musiker, und keine Geschäftsleute. Sonst wären wir ja wahrscheinlich…

Farin: … Geschäftsleute und keine Musiker! Ah! Oder wir wären Gene Simmons…

Rod: Dann hätten wir beides im Griff. Aber das sind wir auch nicht. Wir haben das Businessmodell Die Ärzte halt nicht wirklich analysiert…

Dann gab es also das bzw. die Treffen. Und davor war gar nichts?

Farin: Wir hatten schon ein wenig losen Kontakt. In der Zeit, in der ich während meiner einjährigen Reise (siehe Kasten rechts; Anm. d. Red.) in Japan war, hatte ich mal wieder ein Handy, und da hatten Rod und ich eine Zeitlang ziemlich viel Kontakt, wir hatten beide gerade mal wieder eine Beatles-Phase. „Ah, wie großartig! Ich höre grade die New-York-Demos…“ Und mit Bela hatte ich wegen des Soloalbums etwas Kontakt. Aber dabei wurden nie die Ärzte thematisiert. Und dann haben wir uns getroffen. Jeder hat auf seinen Zettel geguckt und es wurde deutlich: Da geht was. Weil jeder die gleichen Sachen als Scheiße empfunden hatte. Ich hatte mir in dem Jahr wirklich viele Gedanken gemacht, und mir war am Ende auf jeden Fall klar: So wie bisher möchte ich nicht weitermachen. Und mein Alptraum wäre gewesen, dass ich wiederkomme und die zwei sagen: „Da biste ja! Lass uns mal anpacken, wo wir aufgehört haben.“ Da hätte ich gesagt: Jungs, dann seid ihr jetzt aber zu zweit.

Kannst du sagen, was konkret dieses „Genau so weiter“gewesen wäre?

Farin: Nee, das bleibt mal unter uns drei.

Bela: Es gibt so einen Turnus bei Bands, die sich auf einem gewissen Erfolgsniveau eingefunden haben. Platte – Tour – Plane – Tour… Und das geht nicht lange gut. Eine Band muss man hegen und pflegen. Du kannst dich nicht einpegeln auf einem Status und da dann einfach weitermachen. Den Fehler machen einige, und die straucheln dann. Die sehen die Herausforderung nicht mehr, die jede neue Platte stellen sollte und jedes neue… (feixt) …. Geschäftsjahr.

Farin: Das soll jetzt nicht blöd klingen, aber es ist dann tatsächlich auch trügerisch, wenn man so „einfach“ Erfolg hat. Du denkst irgendwann: Jetzt muss ich mich gar nicht mehr anstrengen. Und dann geht auch teilweise der Spaß flöten.

Bela: Es ist wichtig, die Demut vor dem nicht zu verlieren, was du dir selber geschaffen hast. Man darf es nicht als selbstverständlich nehmen.

Farin: Wir beide, Bela und ich, haben angefangen als zwei totale Freunde. Wir haben sogar mal Blutsbrüderschaft gemacht – gut, seit heute Mittag sind wir immerhin After-Eight-Brüder…

Bela: Und zwar doppelt. Doppelt hält besser!

Farin: Und irgendwann stellst du fest: Die letzten Gesprächsthemen, die du mit deinem alten besten Freund hattest, waren: Wir müssen uns noch für ein Cover entscheiden. Was packen wir auf die nächste Single? Machen wir in diesem und jenem Ort zwei Konzerte oder drei? Und du merkst: Verdammt, das ist ein scheiß Business-Verhältnis geworden! Es ist so schade, es geht wirklich was verloren. Und wir sind jetzt gerade wieder in einer Phase, wo das nicht so ist.

Bela: Aus so blöden Situationen raus schreibst du auch nicht die Songs, die du schreiben willst. Und das sollte doch der Motor sein. Wir wollen gute Geschichten erzählen – und zwar für uns. „Licht am Ende des Sarges“, den „lustiger Vampir“-Song, hab ich im Grunde für die beiden geschrieben. Um sie mit einer Seite von mir zu belustigen, mit der sie garantiert nicht rechnen.

Kommt der Song auch daher, dass dir das Vampir/Der Graf-Ding etwas zum Hals raushängt?

Bela: Es macht mir natürlich auch Spaß, Leute zu verunsichern. Ich weiß, dass ich jetzt als Gastredner beim Wave Gotik Treffen wieder ausgeladen werde, aber damit muss ich leben.

Woher kommt dein „Lied vom Scheitern“, in dem es um das Beenden einer Lebenslüge geht?

Bela: Das ist ja eigentlich ein ganz klarer Text. Eine Erfahrung, die ich gemacht hab.

In Bezug aufweiche Unternehmung von dir?

Bela: Das will ich hier nicht ausbreiten…

Farin: Ist es nicht eine Lebenserfahrung? Das ist doch wirklich eine grundsätzliche Sache.

Bela: Es ist natürlich ein Wagnis, zu sagen: Okay, ich lass die Leute da jetzt mal reingucken in gewisse Dinge, die in mir vorgehen.

Farin: Aber das hab ich ja auch gemacht mit „Wir sind die Besten“. Haha!

Warum sind eigentlich die drei „selbstreferenziellen“ Songs auf eine E.P. ausgelagert? Weil sie lustig sind? Beim Album fallen ja die vergleichsweise wenigen lustigen Lieder auf.

Farin: Genau. Es sind die drei lustigsten Lieder.

Diesen wichtigen Aspekt bei den Ärzten hat ja Rod mit „Wir sind die Lustigsten“ am deutlichsten auf den Punkt gebracht.

Bela: Aber wir sind ja nicht die Gag-Band. Wir sind eine songorientierte Rockband.

Farin: Aber weißte, was wir sind? Wir sind ne funny Rockband. (Gelächter) Ich mag einfach den Zwang nicht. Weder den zur Ernsthaftigkeit, noch den zur Lustigkeit. Darf ich jetzt mal eine ernste und größenwahnsinnige Antwort geben? (gespannte Stille) Ich finde, wir sind mittlerweile viel zu wichtig, um nur lustig zu sein! (Gelächter; Rodgibt Farin High Five) Das Schlimme ist ja: Wir wissen was, was du nicht weißt, was wir aber noch nicht verraten können. Da wird dieses Quatsch-Ding so dermaßen atomisiert. Bela: Die Ärzte haben noch was in petto. Drei Monate für’n Album ist ja eigentlich viel zu viel.

„Bullenstaat 3“ ?

Farin: Viel besser.

„Bullenstaat 4“?

Farin: Viiiel besser, (winkt ab) Nächste Frage.

Apropos „zu wichtig, um nur lustig zu sein : Das offen Politische, das auf Geräusch stark vertreten war, ist wieder im Hintergrund.

Bela: Ich würde schon sagen, dass zum Beispiel „Tu das nicht“ ein durchaus politischer Song ist. Da geht’s um Gesellschaftspolitik.

Rod: Und Wirtschaftspolitik.

Bela: Und meines Wissens gibt es noch keinen Song über diese Thematik mit der Raubkopierer-Hetze – zumindest nicht auf Deutsch. Mir ist der Song eingefallen als Ironisierung dieses Gejammers der Plattenfirmen.

Farin, dein „Nur einen Kuss ist ja ein richtiges, ah, Gänsehautlied. Eine Mörderballade. Schreibt man so was in Indien im Jeep?

Farin: In Afrika, im Jeep, tatsächlich.

Rod: Beim Nashornjagen wahrscheinlich.

Farin: Worauf ich tatsächlich stolz bin ist dieser Bogen: „Ich bekam einen Kuss und gab ihr mein Herz dafür“ – und am Schluss holt er sich das Herz zurück. Das ist doch mal lyrische Eleganz!

Ja, in der Tat.

farin: Ja! Und aber von den fucking Ärzten, von den „Claudia hat nen Schäferhund“-Ärzten! (blökt) „Zum Bäckeeer!“ Ich musste 43 werden, um so ein Stück schreiben zu können. Selbst, wenn mir so was früher eingefallen wäre, hätt ich gedacht: Das nimmt mir doch keiner ab!

Man nimmt ihnen längst so einiges ab und traut ihnen noch mehr zu. Was sind das für wolkige Andeutungen von wegen „das heißt nicht, dass sich die anderen nicht auch alle irren“ und bezüglich eines mutmaßlich bereits eingetüteten weiteren Tonträgers? Ein letztes Mal die Beatles-Logik: Ist Jazz ist anders am Ende Abbey Road und die Ärzte haben ihr Let It Be, ihren finalen Heuler längst in der Hinterhand? Wir verschwörungstheoretisieren weiter. Aber erstens wirkt die Band in diesen Tagen zu gut gelaunt, unternehmungslustig und, nun, hungrig für so düstere Gedanken. Und zweitens ist auch klar: Um die Sache wirklich rund zu machen, müsste dann ganz am Ende noch Phil Spector ran. Und der ist momentan – und wohl auf absehbare Zeit – verhindert.

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