Gesamtdeutscher Rockpalast


Die wohl schönste Arena der Republik hätte für diesen ersten deutsch-deutschen Rockpalast besseres Wetter verdient. Und ein besseres Programm. Jedoch sagten schon im Vorfeld die Herren Rockstars aus der deutschen Millionärsliga ab („Mit den Puhdys auf einer Bühne – nee!“). Ergo kommen neben ostdeutschen Altlasten und den Leipziger Pop-Prinzen nur Selig und Extrabreit als Westvertreter. Eine nicht eben ausbalancierte Mixtur als Wessi-Zaungast wähnt man sich an diesem wolkenverhangenen, kühlen Frühlingsabend auf einem anderen Planeten: Ostalgie pur ist angesagt.

Zunächst bruzzelt die reformierte Stern Combo Meissen ihr schwerfälliges Gebräu. Kommentar meines Nachbarn: „Das erinnert an ‚Rockpommels Land‘ von Grobschnitt. Nur waren die seinerzeit besser.“ Die selbsternannten Pink Floyd des Ostens werden trotzdem mit freundlichem Beifall bedacht. Dann die Zöllner, das wohl ‚jüngste‘ Überbleibsel aus seligen DDR-Rocktagen. Ihr liveerprobter Bläser-Funkrock soll das nächste große Ding werden. Sagt die Plattenfirma. Der Chronist meldet leise Zweifel an, zu altbacken die Arrangements, zu akademisch die Grooves.

Die ersten Kollegen aus dem Westen – Extrabreit. Das populistische Gehämmer von Kleinkrieg & Hawaii gereicht zu zaghaften Ausschlägen auf der noch trägen Stimmungsskala. Weiter geht’s mit City: folkloristisch angehauchter zoies-Rock, erste enthusiastische Anfälle im Ossi-Lager, das mit etwa 90 % die gröhlende Publikums-Mehrheit stellt. Geht es hier womöglich um verlorene DDR-Identität? Schlagartig wird das klar, als Karat auf die Bühne steigen und in epischer Breite über ihre sieben Brücken gehen. Leadsänger Herbert Dreilich, ein gedrungener Mittvierziger, für den 1989 zumindest ernährungstechnisch die Wende zum Besseren brachte, provoziert bei der mittlerweile mehrheitlich alkoholisierten Menge hingebungsvolle Gesangsübungen. Die sperrigen Reim-Ungetüme, sozusagen lyrische Hoch-‚Karäter‘, gerinnen in der Arena zur Selbstfindung im Fischer-Chor-Format – Abkühlung tut not. Und die erscheint in Form von Selig. Zwar sind die Jungs die ersten, die musikalisch auf der Höhe der Zeit agieren, jedoch hier so fehl am Platz wie eine Primaballerina beim Wrestling. Selig kämpfen tapfer – der Ostwind ist stärker.

Und dann die Band, wegen der zweifellos das Gros der Leute die 42,50 DM Eintritt locker gemacht haben: die Puhdys, das wieder flottgemachte Flaggschiff der Deutschen Demokratischen Rockkultur. Inzwischen ist es dunkel geworden – den i2.ooofachen O(h)rgasmus mit Wunderkerze und Bier kann nichts mehr aufhalten. Leadsänger Dieter ‚Maschine‘ Birr gibt mit den alten Recken die alten Hymnen zum besten. ‚Wir spielen bis zur Rockerrente‘ – die Waldbühne gröhlt sich mit dem Motto des Abends auf die kollektive Zeitreise. Selbst dem Wessi-Chronisten, dem jeglicher Bezug zur Götterdämmerung des Ossi-Rock fehlt, läuft ein Schauer über den Rücken. ‚Maschine‘ hockt minutenlang auf dem Drumpodest und überläßt der Meute das Singen. Sein Job ist getan, er hat den Menschen das Erlebnis verschafft, wegen dem sie hergekommen sind: ‚Uns macht ihr nicht ein, auch wenn ihr unseren Staat geschluckt habt. Wie haben unsere eigenen Bands!‘ Und was für welche. Ironie des Abends: Für die Prinzen, immerhin die einzige Gruppe aus der DDR-Konkursmasse, die es zu gesamtdeutschem Popruhm gebracht hat, hagelt es Pfiffe. Der Mob will die Puhdys. Fünf Jungs aus Sachsen, die gerne Millionäre wären (und schlimmerweise damit auch noch durchgekommen sind), haben hier nichts verloren. Ich eigentlich auch nicht. Obwohl die Waldbühne eine wunderschöne Anlage ist – allerdings auch ohne Musik.