Gerry Rafferty
Vor zweieinhalb Jahren zog Gerry Rafferty einen Schlußstrich unter eines der schönsten Kapitel der Rockgeschichte: Er löste seine Band „Stealers Wheel“ auf, die drei Alben lang das Rockvolk mit sanften, melodischen und ungemein eingängigen Songs verwöhnt hatte. Doch nun ist der begabte Schotte wieder in die Hitparaden zurückgekehrt – mit einem Song, der „Baker Street“ heißt und schon jetzt zu den besten Ohrwürmern des Jahres gehört.
Er wurde am 16. April 1947 in Glasgow, Schottland, geboren, macht seit seinem löten Lebensjahr Musik, die er nirgendwo eingeordnet sehen möchte, und hat absolut nichts Auffälliges an sich. Als ich ihn im Münchener Fernsehstudio der „Szene ’78“ treffe, wo er gerade den aktuellen Hit „Baker Street“ aufzeichnet, ist sogar der Bart aus seinem Gesicht verschwunden.
Gerry Rafferty und seine Begleitband aus Studiomusikern haben mit ihrer guten Laune auch die übrigen anwesenden Bands in Stimmung gebracht; selbst so hartgesottene Typen wie Dr. Feelgood und The Boomtown Rats hören konzentriert zu.
Gerry Rafferty mag unter seinem Namen in Deutschland noch ein Unbekannter sein, trotz der beiden aktuellen Singles-Erfolge aus seinem neuen Solo-Album „City To City, nämlich dem gleichnamigen Titelsong und dem bereits erwähnten „Baker Street“. Aber die Band, die Rafferty’s musikalische Vergangenheit ausmacht, Stealers Wheel, hat auch in Deutschland einen respektablen Ruf. Seine allererste Gruppe ist im wesentlichen nur den Folk-Fans bekannt. Was dazu führte, daß man Rafferty lange Zeit nur als schottische Folkmusiker betrachtete.
Als jedoch das erste Stealers Wheel-Album 1973 erschien, das die amerikanischen Erfolgsproduzenten Leiber/Stoller betreut hatten, sah die Sache plötzlich ganz anders aus. „Stuck In The Middle With You“ wurde ein internationaler Mammut-Hit, die Band mit Dylan, den Beatles und den Everly Brothers verglichen, und Gerry Rafferty gar mit Paul McCartney – was seinen Gesangsstil und die Stimme anbelangt, war das sicher nicht unrichtig. Doch dann verließ Rafferty ganz überraschend die Gruppe. „Ich war etwas sauer, wie die Produktion von „Stuck In The Middle With You“ ausgefallen war. Außerdem war ich nie der Typ für eine konstante Gruppe.“
Sechs Monate später finden wir Rafferty bei der Band zurück. Die Probleme blieben: „Plötzlich hatten wir diesen gigantischen Hit. Plattenfirma und Management wollten, daß wir eine US-Tour machen, aber ich hatte keine Lust dazu. Die Band war zwar im Studio o.k., aber nicht auf der Bühne. Ich habe mehr Zeit verlangt, was abgelehnt wurde.“ Zu einer Tour kam es nicht. Das zweite Album wurde dann bereits in neuer Besetzung eingespielt und erschien 1973 unter dem Titel „Ferguslie Park“. Das dritte, „Right Or Wrong“, erst 1975. Von der ursprünglichen Besetzung waren nur noch Rafferty und sein Kompositionspartner Joe Egan geblieben, damit war das Kapitel Stealers Wheel abgeschlossen. „Unser Management ging bankrott. Es war unmöglich weiterzumachen“, sagt Rafferty.
Zwei Jahre dann war Gerry Rafferty damit beschäftigt, die geschäftlichen Dinge anzuwickeln: „Das Chaos war immens“. Dazwischen setzte er sich hin und schrieb Songs für eine neue Solo-LP. Anders als die erste, die bereits 1972 mit dem provokativen Titel „Can I Have My Money Back“ erschien, das Geld aber nicht zurückbrachte, wurde „City“ in kürzester Zeit ein Erfolg: „Wirklich überrascht hat es mich eigentlich nicht, aber es ist sehr angenehm. Vor allen Dingen habe ich jetzt den Beweis, daß ich wirklich keine Gruppe brauche, um mich durchzusetzen. Ich bekomme meine Songs auch als Solist mit Begleitmusikern rüber, und das ist für mich sehr wichtig.“
Wieso seine ruhige, ausgefeilte und teils sehr romantische Musik so gut ankommt, kann sich der bescheidene, humorvolle Schotte auch nicht so recht erklären: „Es gibt ganz offensichtlich auch neben New Wave und Punk noch ein anderes Publikum.“ Dieses Publikum, so glaubt er, hat er unter den Gleichaltrigen gefunden. „Leute, die die 60er Jahre überlebt haben, die sich Dylan, die Beatles, The Band oder Rolling Stones anhören.“ Rafferty ist noch heute ein großer Beatles-Fan („obwohl sich die Band aufgelöst hat!“) und hofft, daß er nun endlich einmal nicht nur im Fernsehen, sondern auch auf der Bühne auftreten kann. Wenn alles gutgeht, in Deutschland noch im November.