George Lucas: Der einsame Imperator


Vor nicht allzu langer Zeit in unserer Galaxie... verpaßte George Lucas mit einem revolutionären Weltraummärchen dem Kino ein neues Gesicht und katapultierte sein aufkeimendes Imperium aus der Umlaufbahn um den Planeten Hollywood in die kreative Unabhängigkeit. 20 Jahre später ist der Kontrollfreak der mächtigste Mann im Filmgeschäft. Und der einsamste.

ZUM KINOSTART VON STAR Wars: Episode 1 ist alles über Die dunkle Bedrohung gesagt worden, was es zu sagen gibt. Man weiß um das Innenleben der neuen Figuren und der Stars dahinter, ist mit den Jedi-Riltern, ihren Padawan-Azubis und der Macht bestens vertraut und hat die Geographie von Naboo, Tatooine und Coruscant verinnerlicht. Im Dunklen bleibt nur der Mann, der den Mythos aus dem Nichts erschallen hat: George Lucas. Trotz vieler Interviews, in denen er für ihn ungewöhnlich viel geredet, letztlich aber doch nur wenig gesagt hat, bleibt die graue Eminenz hinter dem Ereignis eine unbekannte Größe. Er ist der machtigste Mann Hollywoods. Er wird an Episode l schätzungsweise eine Milliarde Dollar verdienen. Er hält ein Imperium in Händen, das sich längst verselbständigt und ihn zum Untertan gemacht hat. Und doch weiß man nur wenig über den Mann, dem als einzigem Filmemacher der New-Hollywood-Bewegung in den 70er Jahren, mehr noch als seinem guten Freund Steven Spielberg, die Verwirklichung des Traumes gelungen ist, sich von Hollywoods Studiosystem abzunabeln und in völliger Unabhängigkeit arbeiten zu können. Der Preis, den er dafür zahlen mußte, war hoch: Um seine Autarkie zu erwirken, mußte Lucas ein Monster erschallen, das das verhaßte System mächtiger denn je und es all seinen ehemaligen Weggefährten fortan nahezu unmöglich machte, ihre Vision von Film als Kunst und persönlichem Ausdruck zu realisieren. George Lucas‘ als positives Weltraummärchen getarnte Allegorie auf den Vietnamkrieg gab 1977 den Startschuß für die Ära der Blockbuster und änderte nicht nur den Verlauf der Filmgeschichte für immer, sondern auch das Leben ihres Schöpfers. Die besten Shakespeare-Tragödien schreibt doch das wahre Leben.

ES WAR EINMAL EIN JUNGER, wißbegieriger Lehrling, der sich mit einem welterfahrenen, furchtlosen Haudegen zusammenschloß, um dem bösen Imperium mit einer Handvoll Rebellen die Hölle heiß zu machen. Verlegt man diese Inhaltsangabe in eine weit, weit entfernte Galaxie vor langer Zeit, landet man bei Krieg der Sterne, Luke Skywalker und Han Solo. Bleibt man in der westlichen Hemisphäre und bewegt sich zurück ins )ahr 1969, dann trifft man auf George Lucas, einen jungen Filmfan, der mit dem väterlichen Francis ford Coppola am Set von dessen Finnegan’s Rainbow Freundschaft schließt. Hollywood befindet sich gerade in Aufruhr: ein kleiner Streifen namens Easy Rider, von zwei Hippies für ein Taschengeld gedreht, hat soeben alle Regeln gebrochen, Millionen eingespielt und das hoffnungslos veraltete Sludiosystem überrollt. Verzweifelt versuchen die Bosse, auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Und aus Angst, etwas zu verpassen, geben sie jungen, hungrigen Filmemachern mehr Macht und Kontrolle, als es jemals zuvor der Fall war. Es ist eine gute Zeit für Träumer, und Coppola und Lucas sind große Träumer. Goppola spricht laut und eloquent davon, mit seiner kleinen Firma Zoetrope ein eigenes Studio aufzubauen, in dem nur die Künstler das Sagen haben und es um Inhalte und Visionen, nicht um Kommerz und Boxoffice geht.

Der stille, schüchterne Lucas, der nicht viele Worte macht und leidenschaftlich in Bildern denkt, ist begeistert von dieser Vorstellung. Coppola erweist sich auch als geschickter Taktiker: Ohne tatsächlich etwas in der Hand zu haben, schließt er mit Warner einen Deal über zehn Filme ab, bei denen er die komplette künstlerische Kontrolle inne hat. Das erste Projekt soll George Lucas‘ THX 1138 werden, die Spielfilmfassung eines sehr pessimistischen Science Ficiton-Kurzfilms des aus strengem Elternhaus stammenden Kaliforniers. Vom Dreh bis zur Veröffentlichung sollen zwei Jahre und endlose Kämpfe mit den Executives vergehen. Lucas‘ bislang diffuser und ungerichteter Haß auf das Studiosystem hat plötzlich einen Namen. „Es war, als wollten sie meinem Baby die Finger abschneiden“, erinnert er sich Jahre später. Lucas schwört, den Buchhaltern nie wieder das Feld zu überlassen. Weitere zwei Jahre später wird sich Lucas an seinen Schwur erinnern.

Mit Coppola, der nach dem überraschenden Erfolg von Der Pate (1971) in Hollywood tun und lassen kann, was er will, als Produzent im Rücken, wagt sich Lucas mit einem quasi nicht existenten Budget an seinen nächsten Spielfilm, American Graffiti. Lucas hat sich verändert: Seine Abscheu vor den Anzugträgern in Hollywood ist geblieben, aber auch zu seinen Weggefährten Coppola, Martin Scorsese, Brian De Palma, Paul Schrader oder John Milius verhält er sich distanziert: Von Minderwertigkeitsgefühlen gequält, hält er sich für einen Versager, dem künstlerische Anerkennung auf ewig vorenthalten bleiben wird. In tiefster Depression denkt er an glückliche Zeiten zurück, an seine problemlose Kleinstadt-Kindheit im kalifornischen Modesto – und findet so den Inhalt für einen Film, der nur ein Ziel haben soll: Er soll sein Publikum unterhalten, es mit einem guten Gefühl aus dem Kino entlassen. Für eine halbe Million Dollar dreht er den Film in 28 Tagen. Die professionellen Darsteller inszenieren sich selbst, Lucas ist vorrangig an der visuellen Umsetzung interessiert: Schauspieler sind für ihn schon damals wenig mehr als ein notwendiges Übel. Eine erste Testvorführung in Nordkalifornien verläuft zwar sehr positiv, Universal-Chef Ned Tanen bleibt jedoch ungerührt und erklärt den Film für „nicht veröffentlichbar“. Francis Ford Coppolas Intervenüon ist es schließlich zu verdanken, daß American Graffiti 1973 überhaupt in die Kinos kommt. In wenigen Monaten bringt er Liniversal mehr als 50 Millionen Dollar ein und zählt damit bis heute zu den fünf Filmen mit der höchsten Gewinnspanne in der Kinogeschichte.

Coppola will, daß Lucas die Regie seines Projektes Apocalypse Now übernimmt. Lucas lehnt ab. „Als ich American Graffiti drehte, habe ich entdeckt, wie aufregend es ist, einen positiven Film zu machen“, erzählt er später. „Ich überlegte, ob ich als nächstes nicht einen Film für noch jüngere Kids drehen sollte. In unserer Zeit gibt es keine Western und Piratenfilme, keinen John Wayne und Errol Flynn mehr.“ Bereits im Februar 1972 hatte Lucas mit dem ersten Drehbuchentwurf für Star Wars begonnen, eine große Science-Fiction-Saga im Stil der Buch Rogers und Flash Gordon-Serials, mit Effekten von der Qualität von Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum. Nicht einmal Lucas‘ Agent konnte etwas mit den Entwürfen anfangen. Entsprechend war die Reaktion von Universal, die die erste Option auf den neuen Film von George Lucas hatten. Als Lucas‘ Erzfeind Tanen ablehnte, trug er das Projekt zu 20th Century Fox. Dort machte George Lucas den Deal, der ihn zu dem George Lucas machte, wie man ihn heute kennt. Es ist ein einzigartiger Vertrag: Neben seinem Status als Regisseur bestand Lucas darauf, den Film selbst zu produzieren, um sich nicht mit den Buchhaltern von Fox herumärgern zu müssen. Außerdem sicherte er sich die Musikrechte und alle Profite vom Verkauf des Soundtracks. Und gegen eine Halbierung seines Regisseurs-Gehaltes auf 500.000 Dollar überließ man Lucas auch noch die Sequel-Rechte und die Rechte am Merchandising. Star Wars war George Lucas‘ Lieblingsbaby, und diesmal sollte niemand in der Lage sein, dem die Finger abzuschneiden.

Zweieinhalb Jahre arbeitete Lucas am Drehbuch. Keine leichte Zeit, denn weder war sicher, daß Fox irgendwann grünes Licht geben würde, noch konnte sich Lucas auf die Unterstützung seiner Freunde berufen. Verletzt nahm er zur Kenntnis, daß sie ihn zu einem stärkeren künstlerischen Statement zwingen wollten. Dafür war es zu spät: langst war Lucas in der von ihm geschaffenen Welt aufgegangen. Jetzt galt es nur noch, sie adäquat umzusetzen. Am 26. März 1976 begannen die Dreharbeiten in den Elmstree Studios in London – weit weg vom Einfluß der Studiochefs von Hollywood. Wieder erwies sich der Dreh für den menschenscheuen Lucas als Alptraum. Die britische Crew verlachte ihn, er hatte Schwierigkeiten, die immer noch vorhandenen Probleme des Drehbuchs zu beseitigen. Lucas schwor sich, nie wieder selbst Regie zu führen (Episode I ist Lucas erste Regiearbeit seit 22 Jahren). Und dann mußte er kurz vor Schluß auch noch den Bettelgang zum Studio antreten, um Geld für die Fertigstellung des mit insgesamt 9,5 Millionen Dollar geradezu läppisch billigen Films zu erhalten. Es war das letzte Mal, daß Lucas etwas von einem Studio wollte. Nur zwei Jahre später sollten sich die Dinge umgekehrt haben.

NACH ENDLOSEN SCHWIERIGKEITEN kam Star Wars am 25. Mai 1977 in die Kinos und änderte alles. Der Film spielte als erster überhaupt mehr als 200 Millionen Dollar in den USA ein und wurde zum kulturellen Phänomen. Gleichzeitig setzte Scorsese Neiv York, New York in den Sand, landete William Friedkin mit Sorcerer (dt.: Atemlos vor Angst) einen Riesenflop, während Coppola im Dschungel der Philippinen verschollen war, um mit Apocalypse Now seine persönliche Apokalypse zu erleben – nach dem Sensationserfolg von Star Wars schickte er Lucas ein Telegramm: „Schick‘ Geld!“ Aber der hatte keine Lust mehr, die Weggefährten von einst zu unterstützen. Weder subventionierte er Coppolas schlingernde Zoetrope Productions, noch setzte er Pläne, eine Kinokette zu kaufen, in die Tat um.

Lucas hatte anderes im Sinn. Aus dem schüchternen Kid im Schatten Coppolas war ein knallharter Businessmann geworden, der seine Interessen mit allen Mitteln vertritt. Weil er mit ihrer Arbeit unzufrieden war, beteiligte er seine Effektcrew von Industrial Light & Magic nicht am Einspielergebnis von Star Wars. Die meisten desertierten. Mit den verbliebenen sechs Leuten errichtete Lucas ein neues ILM-Büro in Marin County im Norden von San Francisco. Bald siedelte er komplett über nach Nordkalifornien, um sich dort seine Skywalker Ranch zu errichten und Coppolas Zoetrope-Traum von einem autark von Hollywood funktionierenden Studio zu realisieren. Nur: Ein Heim für aufstrebende Künstler und ihre Visionen ist Lucas‘ Reich nie geworden. Vielmehr wurde es ein Zuhause für High-Tech-Freaks, die zwar die Entwicklung moderner Special Effects vorantrieben, häufig aber nur allzu eindimensionale Filme tricktechnisch perfekt umzusetzen halfen. Lucas produzierte die Indiana Jones-Filme seines Freundes Steven Spielberg und arbeitete auch nochmal mit Coppola zusammen (Tucker), verlor sich aberzunehmend in filmischem Dünnpfiff (Howard – Ein tierischer Held, Willow). Lucas waren nicht mehr die Inhalte wichtig, sondern die Macht, Hollywood den Mittelfinger zeigen zu können. Sein Freund Steven Spielberg sagt: „Die Executives mußten feststellen, daß sie, wenn sie mit George Lucas arbeiten wollten, nicht mehr über 20th-Century-Fox-Geschäfte sprachen, sondern über Lucas-Geschäfte. Und er gab den Ton an. Sie hatten nicht mehr die Macht, Nein zu ihm zu sagen oder Änderungen zu fordern.“ Lucas brachte es in einem flapsigen Moment einfacher auf den Punkt: „Am Anfang haben sie mich gefickt, jetzt ficke ich sie.“ Schon bei Das Imperium schlägt zurück sollte 20th Century Fox zu spüren bekommen, was er damit meinte: Er finanzierte den Film selbst und erhielt danach von Anfang an 50 Prozent und nach einer gewissen Zeit 70 Prozent des Einspiels. Überdies behielt er die Rechte am Negativ, an der TV-Auswertung und an den Merchandising-Artikeln. Bis 1997 hatte Lucas an den Star Uta-Filmen, inklusive der Special Editions-Auswertung, mehr als drei Milliarden Dollar verdient. Die Gewinnspanne der neuen Trilogie dürfte um ein Vielfaches höher sein: Episode I drehte Lucas, ohne daß ein Studio in irgendeiner Form beteiligt war. Er brachte die 115 Millionen Dollar Budget komplett aus eigener Tasche auf und stellte den Film in den eigenen Räumen mit langjährigen Mitarbeitern fertig. Er wählte Fox aufgrund guter Erfahrungen in der Vergangenheit als Verleih; mehr hat das Studio nicht zu melden. Auch die Kinobesitzer in den LISA mußten bald feststellen, daß mit George Lucas anno 1999 nicht zu spaßen ist: Zunächst hatte er 90 Prozent der Einnahmen der ersten Wochen verlangt (üblich ist ein Schnitt von 55), plus der Zusage, daß sein Film zwölf Wochen im jeweilig größten Saal des Kinos spielen müßte. Eine unpraktikable Forderung in Zeiten, in denen wöchentlich Blockbusterkandidaten vom Stapel laufen und ein Film selten länger als fünf Wochen in den Top Fünf der Charts verweilt. Man geht davon aus, daß sich Lucas schließlich mit 70 Prozent des Einspiels zufriedengab. 400 Millionen Dollar hat Episode I bislang eingespielt. Davon gehen etwa 280 Millionen an Lucas. Daß es nicht mehr sind – und daß der Film vor allem die Start-Bestmarke von Spielbergs Vergessene Weh nicht übertraf, ist sicherlich darauf zurückzuführen, daß sich einige Kinoketten nicht mit Lucas arrangieren konnten. Der Filmemacher wird es verkraften. Seinen Kampf mit Hollywood hat er gewonnen. Während die einstigen Kollegen Martin Scorsese, Francis Ford Coppola oder Robert Altman kämpfen müssen, um im Zeitalter von Codzilla und Armageddon selbst kleinere Projekte finanziert zu bekommen, andere wie William Friedkin, Peter Bogdanovich, Michael Cimino oder John Milius fast gar nicht mehr arbeiten, kann sich George Lucas rühmen, der erfolgreichste Independent-Filmer der Welt zu sein. Aber es ist ein Pyrrhussieg: Star Wars hat Lucas viele Freunde und seine Ehe (nach dem ersten Screening von Episode IV 1977 soll seine Frau geschimpft haben, der Film sei die größte Scheiße, die sie je gesehen hätte) gekostet. Star Wars hat ihn zu einem Einsiedler gemacht, einem Floward Hughes der modernen Filmbranche, voller Argwohn und Melancholie. Lucas hat sich in das letzte geflüchtet, was ihm neben Reichtum und Macht übrig bieb: die Träume seiner Kindheit. Träume von einer Galaxie, weit, weit entfernt von einer vom Geschäft bestimmten Realität, in der Träumer gefeiert werden, wenn sie als David das Goliath-System besiegen. Und wenn die dunkle Seite der Macht in den bisherigen vier Filmen von Lucas‘ Epos am stärksten und überzeugendsten wirkt, dann wohl, weil Lucas sie sehr gut kennt. Als Darth Vader Luke Skywalker am Ende von Das Imperium schlägt zurück auffordert, dem Imperium zu dienen und zur dunklen Seite überzulaufen, weil dies sein Schicksal sei, kann Luke ihm ins Gesicht lachen und den Sprung in die Tiefe wagen. Als das von Lucas selbst geschaffene Imperium seinen Regisseur und Produzenten rief, gab er nach. „Ich habe lange gebraucht, um mich mit Star Wars abzufinden“, sagt er. „jetzt ist es mir gelungen, und deshalb mache ich damit weiter. Star Wars ist mein Schicksal.“