Genie und Wahnsinn


Pink Floyd

15 Re-Releases

Harvest/EMI

Prog-Rock: Das Gesamtwerk Pink Floyds in einem umfangreichen Re-Release-Paket

Seit 44 Jahren sind sie unzertrennlich: Pink Floyd, 1996 abgedanktes, aber immer mal zu besonderen Ereignissen reaktiviertes Psychedelic-Relikt, und die Plattenfirma EMI. Das 1965 aus der Taufe gehobene Londoner Quartett hält die Treue zu seinem ersten Arbeitgeber. Da verwundert es kaum, dass jetzt die komplette Neuauswertung des Gesamtkatalogs ansteht. 14 Studioalben, aber auch opulente Spezialeditionen stehen unter dem etwas eigentümlichem Motto „Why Pink Floyd?“ im Mittelpunkt einer dreiteiligen Veröffentlichungskampagne: am 23. September, am 4. November sowie am 24. Februar 2012. Mehr als zwei Dutzend Beteiligte – darunter langjährige Wegbegleiter wie Art Director Storm Thorgerson – benötigte die zweijährige Konzeption, die ein Paket aus Einzel-CDs, Box-Sets, DVDs, Blu-ray Discs, SACD, eine Reihe digitaler Formate, iPhone Apps sowie eine „Best Of'“ bietet.

Wer auf gesuchte Raritäten wie „Lucy Leave“, „King Bee“, „In The Beechwoods“, die 1967 geplante dritte, niemals veröffentlichte Single „Scream Thy Last Scream“ / „Vegetable Man“ und zahllose BBC Sessions hoffte, sieht sich ein weiteres Mal enttäuscht. Auf A Foot In The Door – The Best Of Pink Floyd findet sich nur hinlänglich bekanntes Material.

Nach den erstaunlichen Singles „Arnold Layne“ und „See Emily Play“ überrascht das Debütalbum The Piper At The Gates Of Dawn im August 1967 mit noch Gewagterem: Es ist die Reise in eine verschrobene Parallelwelt aus Vergangenem und Zukünftigem. Sechs von elf versponnenen Songs steuert Ur-Frontmann Syd Barrett bei, darunter die Ode an seinen Kater „Lucifer Sam“, sowie kauzige Porträts über einen Zwerg („The Gnome“), eine Vogelscheuche („Scarecrow“) und ein beseeltes Fahrrad („Bike“).

Wie kompensiert eine Band unter Erfolgsdruck den durch übermäßigen LSD-Konsum verursachten Abgang des Hauptsonglieferanten? Pink Floyd verkraften den Verlust beim Nachfolger A Saucerful Of Secrets relativ gut, ohne den Stil Barretts krampfhaft zu imitieren. Bassist Roger Waters übernimmt das Kommando, als Ersatz kommt Barrett-Intimus David Gilmour. Den Ausbau seiner Rolle als Leader betreibt Waters 1969 auf dem Soundtrack From The Film More für Regisseur Barbet Schroeder. Akustisch-Balladeskes („Cirrus Minor“, „Crying Song“) trifft auf Progressive Underground härterer Gangart („The Nile Song“, „Ibiza Bar“). Drei Jahre später kommt es zur erneuten Zusammenarbeit mit Schroeder für den Film „La Vallée“: Obscured By Clouds wirkt wie eine Fortsetzung von More.

Zum ersten US-Verkaufserfolg mit Platinauszeichnung wird das Doppelalbum Ummagumma: Auf Überlänge gedehnt, liefert Album Nummer eins bekanntes Material von Konzertmitschnitten aus Birmingham und Manchester. Vier solistische Einzelwerke finden sich auf der zweiten CD.

Nachdem Deep Purple 1969 auf Concerto For Group And Orchestra Klassik mit Rock fusionieren, ziehen Pink Floyd 1970 mit Atom Heart Mother nach – ihrem ersten Nummer-eins-Album in Großbritannien. Die sechsteilige Suite klingt streckenweise überambitioniert und verkitscht. Ebenfalls auf Konzept setzt ein Jahr später Meddle. Die ganze zweite Seite des Vinyl-Albums nimmt das von Gilmour und Wright co-komponierte „Echoes“ ein, abermals ein Trip in die unendlichen Weiten des Weltalls.

Ein Jahrhundertwerk gelingt Pink Floyd 1973 mit The Dark Side Of The Moon: Zwei Jahre arbeitet die Band mit einer Armada von Gastmusikern an dem zehnteiligen Songzyklus, der die Auswirkungen des Kapitalismus seziert und dessen massiver Erfolg fortan Roger Waters‘ Dominanz unterstreichen wird: „Breathe“, „Money“, „Time“ und „Us And Them“ sind die Hits des Albums, das 741 Wochen lang ununterbrochen in den US-Billboard-Top-200 steht und sich bis heute weit über 35 Millionen Mal verkauft hat.

Wish You Were Here kann 1975 den gigantischen Erfolg des Vorgängers nicht wiederholen, erfreut sich aber nicht minderer Beliebtheit. Im Mittelpunkt steht der sieben Jahre zuvor verschüttgegangene Gruppeninitiator Syd Barrett. „Shine On You Crazy Diamond Part One (1- 5)“ und „Part Two (5-9)“ wie auch der Titelsong befassen sich mit dem 2006 verstorbenen Barrett, der während der Aufnahmen in den Abbey-Road-Studios auftauchte, aber von keinem seiner Ex-Kollegen erkannt wurde, weil er massiv an Gewicht zugelegt sowie Kopfhaare und Augenbrauen rasiert hatte. Reichlich uninspiriert klingt 1977 die Hommage an George Orwells Parabel „Animal Farm“. Das Konzept von Animals, Tierporträts als Metapher für menschliche Charaktere, scheitert an der Umsetzung.

1979 hatte sich Roger Waters längst zum Gruppentyrannen entwickelt, als er das Konzept für The Wall durchsetzt. Waters‘ Animositäten mit Richard Wright führen zu dessen Ausstieg – allerdings bleibt der Keyboarder der Band vorerst als Session- und Tourneemusiker erhalten. In einer klaustrophobischen Selbstanalyse rollt Waters Schicht für Schicht die eigene Biografie und die seines Vaters auf, um sie genüsslich auszubreiten. Aber The Wall ist vor allem eines: ins Gigantomanische aufgeblasene heiße Luft. Das krude Konzeptwerk The Final Cut hat 1983 abermals den Krieg und Roger Waters Vater zum Thema. Ergebnis: aufgeblasener Produktionsstil, pathetische Todeshymnen und ein prophetischer Albumtitel. Permanente Spannungen während der Sessions führen zum Ausstieg von Roger Waters.

Einzig die schwerfällig blecherne Produktion im typischen Stil der Achtzigerjahre vermiest 1987 ein wenig das eigentlich angenehme Duo-Projekt von Gilmour/Mason: A Momentary Lapse Of Reason. Wieder mit an Bord: Richard Wright. Und keiner vermisst Roger Waters.

Im Reinen mit sich sind Pink Floyd erst sieben Jahre später: Für das finale The Division Bell. Der 2008 verstorbene Richard Wright ist wieder vollwertiges Bandmitglied. „Come Back To Life“ funktioniert nicht nur als Song, sondern auch als Motto von drei durch die Waters-Hölle gegangenen Freunden.

Die Pink-Floyd-Diskografie

The Piper At The Gates Of Dawn

A Saucerful Of Secrets

Soundtrack From The Film More

Ummagumma

Atom Heart Mother

Meddle

Obscured By Clouds

The Dark Side Of The Moon

Wish You Were Here

Animals

The Wall

The Final Cut

A Momentary Lapse Of Reason

The Division Bell

A Foot In The Door – The Best Of Pink Floyd

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