Gene Simmons: Gene Simmons im Interview
Gene Simmons Gift und Galle spuckt der 48jährige Rock n'Roll-Senior nicht nur auf der Bühne. Auch im Interview nimmt der kreative Kopf von KiSS kein Blatt vor den großen Mund.
Das letzte Album markiert eine Wende in der Karriere von Kiss. Themen wie Kindesmissbrauch oder Religion haben mit spaßigem „Rock’n’Roll All Night“ nichts zu tun. Werden Kiss auf Ihre alten Tage am Ende noch seriös?
Scheint so. Der Grund dafür liegt offenbar an der Zusammensetzung der Band. Das ist wie bei einer Party: Besucht man ein Fest, zu dem nur Geschäftsleute eingeladen sind, dann ist das eine andere Veranstaltung, als wenn auf einer Party nur Stripperinnen rumhängen.
Klingt einnleuchtend. Bloß, welche Party feiert Kiss?
Bruce Kulick und Eric Singer sind andere Typen als Ace Frehley und Peter Criss. Sie sind weniger sex-orientiert und wesentlich versierter an ihren Instrumenten. Deshalb sind die neuen Songs auch keine simplen Mitgrölnummern mit sexistischen Texten.
Habt Ihr kaine Angst, daß dia neua Tiefgründigkeit Eure alten Fans verschrecken könnte?
Überhaupt nicht. Es gibt einige wenige Bands, die Album für Album das gleiche Programm abspulen können, beispielsweise AC/DC. Wir hingegen sind flexibel. Wir können ein orchestrales Werk abliefern oder Songs über Schwänze und Eier.
Könnte es sein, daß Ihr mit der letzten Platte einfach mal ernst genommen werden wolltet?
Wir werden niemals ernst genommen werden. Ganz egal, was wir alles anstellen.
Ärgert Dich diese Einstellung Eurer Band gegenüber?
Nein. Wir haben das längst akzeptiert. Man hat uns immer beschuldigt, eine große Show abzuziehen und aus allem ein Spektakel zu machen würden. Außerdem hieß es stets, wir seien nicht in Mode. Wir sind momentan nicht in Mode und werden es garantiert auch morgen nicht sein. Mode ist etwas für Feiglinge, die Angst davor haben, nicht wie alle anderen auszusehen. Alles, was man braucht, ist genug Mumm in den Eiern, um seinen eigenen Weg zu gehen. Egal, ob die Leute das kapieren oder nicht.
Mit besagtem Mumm in den Eiern ist es Euch gelungen, seit fast 30 Jahren im Geschäft zu sein…
Ja, heute sogar mehr als je zuvor. Nimm nur die Läden, in denen man den Kram kaufen kann, der an Elvis oder an die Monroe erinnert. Bisher war Elvis der große Renner, aber letztes Jahr haben sich Kiss-Gegenstände dreimal besser verkauft – Kiss Action Figuren beispielsweise, oder auch die Kiss-Comics von den „Spawn“-Machern.
Inwieweit kümmerst Du Dich um die Vermarktung von Kiss-Fanartikeln? Hast Du – wie es heißt – tatsächlich In allem Deine Finger drin, was direkt oder indirekt mit Deiner Band zu tun hat?
Vom Anfang bis zum Ende.
Gilt das auch für den großen Kiss-Film, dar angeblich gerade in Arbeit sein soll?
Die Finanzierung steht. Im Augenblick schreibe ich gemeinsam mit Floyd Mutrux am Drehbuch. Floyd hat auch die Drehbücher für die neuen Filme von Mel Gibson und John Travolta geschrieben.
Wird der Film Ober Kiss eine Parodie?
Nein, wir sind im Film echte Superhelden.
Superhelden? Wie das?
Natürlich. Helden waren wir ja auch schon früher. In den 70ern gab s Kiss-Comics und vor zwei, drei Jahren „Kiss Meets The X-Man“.
Jeder von Euch hat also seine eigenen Superkräfte?
Na, klar!
Der Film wird also keine Komödie Im Stil von „Spinal Tap“?
Nein, er wird ganz ernst. Und teuer. Wir rechnen mit 40 Mio. Dollar. Und die Besetzung? Spielt Ihr Euch selbst?
Sag ich nicht. Du weißt ohnehin schon zu viel.
Was habt Ihr noch In der Mache?
Das Kiss-Mobil zum Beispiel. Ein Auto, neben dem das Batmobil wie ein Kinderkarren aussehen wird. Wir werden es bauen und verkaufen. Zudem wird es Kiss-Kreditkarten geben. Ein Mordsspaß! Während sich andere Bands um ihre Glaubwürdigkeit sorgen, haben wir unseren Spaß.
In Kalifornien geht das ja auch ganz gut. Lebst Du noch In Los Angeles?
Ich lebe, wo immer ich will. Meine beiden Kinder gehen allerdings in LA zur Schule.
Wo verbringst Du die meiste Zelt?
Wo immer ich gerade arbeite. Viele Musiker, die mit Euch angefangen haben, sind langst von der Bildfläche verschwunden. Gibt es da überhaupt noch Bands, denen Du Dich In besonderer Welse verbunden fühlst?
Den Stones. Was aber nicht bedeutet, daß ich sie nicht von Bühne blasen möchte. Das ist wie bei einem Kind und seinem Vater. Daddy ist der Held, man blickt zu ihm auf. Dann spielt man zusammen Basketball, und was will man? Den Vater besiegen! Denn wenn man ihn schlägt, wird er stolz auf einen sein. Ich will mit den Stones spielen, um sie von der Bühne zu fegen!
Seid Ihr jemals im Umfeld der Stones aufgetreten?
Nein, nie.
Hast Du sie denn wenigstens mal kennengelernt?
Nein, wir haben uns leider nie getroffen.
Welche Poster hingen früher bei Stones-Fan Gene Simmons an der Wand?
Plakate mit Boris Karloff, Superman und King Kong.
Du hattest zu Schultzeiten sicher einen Spitznamen.
Einen grauenvollen sogar: King.
Im Ernst? Sie nannten Dich King?
Jawohl, hier kommt der King!
Okay, nur warum gerade King?
Keine Ahnung, wahrscheinlich dachte ich einfach, ich sei nun mal der King. Wenn ein Freund bei mir zu Hause anrief, und ich saß gerade auf dem Klo, dann konnte ich meine Mutter mit ihrem ungarischen Akzent sagen hören: „Der King kann jetzt nicht mit dir sprechen. Er sitzt gerade auf seinem Thron.“
Welche Musik mag der King? Heutzutage natürlich.
Ich mag alles, was Kritiker hassen.
Aus Prinzip vielleicht, weil Du es so willst?
Nein, nicht aus Prinzip, sondern weil ich wirklich die Essenz dessen mag, was Kritiker hassen. Ich hab mir beispielsweise „Men In Black“ angesehen und dachte wow, was für ein fantastischer Film! Danach las ich eine Kritik. Da stand irgendwas von einem fehlenden roten Faden in der Story. Ich hab‘ mich ernsthaft gefragt, ob ich den gleichen Film gesehen hatte wie der Kritiker. Wenn ich künstlerischen Film sehe, so einen französischen mit Untertiteln, dann schlafe ich dabei ein. David Lee Roth hat dazu mal was Passendes gesagt: „Kritiker lieben Elvis Costello mehr als Van Haien, denn Kritiker sehen genauso aus wie Elvis Costello.“ Damit hat David recht. Kritiker sind Typen, die nie ’ne Frau abbekommen haben, Typen, die nie in ’ner Band mitspielen durften.
Kritiker sind also alle eifersüchtig?
Klar! Sie beneiden doch jeden, der sich richtig amüsiert, der so viel rumbumst, wie er eben will.
Hat Dir neben „Men In Black“ letztes Jahr noch ein weiterer Film gefallen? „Lost World“ vielleicht?
Oh ja! Er ist zwar nicht so gut wie „Jurassic Park“, aber das ist alles relativ. Hätte man den ersten Teil nicht gesehen, würde man garantiert vom zweiten behaupten, es sei der beste Film des Jahres. Die Dinos sind einfach großartig. Menschenfressende Reptilien sind doch wesentlich unterhaltsamer als „Vier Freunde bei einer Beerdigung“ oder wie zum Teufel dieser Film auch immer hieß. Ich will nicht belehrt werden im Kino. Die wenigsten Leute wollen das. Ich will Unterhaltung, ich will Popcorn. Ich habe nun mal einen einfachen Geschmack, ich stehe eben auf Hamburger und Coca Cola.
Magst Du auch die Spice Girls?
Ich liebe die Spice Girls – leidenschaftlich.
Hast Du ein Lieblings-Spice Girl?
In bester amerikanischer Manier möchte ich mich nicht selbst begrenzen – warum sollte ich sie nicht alle haben? Das brächte Würze ins Leben.
Was genau magst Du an den Spice Glris?
Ich mag ihre positive Botschaft. Egal, ob das nun albern ist oder nicht. Santa Claus ist auch albern. Und Superman erst recht: ein 35jähriger Mann, der in einem hautengen, bunten Kostüm rumrennt. Albern. Aber eben auch magisch, und darauf kommt’s an. Doch zurück zu den Spice Girls. Ich mag sie auch für ihre großartigen Popsongs. Keiner kann sagen, sie seien handwerklich nicht einwandfrei. Abba mochte ich aus genau denselben Gründen. Die Spice Girls sind einfach wunderbar, Hanson ebenso. Dafür habe ich Probleme mit Bands, die sich für Poeten halten oder für die Botschafter Bosniens.
Kannst Du diese Aussage konkretisieren. Wen genau meinst Du damit?
Schlicht und ergreifend jede Band, die auf die Bühne steigt und vom sauren Regen oder vom Waldsterben faselt. Sechs Monate vor ihren Auftritten vor Publikum waren diese Musiker meist noch irgendwelche Deppen, die sich nicht einmal die Schuhbänder zuschnüren konnten. Doch plötzlich meinen sie, sie wären Wissenschaftler, Politiker, Weltbürger- hört mir auf damit!
Was hältst Du von Bands wie den Smashing Pumpkins, die ständig über ihren Erfolg jammern?
Billy Corgan jammert doch gar nicht. Er ist einer der wenigen, die bei ihren politisch korrekten Zeitgenossen nicht glaubwürdig sind, weil er eben ihr Spiel nicht mitspielt. Was ich aber über diese unseligen Jammerer denke, die sich über ihren Reichtum und ihren Ruhm beschweren, ist ziemlich schnell gesagt: Sie sollen sich allesamt nach Tasmanien verziehen, wo man sich einen Scheißdreck um sie kümmert. Vorher sollen sie aber noch einen dicken Scheck für Gene Simmons ausstellen. So sind alle glücklich. Gene Simmons bekommt noch ein bißchen Geld dazu, und auf der Welt gibt es ein paar Jammerlappen weniger. So einfach ist das.
Was denkst Du über den Fall Michael Hutchence?
Ich kannte Michael einige Jahre, und ich hielt ihn immer für einen liebenswerten Kerl. Was da passiert ist, war seine eigene Entscheidung. Ich habe mit Selbstmördern kein Mitleid.
Glaubst Du, daß es Selbstmord war und kein Unfall?
Ich bin überzeugt davon, daß es Selbstmord war. Von dem Moment an, wenn du anfängst, mit Drogen herumzuspielen, bringst du dich ohnehin um – ob nun langsam oder schnell.
Und wie kommentierst Du die Theorie, nach der sich Hutchence versehentlich salbst stranguliert hat?
Ich bin kein Polizist, ich kenne die Details nicht. Aber in meinen Augen ist ohnehin jeder, der regelmäßig Drogen nimmt, über kurz oder lang tot. Ich empfinde daher überhaupt kein Mitleid mit Junkies. Das gilt auch für Kurt Cobain, mit dem ich noch kurz vor seinem Tod gesprochen habe – absolut kein Mitleid.
Wie kommt es zu dieser harten Haltung?
Das kann ich Dir sagen: Wenn du weiß bist, dann gehörst du von vornherein zur Elite der Mächtigen auf diesem Planeten. Bist du dagegen schwarz oder ein australischer Ureinwohner und sagst, das Leben ist nicht fair, dann gebe ich dir hundertprozentig recht. Ich habe Mitleid mit dir und werde etwas für dich tun. Aber es tangiert mich nicht im geringsten, wenn sich ein blonder, weißer Junge aus der Mittelschicht hinstellt und sagt, ich bring‘ mich um. Reich, weiß, privilegiert – was willst du mehr? Wenn du dich dennoch um die Ecke bringen willst, so ist das ganz allein deine Entscheidung. Falls ich so einen Kandidaten auf dem Dach eines Hochhauses sehen würde, wäre ich der erste, der lautstark „spring, du Arschloch“ rufen würde.
Okay, für ein paar Berühmtheiten, die inzwischen tot sind, hast Du kein Verständnis. Wie aber sieht es mit den Lebenden aus? Gibt es unter ihnen auch ein paar bekannte Namen, die Dich nerven? Wenn dem so ist, dann nenne uns doch bitte ihre Namen.
Geht nicht, denn ich bewundere Ruhm und Macht. Die Tatsache allein, daß jemand berühmt ist,verdient meine uneingeschränkte Bewunderung. Es ist genau wie bei den Olympischen Spielen: Einer ist der Sieger, egal ob man seinen Stil zu laufen nun mag oder nicht.
Aber ganz so einfach ist das doch nicht…
Doch. Ich jedenfalls glaube fest daran. Wenn die Leute dich des Ruhmes und der Macht für würdig befinden, dann wählen sie dich zum Sieger – und zwar nur mit ihrem Geld. Geld ist dabei der einzige Maßstab. Die Schiedsrichter bei den Olympischen Spielen halten Tafeln mit Zahlen hoch. Im wirklichen Leben halten dir die Leute grünlich bedrucktes Papier mit dem Dollarzeichen unter die Nase.
Und was hat das zur Folge?
Daß Kiss wiederkommen! Immerhin haben wir auf unserer letzten Tour den höchsten Umsatz gemacht.