Geier Sturzflug
Die Deutschen haben eine neue Nationalhymne. „Bruttosozialprodukt“ heißt der Song – und wer den Titel nur nach dem Refrain beurteilt, für den ist alles klar: „Dann wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt.“ Das paßt wie die Faust aufs Auge der neuen Regierung, ist das Motto der versprochenen Wende, das turnt an, bringt den Aufschwung so richtig auf Touren. Geier Sturzflug müssen es sich gefallen lassen, daß die CDU ihren Song bei Parteiveranstaltungen spielt und die Freunde der Wende fröhlich im Takt mitklatschen.
Aber genau da liegt der Hund begraben. „Bruttosozialprodukt“ ist kein Titel einer konformistischen Gruppe. Im Gegenteil. Ironischer geht’s schon gar nicht mehr. Das ist geschickt verpackte Gesellschaftskritik, da wird am System gebohrt, mehr noch – „Bruttosozialprodukt“ ist eher schon ein Sprengsatz.
Seit fünf Jahren existiert Geier Sturzflug inzwischen schon. Sie stammen aus Bochum und haben sich im Pott einen Namen als ungeheure Liveband gemacht Verschiedene Einflüsse wie Jazz, knochentrocknen Rock und Reggae mischten sie zu ihrer eigenen Richtung, erinnern dabei gelegentlich an die ganz frühen Stones oder an die ersten Platten von Madness – um nur einen ungefähren Eindruck zu geben.
Bereits 1981 erschien die erste LP RUNTERGEKOMMEN, damals noch bei Trikont Auf ihr waren bereits die wesentlichen Songs vertreten, die auch heute noch im fast zweistündigen Programm sind. Innerhalb von sechs Tagen wurde die Platte aufgenommen, knapp zwei Wochen brauchte die Band für ihre neue Scheibe, die in diesen Tagen erscheint.
Und wer diese beiden Scheiben bis zur letzten Rille durchhört, weiß auch gleich, in welche Richtung geflogen wird. Man sollte nicht unbedingt von der Single auf die LPs schließen. Die Single ist durchaus schlagermäßig produziert, verliert etwas vom Dampf, der auf den LPs und vor allem bei Konzerten rüberkommt.
Und das ist der Widerspruch, mit dem Geier Sturzflug jetzt fertig werden muß. Von den neuen Fans erst durch „Bruttosozialprodukt“ entdeckt, wendet sich jetzt ein Teil der Basis mit Grausen ab. Dabei hat die Gruppe jetzt erst die Möglichkeit, auf breiter Front zu Rundumschlägen auszuholen.
Zudem redet ihnen niemand mehr rein. Das ist eben der Vorteil, wenn man ganz oben steht. Und genau da sind Sänger und Gitarrist Friedel Geratsch, Saxophonist Klaus Flehe, Sänger und Gitarrist Michael Volkmann, Keyboarder Deff Ballin, Bassist Werner Borowski und Drummer Uwe Kellerhoff gelandet.
Hans E. Köster