Gefangen


Selbst gestandene Rockstars können nicht immer, wie sie wollen. Diese leidvolle Erfahrung mussten jetzt die erfolgreichen Yank-Punks von The Offspring machen.

Ein Traumwetter in Huntington Beach im Südosten von Los Angeles. Hier unten am Meer ist die Stimmungschon am Vormittag richtig relaxed. Die Mädels führen ihre mit knappstem BUdni-Textil bedeckte Auslegware spazieren, die Rings schultern ihre Surfboards. Kein Wunder, denn die Sonne hat heute endlich einmal den gelben L.A.-Dunstschleier wie eine Gardine beiseite gezogen und spendiert einen wunderbar klaren Tag. Am Pier angeln mexikanische Kids frische Makrelen aus dem Wasser, der Pazifik schiebt surfertaugliche Wellen an den Strand, mit weißem Faden näht ein Flugzeug den blauen Himmel fest. Hm mm, sehr laid back das Ganze, denkt sich der pflichtbewusste Berichterstatter, gönnt sich noch einen Ice Coffee und schaut versonnen einem Schwärm von Pelikanen nach, die in Keilform träge durch das Blickfeld gleiten. Fast schon unwirklich, wenn man bedenkt, dass nur wenige Kilometer von hier kalifornischer Hardcore-Punk von einer Energiegeladenheit produziert wird, die einem den Schweiß auf die Stirn zu treiben vermag. Ist ein solches Tempo bei dieser flirrenden Hitze überhaupt machbar und auch gesund? Fragt sich der Berichterstatter unwillkürlich und lächelt sich mit der üppigen Getränkekarte noch ein wenig kühle Luft zu. Dabei fallt sein Blick auf die Uhr- hoppla, jetzt ist besagtes Tempo nicht nur machbar, sondern auch dringend vonnöten, denn in einer halben Stunde beginnt der Offspring-Termin!

Doch Gott sei Dank: das Industrie-Areal, in dem The Offspring ihr Studio haben, liegt keine zehn Autominuten entfernt. Dexter Holland

hat es gemietet, und Offspring nutzen es, um erste Rohfassungen ihrer Songs zu erarbeiten, die später in anderen Studios neu aufgenommen bzw. feingetunt werden. Man biegt also die MacFadden-Avenue links ab und befindet sich in einem typisch amerikanischen Gewerbegebiet. Das heißt: Reihenweise anonyme Bauten aus Beton und viel verspiegeltes Glas ohne Firmenaufschrift. Hinter diesen Fassaden könnten sich Gentechnik-Finnen ebenso verbergen wie Software-Unternehmen oder auch das Finanzamt. Man steuert in kleinen Straßen, die „Producer Lane“ oder „Product Lane“ heißen. Die “ Product Lane D“ ist ein großer Gebäudekomplex mit vielen kleinen Türen. Hinter jeder befindet sich ein Unternehmen, sei es ein Dot-Com-Start-Up, ein kleiner Versandhandel – oder eben das Tonstudio von The Offspring.

Die unscheinbare Tür mit der Aufschrift „D 13“ wird geöffnet von Dave, dem freundlichen Pressemenschen der amerikanischen Plattenfirma. Er bittet herein, und schon befindet man sich in einer anderen Welt. An den Wänden hängen die runden Gold- und Platin-Trophäen, die Insignien einer kommerziell höchst erfolgreichen Musik-Karriere. Optisch hat sich offenbar Dexters Vorliebe für mexikanische Folklore-Deko durchgesetzt – allenthalben Kakteen, Sombreros, Skelette und Totenschädel, naürlich aus Holz und Pappe. Irritierend wirken die zwei Ölschinken an der Wand mit klassisch-amerikanischen Vaterlandsmotiven: George Washington beim Flußüberqueren in einem Boot, George Washington beim Überreichen der Unabhängigkeitserklärung. The Offspring als amerikanische Patrioten?! Das war wohl bisher keinem so richtig aufgefallen.

Mr. Holland. Noodles 8c Co.

seien noch nicht da, richtet Dave aus, und er lächelt dabei nervös. Überhaupt liegt eine gewisse Spannung in der Luft. Vor zwei Tagen erst hat die Band von der Entscheidung ihrer Plattenfirma erfahren, doch nicht das komplette neue Album ins Internet stellen zu dürfen. Hektisches Handygefuchtel läßt daraufschließen, dass die Gruppe nicht sonderlich glücklich mit dieser Entscheidung ist und in Krisensitzungen nach einer offiziellen Sprachregelung für das Zurückpfeifen sucht. Dass dabei wenig Rücksicht auf Daves sensibel getimten Ablaufplan genommen werden kann, versteht sich von selbst.

Zunächst möge man sich doch erst einmal das neue Album anhören. Aber bitte, gern, deswegen ist man ja hier. Schon sitzt der Berichterstatter zusammen mit einem schwedischen Kollegen im Kontrollraum des Studios vor einer Unmenge von Knöpfen und Reglern, klemmt sich die Kopfhörer über die Ohren und lauscht der Dinge, die da kommen sollen. Zuerst eine kurze Intro-Ansage, dann brettert „Come Out Swinging“ los, härter, schneller und kompromissloser, als man das nach dem eher feingliedrigen Vorgänger „Americana“ erwarten konnte – ein in seiner Bissigkeit und metallenen Schärfe programmatischer Song. Die neue Single „Original Prankster“ basiert auf einem Latin (!) Groove, gefolgt von einigen Titeln nach dem Muster „Eins, zwei, drei, vier – gib Gummi“, bis mit „LivingTo Chaos“ wieder ein höchst differenzierter Song mit komplizierteren Gitarrenläufen ansteht. Nummern wie „Special Delivery“ und „One Fine Day“ sind klasse und durchaus Offspring-typisch. Der Titelsong „Conspiracy Of One“ bildet den Abschluss einer bemerkenswert roots-orientierten Tour de Force durch Hardcore-Gefilde. Wir nehmen die Kopfhörer ab. Fragen wir doch mal den Schweden nach seinem ersten Eindruck: „Rockt gut“, sagt der, und wir schauen uns dabei prüfend an, „aber ein bißchen wenig Risiko.“ Exakt der Eindruck des Berichterstatters. „Conspiracy Of One“ ist back to basics, Punkrock in Reinkultur. Man spürt, dass die Band ängstlich bemüht war, bloß keinen Weichei-Eindruck zu hinterlassen, und deshalb überall eine ordentliche Schippe an Power draufgelegt hat. Das Ergebnis mag natürlich astreines Opium für das Punkvolk sein und die Charts rund um den Globus stürmen, ein Schritt nach vorne ist es allerdings nicht unbedingt.

Während man gemeinsam den Kontrollraum verlässt, hängt Dave wieder am Handy. „Es dauert noch“, sagt er achselzuckend, und man spürt, wie sehr ihm die Rolle als Knautschzone zwischen Musik-Act und Presse momentan auf den Senkel geht. Okay, vergnügen wir uns derweil mit den Inhalten des Kühlschranks und den süßen und salzigen Knabbereien. Eine halbe Stunde verstreicht, eine Dreiviertelstunde, eine ganze Stunde. Mal läuft Dave wie ein Tiger draußen auf und ab, dann staffelt er am Handy sein Time Schedule neu. Eine frisch eingetroffene Fotografin jammert etwas über einen engen Redaktionsschluss. Gerade öffnet sich der beflissene Berichterstatter geduldig-ergeben noch einen erfrischenden Eistee, als es plötzlich heißt: „Offspring kommen nicht hierher, wir fahren zu Offspring.“ Und in wilder Jagd geht es in zehn Minuten quer durch die Industrial Spaces, bis wir erneut vor einem anonymen Beton-Glas-Komplex stehen. Dahinter verbirgt sich ein Independent-Plattenlabel inklusive Versand. Wir öffnen die Tür und sehen uns plötzlich der Band und dem Management gegenüber, alle mit todernsten Gesichtern, in tiefste Beratung verstrickt. „Könnt Ihr noch eine Weile draußen warten?“, fragt uns der Manager mit genervtem Blick. Natürlich, wir sind doch keine Unmenschen. Lind wieder heißt es Geduld bewahren in gleißender Sonne, auf dem Bordstein sitzen und zwei Männern vom Sicherheitsdienst beim loggen zusehen. Die Spannung ist fast mit Händen zu greifen. Was wird passieren? Wer wird sich durchsetzen? Wie werden Plattenfirma und Offspring in Zukunft zusammenarbeiten? Endlich öffnet sich die Tür und man bittet zur Audienz. Die findet idyllischerweise im Lagerraum des Versandes statt, zwischen Hochregal, Pappkisten, T-Shirts und CDs. Gegenüber sitzt Gitarrist Kevin „Noodles“ Wasserman (37) und mustert den durchgeschwitzten Berichterstatter durch eine Hornbrille, die seine Augen untertassengroß erscheinen lässt.

Jetzt aber heraus mit der ersten hochinvestigativen Frage: Seid ihr eigentlich noch glücklich mit eurer Plattenfirma? Oder besser: Ist eure Plattenfirma noch glücklich mit euch? Die Untertassen in Noodles‘ Gesicht rollen belustigt: „Du meinst wegen der Download-Geschichte? Natürlich ist sie noch glücklich mit uns, sie verdient ja auch gut daran. Lind was das Downloaden von ‚Conspiracy Of One‘ angeht: Ich

glaube nicht so sehr, dass Columbia daran schuld ist. Die Blockade kommt von weiter oben, da wird Druck auf die Plattenfirmen ausgeübt.“ Hm, eine reichlich kryptische Verschwörungstheorie – daher vielleicht der Albumtitel? „Nein, nein, nein, nein“, wehrt Noodles in gespielter Entrüstung ab, „der bezieht sich auf etwas ganz anderes. Als Russland noch eine Weltmacht war, gab es so etwas wie ein stabiles Gleichgewicht, letzt existiert das nicht mehr. Amerika ist die einzig verbliebene Weltmacht und kann selbst Verschwörungen inszenieren und anzetteln. Das ist kein besonders beruhigender Gedanke.“ Halt, mein Freund, bevor wir uns jetzt rhetorisch geschickt im Allgemein-politisch-Philosophischen verlieren, kommen wir schnell noch mal zurück auf die Download-Kontroverse: Können The Offspring denn das Argument ihrer Plattenfirma Columbia nachvollziehen, ein Hineinstellen des kompletten neuen Albums ins Internet bedeute finanzielle Verluste in Millionenhöhe sowohl für Künstler als auch Plattenfirma? Wir rechnen mal schnell nach: Wenn nur zehn Prozent jener 22 Millionen Leute, die sich „Pretty l’ly“ aus dem Netz heaintergeladen haben, die Single gekauft hätten, wären das 2,2 Millionen verkaufte Tonträger mehr gewesen. Also doch realer Verlust oder was?

Während der Berichterstatter sich noch im kritischen Hinterfragen ergeht, ist Dexter Holland (33) unbemerkt hereingekommen, hat sich von hinten herangeschlichen und beantwortet die Frage plötzlich aus einer ganz anderen Richtung. „Ich halte das für abgehackten Quatsch“, redet er Klartext, „das Downloaden bedeutet nicht etwa Verlust, sondern im Gegenteil Zugewinn, weil es einem breiteren Publikum den Zugang ermöglicht und so mehr Interesse weckt, das bei einer Preisschwelle von 18 Dollar für eine CD einfach verlorengeht. Ein Beispiel: Selbst so eine lausige Band wie ‚N Sync hat ihr neues Album drei Wochen vor dem offziellen Erscheinen ins Netz gestellt. Und? Fiat es ihren Verkäufen etwa geschadet?!“ Schon erstaunlich, wie man als neutraler Berichterstatter im I landumdrehen als vermeintlicher Vertreter der Musikindustrie zum Feind erklärt wird, an dem man nun sein Mütchen kühlen kann. Die Bosse von Columbia scheinen sich wirklich auf der ganzen Linie durchgesetzt zu haben.

Und was machen Off spring, wenn es der Musikindustrie gelingen sollte, Napster und ähnliche Anbieter zu verbieten? Dexter und Noodles zeigen sich beide gelassen: „Es wird immer jemanden geben, der die Kontrollmechanismen der Musikindustrie unterlaufen kann. Früher waren es die Bootlegger, heute sind es Napster oder FreeNet. Selbst wenn es gelingen sollte, Napster zu verbieten, der nächste steht schon mit einer noch raffinierteren Technik auf der Matte.“ Aber sind anonyme, unkontrollierbare Netze, die den freien Tausch von Musik, Büchern, Computerspielen etc. ermöglichen, denn nichteine Gefahr für den Gedanken des geistigen Eigentums? Dexter Flolland antwortet mit einem Schlagwort: „Eigentum ist heutzutage einfach eine zu langsame Einrichtung – auch geistiges Eigentum ist nicht mehr zeitgemäß.“ Oho, der Mann hat seinen leremy Rifkin gelesen, jenen amerikanischen Kulturphilosophen, der in seinem Buch „Access – das Verschwinden des Eigentums“ herkömmlichen Besitz für überholt erklärt und einem zeitgemäßeren in Form von Abonnements, Mitgliedschaften, Leasing etc. – das Won redet.

Und dennoch, troti all diesem Geschwafel von mehr Fan-Nähe via Internet wird der Berichterstatter den Verdacht nicht los, dass es bei der Download-Diskussion weniger um die viel zitierte Publikumsnähe als vielmehr daaim geht, eine wirksame Waffe gegenüber der mächtigen Company in der Hand zu haben. Bester Beweis: Die künstliche Symbolik des Gewinnspiels, dessen beachtlicher Preis von einer Million Dollar bekanntlich aus dem privaten Vermögen der Band stammt. Letzten Endes ist das doch auch nur ein Promotion-Gag gegen die Plattenfirma, der Offspring nicht sonderlich weh tut. Doch solche Vorbehalte kann Dexter gar nicht verstehen: „Also entschuldige mal: ‚Back to the people‘ ist doch nichts Verwerfliches. Das ist das unausgesprochene Motto unseres Albums, und auch die Gewinn-Aktion sagt das. Wir starten unser Album eben nicht mit Promotions, die die Fans ausbeuten, sondern ihnen etwas bringen. Etwas Geld zurückzugeben, das sie über Jahre in uns investiert haben, ist keine schlechte Sache.“

Es scheint, der Mann ist wirklich Idealist. Das zeigt sich auch wenig später, als es zu einem l’oto-Shooting hinausgeht zu einem Gebrauchtwagenhändler, dessen Parkplatz vollgestellt ist mit wunderschönen Chevys, lmpalas und Cadillacs aus den 50er und 60er Jahren. Dexter platziert seinen Hintern auf dem Heck eines’55er De-Soto und wippt anerkennend auf und ab: „Der repräsentiert eine Zeit, als Musik eben noch kein Business war.“ lind zwischen der ganzen Ironie blitzt für einen Augenblick doch ein wenig Wehmut durch.

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