Gary ruft Lizzy
Gary Moore ist der sprichwörtlich rauhe Kerl mit dem weichen Kern. Hinter dem finsteren Äußeren verbirgt sich ein hoffnungsloser Romantiker, der die Melancholie seiner irischen Heimatinsel in beinharte Rock-Riffs verpackt. Sylvie Simmons besuchte Moore im Studio und erlebte das Comeback von Thin Lizzy auf Garys neuester LP.
Die „Outside Studios“ in Oxfordshire wirken wie ein Altenheim für Rock-Rentner: ein warmes, rot-geziegeltes Gutshaus im Tudor-Stil, mitten im satten Grün der englischen countryside, eine Stunde von London entfernt, und ausgestattet mit Swimmingpool, Billard-Zimmer, Fitness-Raum, Krocket-Feld (!) sowie einem digitalen 48-Spur-Tonstudio.
Als Hook End Manor im 15. Jahrhundert erbaut wurde, residierte hier der Bischof von Reading. Später fiel das Anwesen in weniger heilige Hände, unter anderem die von Alvin Lee (Ten Years After); zuletzt wohnte hier David Gilmour von Pink Floyd. Heute gehört es dem Produzenten-Duo Clive Langer und Alan Winstanley (Madness, Elvis Costello, Hothouse Flowers), die auch schon die erfolgreichen „West Side Studios“ in London ihr eigen nennen. Sie bauten das hochmoderne Studio ein und begannen letztes Jahr mit der Vermietung: erst an Saxon, dann an Deep Purple und jetzt an Beinah-Nachbar Gary Moore, der bloß ein paar Meilen entfernt wohnt.
Seit zwei Monaten arbeiten Gary und Produzent Peter Collins hier am Nachfolger für Moores bislang erfolgreichstes Album WILD FRONTIER.
Die neue LP, Arbeitstitel AFTER THE WAR. ist für Februar angekündigt und bringt gleich drei echte Schlagzeuger (Cozy Powell, Simon Phillips und Charlie Morgan), echte Keyboards vom Fairlight-Experten Andy Richards (Moore zwang den Frankie Goes To Hollywood-Programmierer, „das Ding wirklich zu spielen, anstatt alles bloß einzutippen, wie er das sonst macht“) den Miet-Bassisten Bob Daisley. Moores langjährigen Weggefährten Neil Carter (Keyb., Git.) sowie die Gast-Sänger Andrew Eldritch von den Sisters of Mercy und Ozzy Osbourne.
Trotzdem bleibt noch jede Menge Raum für die Gitarre: „Auf dieser Platte gibt’s viel mehr Gitarre als auf der letzten; die Keyboards treten weiter in den Hintergrund“ ,erklärt Moore. Er ist sich durchaus im Klaren darüber, daß auf WILD FRONTIER zum erstem Mal ein definierbarer Moore-Stil zu hören war. Bisher wechselte er Stile und Band-Mitglieder wie die Unterwäsche (gerade noch Heavy Metal, dann plötzlich Jazz-Rock oder Folk, Blues-Betontes, Balladen oder Pop) und mußte erst haufenweise Sänger durchprobieren, bis er sich entschloß, selbst zu singen. Diesmal achtet er ganz bewußt darauf, daß ihm die neu gewonnene Geschlossenheit nicht wieder flöten geht.
„Ich glaube, das Album wird in sich noch geschlossener als WILD FRONTIER“, meint er. „Das fängt schon damit an, daß es von Anfang bis Ende ein Rock-Album ist: keine schmalzige Ballade irgendwo mittendrin – es sei denn, ich schaffe es bis zum Ende der Aufnahmen noch eine zu schreiben, die besser ist als „Empty Rooms“. Dann gibt’s in „Blood Of Emeralds“ wieder diese keltischen Rhythmen und Riffs, mit denen ich schon auf WILD FRONTIER gespielt habe, und das ist nicht so schrecklich weit entfernt von dem, was ich heute mit Thin Lizzy machen würde, wenn es die noch gäbe.
Wenn du genau zuhörst, findest du jede Menge musikalische Anekdoten und Zitate: Anspielungen auf Thin Lizzy, auf meine erste Band Skid Row und kleine Sachen von Hendrix und Beck, die mich an die Zeit erinnern, als ich angefangen habe zu spielen.“
Für AFTER THE WAR war er schon in drei verschiedenen Ländern und Studios. Geschrieben und als Demos aufgenommen hat er die Songs Anfang des Jahres im irischen Dublin, wohin er für 12 Monate vor der britischen Steuer geflüchtet war. Die Rhythmus-Gerüste wurden dann im Puk eingespielt, einem High-Tech-Studio mitten in der dänischen Pampa, anschließend ging’s zu Schlagzeug- und Gesangs-Aufnahmen in die Londoner „Olympic“ und „Air Studios“. Hier im Heavy Metal-Altersheim nehmen Moore und Collins gerade die Gitarren-Soli auf – zwei Drittel des Albums sind bereits fertig.
„Im Studio arbeite ich eigentlich ziemlich schnell“, erzählt Moore, „bloß die Soli dauern ein bißchen länger. Normalerweise improvisiere ich sie ein paarmal durch und suche mir dann die Stellen zusammen, die mir gefallen. Ich versuche sie nicht Note für Note zu konstruieren, aber manchmal macht es sich gut, zwei ganz unterschiedliche Aufnahmen zusammenzunehmen und mitten im Song von einer zur anderen zu wechseln.“
Diverse Hit-Singles haben ihm in den letzten Jahren zu den beinharten Alt-Fans inzwischen einen Haufen neuer Anhänger beschert. Wenn er jetzt ein Album plant, versucht er dann beide Publikums-Gruppierungen zufriedenzustellen?
„Diese eigenartige Situation ist mir natürlich völlig klar und ich will Platten verkaufen! Ich mache das nicht bloß, um sie mir in den Schrank zu stellen. Andererseits kann ich mich nicht hinsetzen und eine Hit-Single schreiben.
Peter Collins und ich haben uns neulich erst über Songs unterhalten und festgestellt, daß jeder Song sein Eigenleben haben muß. Das klingt zwar dämlich, ist aber wahr: Jeder neue Song ist wie ein Kind, das du einfach nicht in eine bestimmte Richtung schubsen kannst – ganz egal, was du anstellst.Verrückt.“
Hat ihn sein Erfolg eigentlich überrascht – besonders, wo er all die Trends, die im Heavy Rock gekommen und gegangen sind, nicht nur überlebt hat, sondern immer größere Hits landen konnte?
„Vielen Leuten gefällt an mir, daß ich nicht jede neue Mode mitmache: daß ich mich z.B. nicht an den LA.-Zug angehängt habe. Mein Weg ist härter, und es dauert länger, bis man’s geschafft hat, aber dafür trauen dir die Leute am Ende auch mehr. Ich glaube, daß ich ein wesentlich stärkeres Image habe als viele dieser Trend-Rocker, weil es bei mir noch wirklich um eine Person und nicht um blonde Haare mit drei Dosen Haarspray drin geht.
Als ich ein kleiner Junge in Irland war, haben Leute wie Jeff Beck den meisten Eindruck auf mich gemacht: Leute, die Charisma ausstrahlten. Das hat nichts mit dem zu tun, was man anzieht, und man kann’s auch nicht im Laden kaufen. Entweder man hat’s oder man hat’s nicht – und viele dieser neuen Jungs haben’s nicht.
Besonders die neuen Gitarristen aus LA. klingen alle wie Züchtungen aus Gitarren-Laboratorien, so klinisch, als würden sie auf der Bühne Tonleitern üben. Man hört auch kaum einen Unterschied zwischen ihnen, keine musikalische Tiefe.
Natürlich interessiert man sich als l8jähriger nicht sonderlich für Tiefe – ich hab das bestimmt nicht getan“, lacht er. „Ich war genauso wie die heute, ich wollte zeigen, wie schnell ich spielen kann! Ich kann sie also irgendwie verstehen, aber gleichzeitig halte ich Gitarren nicht aus, die ohne jede Emotion gespielt werden. Die Gitarre ist so ein ausdrucksvolles Instrument, man kann soviel mit ihr sagen …“
Von der Ausdruckskraft des Schlagzeugs hatte er bisher eine deutlich geringere Meinung: Der letzte Schlagzeuger kehrte ihm zur WILD-FRONTIER-Zeit den Rücken, nachdem Moore beschlossen hatte, auf dem Album Drum-Machines zu verwenden.
Genauso, wie er hinter Andrew Eldritch her war, damit der die backing vocals in ein paar Nummern „mit leichtem Grufti-Touch in den Melodien“ singt, besetzte er verschiedene Songs mit verschiedenen Schlagzeugern – so wie ein Filmregisseur seine Rollen besetzt. Cozy Powell trommelt die „sehr energischen, aggressiven Heavy-Songs“, Simon Phillips zwei Nummern „mit verzwickten Arrangements und merkwürdigen Takten“, und Charlie Morgan spielt den Titel-Song, der „ähnlich läuft wie , Out In The Fields‘ und ein präziseres, aber immer noch kraftvolles Schlagzeug braucht“.
Warum er nicht einfach die drei Drum-Sounds in den Computer programmiert? Das wäre sicher billiger gekommen …
„Bestimmt sogar! Ich wollte aber eine lebendigere, spannendere Platte machen – WILD FRONTIER klingt rückblickend doch ein bißchen flach. Und die Songs, die ich diesmal habe, brauchen echtes Schlagzeug, damit sie wirklich abgehen. Ich wollte auch wieder Musik mit mehr Charakter und weniger Technik, ich wollte mehr Ecken und Kanten und daß es nicht gar so perfekt klingt.“
Bei diesem Album hat Moore zum ersten Mal von Anfang bis Ende mit einem Produzenten und einem Toningenieur durchgearbeitet: „Ich wollte es ganz einfach und direkt halten. “ Auch wenn er keine Gitarrenoder Gesangs-Parts aufnimmt, ist er im Studio und überwacht „die ganze Angelegenheit – am Schluß steht schließlich mein Name auf der Platte und dem Spiel.“ Zu den Titeln, die schon fertig sind, gehören „Led Clones“, eine bewußte Beinah-Kopie von Led Zeppelins „Kashmir“ als Antwort auf Bands wie Kingdom Come und Whitesnake, und die alte Thin Lizzy-Nummer „Emerald“, die er mit Lizzy-Drummer Brian Downey in Dublin aufgenommen hat und die wahrscheinlich als Bonus auf der CD erscheinen wird. „Es war schön“, meint er versonnen, „zu den Wurzeln zurückzugehen. Darum dreht sich eigentlich das ganze Album. „