Gary Moore: Wurzel Sepp
Trend oder Herz? U2, Mark Knopfler, Eric Clapton und jetzt auch Gary Moore an den Wurzeln der Rockmusik. Der irische Gitarrist vergaß für sein neues Album sein Heavy- und Folk-Vorleben und forschte in den Urgründen des Blues. ME/Sounds-Mitarbeiterin Sylvie Simmons fühlte dem frischgebackenen Zwölf-Takter auf die Zahnwurzel.
Zyniker sagen, es handle sich um dasselbe Phänomen wie bei den Lachsen, die zum Sterben an ihre Laichplätze zurückkehren. Kosmiker hingegen behaupten, es sei neben Baumwollkleidern, Pfandflaschen und der Neuen Tugendhaftigkeit nur eine weitere Folge des Wassermann-Zeitalters. Wie auch immer: Das vergangene Jahrzehnt endete mit einem Massen-Comeback angegrauter Rockstars – zu Beginn dieser Dekade nun kehren die angegrauten Rockstars zu ihren Wurzeln zurück. Bowie kündigt eine Oldies-Tour an, Mark Knopfler zieht mit einer Pubrock-Band durch die Clubs, Paul McCartney spielt live wieder die Beatles-Kamellen, Clapton präsentiert in der 18 mal ausverkauften Royal Albert Hall in London zwei Stunden lang Blues-Songs.
„Ich glaube, daß die Leute heutzutage zum Natürlichen und Realen zurückkehren wollen. Sie achten auf gesunde Ernährung, interessieren sich für Umweltthemen, wenden sich ab von der ganzen Technologie, die uns überrollt hat, merken auf einmal, daß vieles von dem, was man so ‚progressiv‘ nennt, nicht unbedingt positiv ist. Dem Publikum hängen die Schlagzeugcomputer zum Hals raus“, sagt Gary Moore, „und Bands haben keine Lust mehr, einzeln ins Studio zu gehen, um eine Platte aufzunehmen. Sie wollen wieder zusammenspielen, wie in den guten alten Zeiten.“
Wir sitzen in einem Londoner Plattenstudio, wo Moore, den meisten als Heavy-Rock-Gitarrist bekannt, seinem Album STILL GOT THE BLUES den letzten Schliff gibt – 13 Tracks, fünf davon aus Moores Feder (an denen aber selbst Blues-Puristen kaum etwas auszusetzen finden werden) und acht Coverversionen, darunter Otis Rushs „All Your Love“ und Albert Kings „Pretty Woman“. King, mittlerweile 67, ist einer der drei Special Guests auf der Platte (die anderen sind der Bluesgitarrist Albert Collins und der nicht ganz so betagte George Harrison, der in seiner Schublade einen Song entdeckte, für den Eric Clapton keine Verwendung gefunden hatte).
Auf die Frage, warum auf einmal jeder über irgendwelche WURZELN stolpert, kann er nur mit den Schultern zucken: „Keine Ahnung. Ich mach’s, weil ich Lust dazu habe und mir der Gedanke schon lange durch den Kopf ging.“ Er hatte gar in Erwägung gezogen, die Platte unter einem Pseudonym zu veröffentlichen, „so wie Robert Plant mit den Honeydrippers“, aber dann hörte es die Plattenfirma, fand Gefallen daran, überschlug kurz die Verkaufszahlen von Blues-Barden wie Jeff Healey und ermutigte ihn, es als offizielles Gary-Moore-Album zu veröffentlichen.
Moore hat zwar stilistisch über die Jahre eine Menge Haken geschlagen, von Metal zu Jazz-Rock mit allen Zwischenstationen, aber auf seinen letzten Platten hatte er sich auf eine individuelle Mischung aus Heavy Rock und der irischen Folkmusik seiner Kindheit festgelegt. Komisch, daß er bei der Suche nach seinen Roots ausgerechnet bei der Musik unterprivilegierter schwarzer Amerikaner landet.
Er lacht: „Richtig. Sicher, ich habe nie in Baumwollfeldern gearbeitet und den ganzen Tag gesungen, um die schmerzenden Knochen zu vergessen. Andererseits hat jeder seine eigene Art von Blues, jeder kennt dieses Gefühl.
Ich glaube nicht, daß man schwarz, sein muß, daß man irgendetwas sein muß – entweder man hat das Feeling oder nicht. Das mit der irischen Musik stimmt, sie hat meinen Sound stark geprägt. Aber für mich gibt es Ähnlichkeiten zwischen Blues und irischer Musik, eine Menge irischer Melodien haben eine sehr melancholische, bluesige Atmosphäre. Okay, ich stamme nicht aus Mississippi, aber ich habe ein Gefühl für die Musik. Damit bin ich aufgewachsen – mit 13 spielte ich schon in einer Bluesband. Diese Musik bedeutet mir mehr als alles, was danach kam.“
Es waren weniger die schwarzen Originale als vielmehr der englische Blues-Boom der 60er. der Moores Leidenschaft für die Gitarre weckte. Dieser Blues-Boom war es auch, der „meine Platte inspiriert hat, im Gegensatz zu dem, was im Moment in Amerika passiert, Jeff Healey, Stevie Ray Vaughan, Robert Cray und solche Leute. Ich wollte an diese Sache anders herangehen, sie aus meiner Perspektive darstellen anstatt mich nur an einen Trend zu hängen.“
Er verbrachte stolze sechs Monate mit seiner alten Blues-Sammlung – „hab mich keine Minute gelangweilt“ – und betrieb Grundlagenforschung. Jemand von seiner Plattenfirma machte ihn mit Albert Collins bekannt, der gerade in London ein Konzert gab. Und es war Moores Idee, Albert King – „ich hatte für ihn einen Song geschrieben, „King Of The Blues“ – nach London zu holen.
„Er wußte nicht, wer ich war. Ursprünglich hat er es wohl nur der Kohle wegen gemacht, aber ich glaube, er hatte auch seinen Spaß dabei. Ich war furchtbar nervös, als er zur Tür reinkam, schließlich ist dieser Typ einer der Größten. Er warf mir einen dieser Du-weißt-wer-hier-der-Boß-ist-Blicke über die Brillengläser zu, wie ein Schulmeister – ich war zutiefst beeindruckt!“
Warum sollen sich die Leute eigentlich ein Blues-Album von Gary Moore kaufen, wenn sie Platten von Albert King oder Albert Collins haben können?
„Das sollen sie ja gar nicht! Aber wenn sie meine Platte kaufen, wollen sie vielleicht auch die alten Sachen hören. Ich nehme mal an, daß ich bestimmte Leute leichter erreichen kann, weil mein Name bekannt ist. Und wenn ich auf diese Weise bei einigen von ihnen Interesse für den alten Blues wecken kann, wäre das eine willkommene Rechtfertigung für meine Platte.“
Gutes Argument, aber warum strebt alles zurück? Warum nimmst du dich einer alten Musikform an, anstatt vorwärts zu gehen?
„Ich glaube, ich gehe vorwärts. Welche Musik ist schon neu? Ist Acid House neu? Zusammengewürfelte Schnipsel alter Platten? Natürlich hat sich der Blues als Form nicht geändert, aber gerade weil er so einfach ist, bleibt eine Menge deiner Phantasie überlassen. Für mich ist der Blues so gültig wie eh und je. „
Moore bereitet eine Tour mit seiner achtköpfigen Band vor (davon vier Bläser), mit der er im Mai auch nach Deutschland kommen wird. „Wir werden keine alten Sachen spielen“, sagt er und meint die alten Gary-Moore-Sachen, „das ist eine Blues-Tour, basta. Ich habe es auf den Yuppie-Markt abgesehen“, lacht er. „ich möchte schließlich eine Westentaschen-Blues-Legende werden.“