Gary Moore
Was tun, wenn einem zwei Tage vor der Live-Premiere zur Welt-Tournee plötzlich der Drummer aus heiterem Himmel die Stöcke vor die Füße schmeißt, dadurch die gesamte, lange vorbereitete Tour an den Rand des Platzens bringt und verduftet? Null Problemo, würde Alf dagegenhalten. Ganz einfach einen neuen engagieren.
Genau das geschah: Anstelle von Cozy Powell übernahm Ex-Manfred Mann, Ex-Firm-Trommler Chris Slade das Amt fürs Grobe. Trotzdem hastete Gary bereits Stunden vor dem Konzert, während des nachmittäglichen Soundchecks, wie ein aufgescheuchtes Huhn über die kahle Bühne, hielt kurz inne, musterte seine Mitstreiter immer wieder kritisch, um alsdann die Männer an Misch und Lichtpult mit eindringlichen Worten auf die Dramaturgie des Abends zu eichen. Immerhin hatte der plötzliche Personalwechsel die ersten beiden Gigs gekippt und die Band in ihren Vorbereitungen erheblich zurückgeworfen.
Zumindest für Moore persönlich ging es um alles oder nichts. Er wußte um die hohen Erwartungen der Zuschauer seiner Heimatstadt Belfast und nicht zuletzt auch um die Probleme, die der Neue hinter der Schießbude logischerweise mit dem rechten Timing haben mußte. Der auf Perfektion erpichte Gitarren-Virtuose konnte einem in dieser vertrackten Situation fast schon leid tun.
Vier Stunden später, Punkt neun Uhr, nach einer respektablen Leistung der germanischen Metaller Victory als Opening Act, war die gereizte Stimmung des Nachmittags schon wieder Schnee von gestern, wickelte Gary die zum Besten gefüllte Halle gleich mit dem ersten Akkord um den Finger. “ We want Moore“ schallte es ihm aus Guiness-trunkenen Kehlen entgegen, die, für diesen einen Abend zumindest, die bittere Wirklichkeit auf Belfasts Straßen vergessen konnten.
Gary Moore und seine Gitarre waren von Beginn an eins, ein Herz und eine Seele, ein verliebtes Paar, das sich an diesem Abend in einen „öffentlichen“, zweistündigen Höhepunkt steigerte. Sei’s „After The War“, Titelmelodie des aktuellen Albums, „Military Man“, noch aus seligen Phil Lynott-Zeiten, sei’s die Anti-Bürgerkriegs-Hymne „Out In The Fields“ oder „Empty Rooms“ – der Ausnahme-Gitarrist lotete Gefühle zwischen hartem Rock, gefühlsschwangerer Ballade und urbanem Blues mit einer solchen Akribie und Intensität aus, daß sich selbst dem Letzten in der Arena die Nackenhaare aufstellten.
Gary wand und bog sich, verlor sich in zahllose, brillant inszenierte Soli, durchlebte förmlich alle emotionalen Höhen und Tiefen seiner Songs, so als ob er und seine Nebenspieler (Bob Daisley am Baß, Neil
Carter an Keyboards und Rhythmus-Gitarre sowie Chris Slade am Schlagzeug) die erdrückende Gegenwart nordirischer Verhältnisse (Elite-Soldaten der englischen Armee mit Maschinen-Pistole im Anschlag, patrouillierende Hallen-Pistoleros mit kugelsicherer Weste) wenigstens für die Dauer von zwei vollen Stunden – wie einen bösen Geist – verscheuchen wollten.
Klar, letztlich blieb es eine Illusion, doch die Art, wie er diese Illusion permanent mit eindringlichen Bildern fütterte, aus zeitkritischen Texten und virtuosem Spiel ein Diagramm der Emotionen entstand, Trauer und Freude förmlich aus den Boxen perlten, berührte alle Anwesenden, unter ihnen auch Gary Moores Eltern.
Auch wenn dies erst das zweite reguläre Konzert war, steht unumstößlich fest: Gary Moore spielt auf der ’89er-Tournee in der Form seines Lebens. Ihm gebührt längst ein fester Platz im Gitarren-Olymp – direkt neben seinen Lehrherren wie Hendrix, Clapton und Beck.