Garland Jeffreys – Renaissance der Achtziger


Im Rahmen von Lecke buschs üblichen (meist) holländischen Tingeltangeltruppen seine Visitenkarte abzugeben, hat Garland Jeffreys nichts ausgemacht. Für ihn zählt allein, daß er den Durchbruch mit seiner — primär von Rock, Reggae und Mexikanischer Folklore geprägten—Musik in Europa geschafft hat. Für ihn offenbarte sich damit, nach all den vergeblichen Anläufen in seiner Heimat, eine höhere Gerechtigkeit. Denn Garland Jeffreys, geboren und aufgewachsen in Sheepshead Bay im New Yorker Stadtteil Brooklyn, farbig, mit weißem, schwarzem und puertorikanischem Blut in den Adern, ist ein verkappter Europäer. Nichts verachtet er mehr als den ,american way oi lile‘ und dessen berüchtigtes Spiegelbild, die Stadt Los Angeles. Nichts bewundert er mehr als die europäische Renaissance, jene in arabischen Universitäten auf spanischem Boden vorgedachte kulturgeschichtliche Epoche, die im 14., 15. und 16. Jahrhundert den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit markiert und für die Namen wie Michelangelo, Leonardo da Vinci und Skakespeare stehen.

heit, der kosmopolitische Geist jenes Zeitalters ist auch Teil seiner Persönlichkeit. .Die Kunst der Renaissance“, sagt er zwar, „war für mich vor allem ein visuelles Erlebnis, und Musik hat mich in jenen Tagen kaum interessiert.“ Trotzdem sind selbst seine rockigsten Songs wie .Wild In The Streets“ Kristallisationen jenes Zeitgeistes, und genau das macht ihn womöglich zum Mann der Stunde in der Musikszene des Jahres 1980.

Der erste Titel auf dem zweiten Album von Devo ist ein Instrumentalstück, das eng an ein sogenanntes Madrigal aus der Renaissancezeit angelehnt wurde. Dies geschah nicht von ungefähr: Die Renaissance führte Europa aus der repressiven, sich zurückentwickelnden Geisteshaltung des Mittelalters heraus, und an einer ähnlich entscheidenden Schwelle stehen wir heute, wo es darum geht, die Sackgasse des Materialismus mit all seinen Folgen zu überwinden. Garland Jeffreys schreibt nicht etwa Texte über solche Existenzfragen. Aber seine Musik ist kosmopolitisch. Sie drückt Toleranz aus, kennt keine stilistischen Grenzen, klingt warm und human, wirkt ästhetisch, saugt wie ein Schwamm vielversprechende Sounds auf, lebt von Reggae und Rock’n‘-Roll und von der wiedergewonnenen Vitalität New Yorks, besitzt aber nichts vom festgefahrenen etablierten Rock der siebziger Jahre.

Nehmen wir den Titel „Spanish Town“ von der LP GHOST WRITER; 1977 veröffentlicht und einer der Schlüssel zur Musik von Garland Jeffreys. Mexikanische Sounds ziehen sich als roter Faden durch den langen Titel, doch ansonsten ist er ein Schmelztiegel für alles, was im Kopf seines Komponisten rumort Er springt im Text von Mexiko nach Portugal, von Brasilien nach Jamaika (dortliegt Spanish Town), erzählt von seiner Großmutter (die er hier Mutter nennt), beschwört Revolutionen, genießt die Zweisamkeit bei einer Flasche Wein, ißt Reis und Bohnen, sieht, wie das politische Leuchtfeuer des Chilenen Allende im Keim erstickt wird. Ein Song ohne intellektuelle Gitter, voller Intensität und echter Gefühle, was man der Musik unschwer entnehmen kann.,A great work of art“, meint Garland: .Das Stück enthält Gedanken zur Rassenfrage und zur Unmenschlichkeit, sagt etwas über Frohsinn und über Liebe, ist Mexiko und New York City, ist eben Chüy-Pfeffer.“

Offen für alles, aber nicht im Chaos versinkend, neue Inhalte in neue Formen gießend, Anregungen aus vielen Ländern und Kulturen in Klänge umsetzend, hat Garland Jeffreys nach zwei unbedeutenden Frühwerken die drei Alben GHOST WRI-TER, ONE-EYED JACK (1978) und AMERICAN BOY AND GIRL (1979) aufgenommen. Begleitet haben ihn so verschiedenartige Leute wie die Brecker Brothers, Sly Dunbar, Herb Alpert (er bläst die herrliche Trompete auf Matador), David Spinozza, Dr. John und Steve Gadd. Aufgewachsen als Mischling in einem gemischtrassigen Viertel, paßte Garland in seiner Jugend in keine Clique und trat die Flucht nach vorn an, wurde ein Weltbürger und ein musikalischer Alchemist. Und blieb doch ein Kind seiner in allen Hautfarben schillernden Heimatstadt, für deren noch immer mögliche friedvolle Zukunft er mit seinen Songs arbeitet. .Well I’m walking down the walking street/and I’m only 13 years old/I could be black and I could be white/but for sure I’m young and bold“, singt er, und plötzlich springen wir aus den Werkstätten Michelangelos in die Straßenschluchten New Yorks, wo Menschen geformt werden, die die Zukunft entscheiden.