Garbage: Müllbeseitigung


Sie nennen sich Garbage, was soviel heißt wie Abfall. Dabei hat musikalischer Müll bei ihnen keine Chance. Im Gegenteil: Für ihre Songs verwenden sie nur beste Zutaten. Jetzt kommt ihr zweites Album auf den Markt.

MADISON IN WISCONSIN IST EINE AMERIKANISCHE Provinzstadt, die allen Klischees des Mittleren Westens gerecht wird. Hier gibt es zweistöckige Holzhäuser, Gemischtwarenläden mit abenteuerlichem Sortiment (CDs neben Motoröl und Bettwäsche), Fastfood-Restaurants und jede Menge Kühe. Der Bundesstaat Wisconsin gilt als „Dairyland“, als Land der Molkereiprodukte, und ist Amerikas Milchlieferant Nummer 1. Wer „Fargo“, den ’96er Film der Coen-Brüder, gesehen hat, kann sich das rustikale Szenario bildhaft vorstellen. Die drei männlichen Mitglieder von Carbage stammen aus Madison, und natürlich ist die Band hier so bekannt wie ein bunter Hund. Steve Marker, Duke Erikson und Butch Vig kennen sich seit ihrer Highschoolzeit, studierten und spielten zusammen in Indie-Bands.Voris Jahren gründete das Trio die Smart Studios an der East Washington Avenue und produzierte sich langsam nach oben. Aus dem winzigen 8-Spur-Studio wurde eine Luxus-Soundschmiede für Acts wie Killdozer und die Laughing Hyenas,für Hole, Nirvana und die Smashing Pumpkins. Doch das ist Vergangenheit. „Ich könnte mir nicht vorstellen, heute noch mal mit Billy Corgan zu arbeiten – das wäre mir viel zu anstrengend“, meint Butch Vig. Auch auf Musiker, die sich an Garbage orientieren, kann Vig verzichten: „Stell dir vor, da gibt es Bands, die klingen genau wie wir. Und dann soll ich sie zu allem Überfluß auch noch produzieren,damit sie noch mehr nach uns klingen. Das ist doch absurd. Außerdem ist es befriedigender, meine eigene Musik zu produzieren. „Und diesbezüglich bestimmt nur er? „Wir teilen die gesamte Verantwortung. Sollte jemand mal einen schlechten Tag erwischen, springt der andere für ihn ein.“

Inzwischen laufen die Studios auch ohne Garbage. Die Bandmitglieder hätten ohnehin keine Zeit mehr, sich um die Geschäfte zu kümmern. Denn Garbage ist längst ein Fulltime-Job. Am n. Mai erscheint das neue Album, an dem die Band fast ein Jahr lang gebastelt, zehn bis zwölf Stunden täglich, sechs Tage die Woche. Opfer dieser Vorgehensweise ist Sängerin ShirleyManson. Während ihre Mitstreiter mentalen Beistand bei Familie und Freunden fanden, bewegte sich die Frontfrau von Garbage während der Aufnahmen im sozialen Abseits. Zwar kennt sie in Madison längst jedes Kind, doch die Gemeinde macht einen großen Bogen um „die Ausländerin mit der großen Klappe“, wie sie einmal ein Taxifahrer bezeichnete.

Shirley lebte im Hotel und telefonierte jede freie Minute mit ihrem Mann Eddie.den sie kaum zu Gesicht bekommt. „Ich bin viel zu sehr Schottin, um es hier längere Zeit auszuhalten. Ich liebe Schottland, allein schon wegen des Klimas.“ In Madison liegen die Temperaturen selbst Mitte März noch weit unter dem Gefrierpunkt. „Andererseits“, so Shirley, „ist Madison aber das ideale Pflaster, um die Balance zu wahren und auf dem Boden zu bleiben – hier ist alles so fürchterlich real, daß du gar nicht abdrehen kannst.“ Folglich haben die vier von Garbage ein gesundes, weil distanziertes Verhältnis zu ihrem Job. Sie haben genug Einblick in die Plattenindustrie, als daß sie sich trügerischen Illusionen hingeben würden. „Die Industrie“, meint Mrs. Manson, „ist grausam. Als Musiker wirst du systematisch ausgebeutet. Du bist das goldene Kalb, das so lange gemolken wird, bis es alt und verlebt ist.“ Die „grausame Industrie“ indes hat Shirleys Mansons Marktwert nach vier Millionen verkauften Garbage-Platten, diversen Grammy-Nominierungen und 250 Konzerten merklich gesteigert. Für zusätzliche Schlagzeilen sorgten Statements wie dieses: „Ich brauche einen Mann, der mich in seinen Bauchnabel pinkeln läßt“. Eine Aussage, die von den Medien oft und gern aufgegriffen wurde. „Was soll ich sagen? Ich habe nun mal eine große Klappe, und es kümmert mich nicht, was die Leute von mir denken. Darüber hast du ohnehin keine Kontrolle mehr, sobald du in der Öffentlichkeit stehst“, meint die auf das Pinkelstatement angesprochene Mrs. Manson und ergänzt: „Diese und andere Äußerungen stammen aus einem Interview, in dem es um meine Vorstellungen von gutem Sex ging. Ich hielt das für lustig. Dementsprechend sind meine Antworten ausgefallen.“ In Zukunft jedoch möchte Shirley sich mit solchen Äußerungen zurückhalten – allein schon, um dem Rest der Band nicht zu brüskieren. „Wir versuchen, darüber zu lachen“, sagt Buten, „die Leute Shirley für sexy und exotisch. Nun, warum nicht? Jedes Garbage-Mitglied hat seine Stärken. Und die von Shirley ist es eben, auf allen möglichen Titelbildern abgebildet zu werden.“

Ein augenzwinkernder Seitenhieb gegen die Frontfrau von Garbage, die schon seit längerem verlockende Offerten aus Hollywood erhält, sich aber noch dagegen sträubt, den Fußstapfen von Courtney Love zu folgen. „Ich traue es mir nicht zu, ähnlich große Rollen wie sie zu übernehmen. Da ziehe ich die Bühne vor. Das ist schließlich viel realer. Zudem waren die bisherigen Angebote auch nicht sonderlich spannend.“ Und wenn die Top-Offerte nun doch noch komm? Dann, ja dann wird Shirley trotzdem vorsichtig sein. Denn: „Ich habe keine Lust, mich lächerlich zu machen. Glaub mir, davor habe ich Angst.“ Was wohl auch damit zusammenhängt, daß Shirley in natura nur halb so aufreizend wirkt wie auf den Titelblättern der Musikmagazine. Sicher, sie trägt ultrakurze Röcke und hohe Stiefel. Gleichzeitig wirkt sie aber unglaublich mädchenhaft und hat ein beinahe leichenblasses Gesicht. Ihr frivoles Image verdankt sie vor allem jenen Presseorganen, die auf reißerische Beiträge setzen, dabei jedoch mitunter Wahrheit und Fiktion miteinander vermengen. Überhaupt stimmt so einiges nicht, was über Garbage verbreitet wird. So ist etwa Duke Erikson weder verwandt noch verschwägert mit Psychedelic-Legende Roky Erikson (13th Floor Elevators). Auch der vielzitierte Arbeitstitel des zweiten Albums („Sad Alcoholic Clowns“) stand im Hause Garbage nie ernsthaft zur Debatte. „Das war ein Witz, den irgendjemand im Internet über uns verbreitet hat. Wir hatten ungefähr 20 Namen dieser Art – Halfspeed, Bonkhead und viele andere.“ Butch grinst. Aus gutem Grund. Denn „Version 2.0“, der tatsächliche Titel, haut in dieselbe Kerbe. „Er ist ironisch gemeint, weil es heute so fürchterlich modern ist, sogenannte Updates der Version 2.0 oder 3.0 zu benutzen, um seine Computer-Software zu verbessern.“ Trotzdem hat der Titel „Version 2.0“ eine tiefere Bedeutung. Steht er doch für die rasante Entwicklung von Garbage – noch mehr harte Elektronik, gleichzeitig aber auch mehr Eingängigkeit. „Das erste Album bestand aus unzähligen Versatzstücken, die einfach zusammengeschustert wurden“, meint Butch Vig,“diesmal aber präsentieren wir uns als richtige Band.“

Dennoch mag man nicht völlig auf Versatzstücke verzichten. In ihrem Musiklabor manipulieren Garbage die Sounds von Beach Boys, Beatles, Kraftwerk, Donna Summer oder Frank Sinatra und setzen sie völlig neu zusammen.“Die ursprüngliche Melodie wird so lange mit Samples und Loops aufgestockt, bis daraus ein Garbage-Track entsteht – melodisch, ohrwurmig, synthetisch und mit ausgeprägtem Drive“, erklärt Duke Erikson diese Vorgehensweise. Grunge und Techno Hand in Hand? Die Ursache für diese seltsame Paarung ist schnell gefunden: „Shirley hat uns regelrecht gezwungen, uns mit elektronischer Musik zu befassen“, erzählt Erikson, „sie hat uns so lange bearbeitet, bis wir mit ihr durch die Clubs gezogen sind und freiwillig DJ Shadow gehört haben. Und das, wie in meinem Fall, mit 46!“ Doch Steve Marker weiß um die Vorzüge eines gesetzteren Jahrgangs: „Wären wir heute Anfang 20, würde die Band wahrscheinlich gar nicht mehr existieren. Wir hätten uns entweder zu Tode gesoffen, gefixt oder gefahren. So was kommt vor, wenn du als junger Mensch Erfolge feierst, die du nicht verkraften kannst. Wir dagegen haben schon in etlichen Bands gespielt, ohne dabei richtig populär zu werden. Von daher können wir den ganzen Rummel, der jetzt um uns herum herrscht, nicht sonderlich ernst nehmen.“

DIE PROFESSIONALITÄT VON GARBAGE DRÜCKT SICH nicht zuletzt in ihrer Haltung gegenüber dem Showbusiness aus. Obwohl die vier von den Medien regelrecht gefeiert werden, ist ihnen eines doch völlig klar: „Die Leute haben ein kurzes Gedächtnis. Egal wie erfolgreich dein letztes Album gewesen ist. Von daher ist es ein notwendiges Übel, sich immer wieder ins Bewußtsein der Menschen zu bringen – sei es nun durch Interviews, durch Konzerte oder Videos. Sich diesen Mechanismen zu verweigern, wäre dumm.“ Doch gibt es immer wieder Momente, in denen der Band Zweifel an der eigenen Einstellung gegenüber PR-Terminen kommen. Zum Beispiel bei ihrem letzten Promo-Trip durch Deutschland. „Wir hatten kein Problem mit der deutschen Presse an sich, sondern eigentlich nur ein einziges negatives Erlebnis“, erzählt Butch Vig. „Da war dieser Typ, der Shirley mit den Worten begrüßte,’du willst ein Sex-Symbol sein? Darunter verstehe ich aber was anderes‘. In meine Richtung meinte er dann noch,’mit dem billigen Schlagzeug-Sound tust du dir keinen Gefallen‘. Der Typ hat uns regelrecht gehaßt. Und weil die Situation so grotesk war, haben wir sie in Interviews immer wieder mal erwähnt. Jetzt meinen manche, wir hätten ein Problem mit den Deutschen. Das ist natürlich Blödsinn.“ Und wie zum Beweis laden Garbage ihren deutschen Gast zum abendlichen „Socializing“ ins Cafe Montmatre ein, in ihre Stammkneipe im Zentrum von Madison. Einen Anlaß gibt es auch: Gitarrist Steve Marker wird 39. Was ihn allerdings nicht davon abhält, die Runde als erster zu verlassen. Er brauche ein paar Stunden Schlaf, erklärt Marker seinen frühen Abgang. Schließlich sei morgen wieder ein anstrengender Tag. Auch Shirley verabschiedet sich. Duke und Butch jedoch beweisen Standfestigkeit. Die beiden kippen ein Bier nach dem anderen und erzählen Anekdoten. Von einem Besäufnis in New Orleans zum Beispiel („wir konnten kaum noch unsere Instrumente halten“) und von ihrer Abneigung gegen Stuttgart („eine grausame Stadt“). Später torkeln sie zufrieden nach Hause. Geselligkeit wird in Madison großgeschrieben.