Garbage


Wir sind schrecklich nervös“, hatte Butch Vig noch einige Stunden vor dem Konzertbeginn in München während des Interviews in die Telefonmuschel gestöhnt, „schließlich waren zumindest zwei der vier Mitstreiter von Garbage bislang in Studios und nicht auf den Bühnen der Welt zu finden.“ Und dann lachte Vig grimmig, ehe er beinahe scheu hinzufügte: „Es ist schon komisch, ein Pop-Star zu sein…“

Ein Pop-Star ist der End-Dreißiger spätestens, seit er vor knapp zwei Jahren das Quartett Garbage ins Leben rief. Doch auch zuvor schon war er dem Rock-Biz aufs Engste verbunden – als einer der wegweisenden Produzenten dieses Jahrzehnts, zuständig u.a. für die Alternative-Rock-Klassiker ‚Nevermind‘ von Nirvana, ‚Siamese Dream‘ von den Smashing Pumpkins oder ‚Goo‘ von Sonic Youth. Butch Vig, schon heute also eine lebende Produzenten-Legende. Und jetzt auch noch Titelseitenheld und Pop-König…?

Könnte passieren. Denn hinter der Formation Garbage stecken neben Vig nicht nur seine beiden Langzeit-Kumpels Duke Erikson und Steve Marker – alle zwei in Vigs Alter, so wie er aus dem US-Bundesstaat Wisconsin und ebenfalls Produzenten -, sondern vor allem die rund 15 jähre jüngere Sängerin Shirley Manson aus Schottland. Und in dieser eher ungewöhnlichen Konstellation spielte das Projekt Garbage mit dem gleichnamigen Debütwerk eines der innovativsten, abwechslungsreichsten Popalben des letzten Jahres ein.

Die Erwartungen an Garbages Livepräsenz und ihre allerersten Konzerte überhaupt – waren jedenfalls immens. Doch um es vorwegzunehmen: Sie wurden zur vollsten Zufriedenheit erfüllt. Nicht nur in München und seinem mit rund 400 Besuchern eher spärlich gefüllten ‚Wappensaaf, sondern bereits zuvor bei wesentlich mehr Publikumsandrang in Amerika und England.

„Als wir die Band gründeten“, erzählt Butch Vig euphorisch, „hätte keiner von uns gedacht, daß wir damit so groß einschlagen würden. Aber die Reaktion der Leute in Amerika und England – besonders auf die Live-Gigs – hat uns richtiggehend die Sprache verschlagen. Ich meine, wir spielten einfach nur unser Programm, aber die Menschen haben getobt und uns nicht mehr von der Bühne gelassen. Ich bin echt gerührt…“

Man merkt die aufrichtige, naive Begeisterung, die Vig für sein jüngstes Kind empfindet. Genau diese Begeisterung sprang auch im Münchener ‚Wappensaal‘ spätestens nach dem 2. Song der Band, ‚Stupid Girl‘, auf die Zuhörer über – einer der zahlreichen Höhepunkte eines durchweg gelungenen Konzertabends. Tatsächlich spielte die Gruppe „einfach nur ihr Programm“, doch darin steckt weit mehr, als die meisten neuen Bands derzeit vorzuweisen haben. Und auf der Bühne mögen nur vier ältere Herren (neben den drei offiziellen männlichen Garbage-Mitstreitern noch ein Aushilfs-Bassist) und ein hübsches Mädel von nebenan in Jeans und Shirt stehen – sobald der ach so durchschnittliche Fünfer damit anfängt, Musik zu machen, entwickelt sich daraus nichts weniger als pure Magie und Leidenschaft.

Nein, wie Pop-Stars sahen Vig & Co. nun gar nicht aus, als sie kurz nach Neun zu Computer-Loops bei schlechter Beleuchtung auf die Bühne schlichen und sich hinter Instrumente bzw. Mikro klemmten. Doch dann gab Drummer Vig den Takt vor, die Scheinwerfer gingen an und von der ersten Note an war klar, daß musikalisches Genie auch aus mediokren Gestalten wie Garbage ‚richtige‘ Rocker machen kann. Vor allem aus Frontfrau Shirley – während sie mit wippendem Pferdeschwanz und Allerweltsgesicht auf den ersten Blick wie das Parade-Girlie wirkt verleiht ihr die ihr eigene mächtige Ausnahmestimme im Laufe der kommenden 80 Minuten eine geradezu hypnotische Aura. Eine Stimme, die mal wie Kristin Hersh klingt, mal wie Patti Smith, mal wie Lady Miss Kier von Dee-Lite. Eine immense Bandbreite jedenfalls in nur einem einzigen Organ, zwischen grimmig-aggressiv, manisch-depressiv und erotisch-lasziv. Garbage ist sicher eine Truppe mit vorzüglichem Fundament, aber zu einer der großen Pop-Hoffnungen der verbleibenden Dekade werden sie erst durch die einzigartige Ausstrahlung ihrer Frontfrau Shirley Manson.

Alles in allem: ein großer Abend mit einer schon heute großen Band. Abwechslungsreich der Set – alles zwischen Punk, Pop, Poesie und Paranoia war geboten -, druckvoll die Instrumentierung; ein Gig wie aus einem Guß. Sicher, da gab es kaum Unterschiede zum Debütalbum – aber ebengenannte Vorzüge sind es schließlich, die ‚Garbage‘ auszeichnen. Neben allen Songs dieser Pop-Perle gab es im übrigen einiges von der zweiten CD zu hören, an der die Band gerade fieberhaft arbeitet. Die soll noch im Mai er scheinen. Parole: Post-Grunge. Wir sind gespannt…