Gail Ann Dorsey
Die 25jährige Sängerin und Bassistin aus Philadelphia, seit fünf Jahren keine Unbekannte mehr in Londons Jazz-Kreisen, veröffentlichte unlängst ein vielbeachtetes Debütalbum und taucht nun an allen möglichen und unmöglichen Orten auf, um es vorzustellen und zu promoten.
Kaum ein anderer Ort aber war wohl so bizarr wie der Town & Country Club am heutigen Abend. Der Laden, der etwa 1000 Personen Platz bietet, ist mit ungefähr 60 adretten Teenagern und ebensovielen Kameramännern bevölkert. Sie alle sind gekommen, um die Hauptattraktion des heutigen Abends zu bewundern: Breathe, angeblich eine Miniaturausgabe von Bros. Die Szenerie gleicht einem Alptraum: Grinsende Animateure unterrichten uns davon, was wir zu tun haben. „Kommt weiter vor, formiert euch zu einer Gruppe, kreischt so laut ihr könnt – denn ihr seid schließlich im FERNSEHEN!“
Nicht gerade eine Umgebung die besonders empfänglich ist für eine Frau, die von Jazz-Saxophonist Courtney Pine als musikalisches Phänomen, von Boy George als brillante Sessionmusikerin und von der Musikpresse als weiblicher Prince oder Terence Trent D’Arby gefeiert wird. Das Trend-Magazin „The Face“ schließlich bezeichnete sie als den offiziellen Schlußpunkt all jener farbigen Pop-Püppchen, die weder singen noch schreiben, dafür aber einen wunderbaren Schmollmund ziehen können.
Die zierliche, drahtige Frau, ganz schlicht gekleidet in Jeans und Jacke, springt athletisch auf die Bühne und füllt das Rampenlicht umgehend aus. Die Stimme ist wunderbar – eine musikalische, aufregende Stimme, die ein wenig wie ihr Baß klingt, den sie angeblich so artistisch spielt (was schwer zu beurteilen ist am heutigen Abend, da sie das tief tönende Instrument erst im zweiten Teil des Sets umschnallt und auch dann nur sporadische Noten anschlägt).
Ihre Band – zwei Gitarristen, Baß, Schlagzeug und Keyboard- weist exzellente, wenn auch nicht gerade experimentierfreudige Musiker auf: das Repertoire besteht aus raffiniertem Funk-Rock oder stilvollem Nachtclub-Soul. Leider ist ein großer Teil des Materials nicht halb so gut und inspirierend wie ihre Stimme; oft klingen ihre Songs wie funkige Albumfüller der Eurythmics, gut gespielt, aber ohne Identität.
Das beste Stück der LP ist nach wie vor die Single-Auskopplung „Wasted Country“. ein Titel, der wie viele ihrer anderen Songs den Umweltschutz und die Ökologie zum Thema hat. Wieder ist da dieses Talent und massive Baß-Fundament, diesmal durchschnitten von scharfen Bläser-Arrangements und einer HM-Gitarre. Selbst dieses trübe Publikum applaudierte begeistert. Eine ebenso ehrgeizige wie selbstsichere Vorstellung, die Dorsey ablieferte. Sie hat das Talent, sich eine Karriere zu schmieden, der man getrost folgen kann.