G. I. BLUES
Mit der Schließung von Army-Standorten verliert Deutschland auch einen wichtigen Nachschubweg für Pop-Stars: Wenn der G.l. seinen Dienst-Blues kriegt, ist der Hit nicht mehr weit.
Die Entspannung hat mehr als nur Frieden zu bieten: Während die US-Regierung ihre durch das Ende das Kalten Krieges überflüssig gewordenen Truppenkontinente aus Deutschland nach und nach abzieht, halten ehemalige Angehörige eben dieser Truppen in wachsender Zahl mit heißen Hits Einzug in unsere Charts. Da geistern etwa seit ein paar Wochen die Herren Sydney Youngblood („Hooked On You“) und Karl Keaton („Love’s Burn“) mit eingängigem Dance-Pop durch die Bestseller-Listen. In diesem Monat setzt auch ein (aus zwei 23jährigen US-Soldaten formiertes) Duo namens Blaque zum Sturm auf die Hitparaden an, in denen sich im Frühjahr The Real Milli Vanilli mit dem Ex-Söldner John Davis wochenlang festgesetzt hatten. Und noch ein ehemaliger Krieger hat wieder Hunger auf Hits: Phil Edwards, vor wenigen Jahren als Sänger der Combo Georgie Red erfolgreich. Glaubt man Karl Keaton, ist das noch nicht das Ende der Fahnenstange: „Unier Jen US-Soldaten in Deutschland gibt es soviele verdammt talentierte Jungs, daß ganz bestimmt noch der eine oder andere seinen Weg in in die hiesige Popszene findet. Die A SU-Leute sollten sich jedenfalls mal in den G.l.-Clubs umsehen, solange es die überhaupt noch gibt!“
Die Charts-Invasion der Gls steht freilich nicht wirklich im Zusammenhang mit dem Abzug ihrer Einheiten aus dem ehemaligen Besatzungsgebiet Deutschland — die Karriere aus der Kaserne hat durchaus Tradition: Die beiden ersten G.I.S (die Abkürzung steht für „Govemmental Issues“ und bezog sich ursprünglich auf die von der Regierung ausgegebene Ausrüstung der Soldaten), die erfolgreich vom Morgenapell in die Hitparaden wechselten, waren im Gegensatz zur Mehrzahl ihrer Nachfolger weißer Hautfarbe — Bill Ramsey und Gus Backus wurden im Showgeschäft des Wirtschaftswunder-Deutschlands der 50er Jahre feste Größen. Ramsey, ein verkrachter Soziologie-Student aus Cincinnati/Ohio, war 1951 in die Airforce eingezogen worden, hatte aber das Glück, wegen seines Show-Talents statt an die Front nach Korea auf Truppenbetreuungs-Tournee durch Europa geschickt zu werden. Backus hatte 1955 die Combo Del-Vikings gegründet, deren Mitglieder alle in Pittsburgh/Pennsylvania in der Airforce dienten. Ende der 50er Jahre wurde er in die Bundesrepublik versetzt. Ramsey und Backus harten beide 1961 ihre größten Hits — Ramsey mit „Die Zuckerpuppe aus der Bauchtanzgruppe“, Backus mit ,Da sprach der alte Häuptling‘.
Nur wenige Monate nach dem Gaudiurschen Gus Backus war ein ambitionierter Sänger ganz anderen Zuschnitts zum Militär einberufen und in der Nähe von Frankfurt stationiert worden: Elvis Presley’s persönlicher G.l. Blues begann am 24. März 1958, endete am 2. März 1960 und fügte, allen Unkenrufen der Presse zum Trotz, seiner Karriere keinen wesentlichen Schaden zu.
Nachdem Elvis zum Städtele hinaus war, herrschte lange Jahre in den deutschen Charts Fehlanzeige in Sachen G.I.s. Erst Terence Trent DArby brachte die US-Army wieder popmusikalisch ins Gespräch. DArby, der übrigens bei just jener Einheit stationiert war, in der auch Elvis gedient
hatte, muß seine Armeezeit wirklich als einen G.I.Blues empfunden haben.
„Ich kam mit meinem ganzen Leben nicht recht klar damals… ich wollte was Neues und gleichzeitig meine Sicherheit, also — zwei Fliegen mit einer Klappe — rückte ich ein …Es grenzte schon an Selbsthypnose, wie sehr ich mir eingeredet habe, daß ich das wolle und brauche“, erinnerte sich Terry später in seinem ersten großen ME/ Sounds-Interview. „Die ersten anderthalb Jahre war ich trotzdem mit Leib und Seele dabei, war ein richtig netter Soldat und wurde schnell befördert. Aber dann, eines morgens, sah ich plötzlich kein Schwarzweiß-Bild mehr, sondern die Farben waren wieder da, mein altes Ich kehrte zurück… Wie konnte ich es mir überhaupt gefallen lassen, mich von rassistischen Spießern mit Volksschulbildung herumschubsen zu lassen? Von da an ging alles den Bach hinunter, ich galt als Unruhestifter und sollte schon ins Gefängnis, als sie mich dann doch ziehen ließen.“
Die Gründe, die die späteren Popstars zur Army brachten, sind recht unterschiedlicher Natur. Während Bill Ramsey, Gus Backus und 1973 auch Karl Keaton noch infolge der (1974 dann aufgehobenen) allgemeinen Wehrpflicht in den USA zwangsweise in die Army eingezogen wurden, reklamiert der freiwillige Soldat Sydney Youngblood cooles Karrierestrategisches Denken für seine Entscheidung: „Erstens war mir klar, daß ich in Deutschland musikalisch viel schneller und leichter vorankommen würde als in den Staaten, wo es gute schwarze Sänger gibt wie Sand am Meer. Außerdem wollte ich sowieso immer ein bißchen anders sein, als die ganz auf die schwarze Tradition fixierten Soul- und Funk-Sänger in den USA. Ich wollte den Einfluß der europäischen Kultur haben. “ Youngblood, der aus einer echten Soldaten-Familie stammt („Mein Vater war 28 Jahre in der Airforce, mein Bruder und meine Schwester sind ebenfalls bei den Streitkräften beschäftigt — nur Musiker hatten wir noch nie in der Familie!“) bekam den ersten Vorgeschmack auf Europa, als sein Vater in den 70er Jahren eineinhalb Jahre im holländischen Utrecht stationiert war. „Danach wußte ich, daß ich in Europa gut klarkommen würde. “ Sowohl Sydney Youngblood als auch Karl Keaton und Terence Trent DArby formierten bereits während ihrer Dienstzeit in Deutschland Bands, mit denen sie sich durch die Clubs auf den Militär-Basen und in den Garnisons-Städten spielten.
Youngblood, 1980 in die Armee eingetreten und bis zum Ausscheiden 1984 in Mannheim stationiert, gründete zunächst eine Gruppe namens Remote Control, der auch sein Truppenkamerad Charles Shaw angehörte (Eben jener Shaw hat später übrigens selbst ein Album eingespielt, wurde aber vor allem durch seinen Rap auf dem Milli Vanilli-Hit „Girl You Know It’s True“ aktenkundig). Keaton, der schließlich 1978 die Streitkräfte verließ, um sich ganz der Musik zu widmen, zog einige Jahre mit den Powerful Tramps durch die Lande, bevor er dann bei Body Heal einstieg, einer live recht erfolgreichen, aber nie zu Plattenehren gekommenen Band, der auch der bereits erwähnte John Davis angehörte. Terence Trent DArby’s Zeit mit der Frankfurter Funk-Band The Touch schließlich ist auf der gegen seinen Willen 1989 veröffentlichten LP „Early Works“ dokumentiert. Keaton wie Youngblood sehen heute den Schritt aus der Isolation der Militärbasen hinaus in die zivile Welt als entscheidend für ihre Karrieren an: „Was mich von den meisten anderen G.I.s, die immer nur auf der Army Base herumhingen und ausschließlich AFN hörten, unterscheidet, ist, daß ich wirklich von Deutschland etwas mitbekommen wollte. Ich hab mir sofort einen deutschen Fernseher gekauft und mit doofen deutschen TV-Shows wie , Dalli Dalli ‚,, Der große Preis ‚ oder der ,Hitparade‘ die Sprache gelernt“, erinnert sich Youngblood. „Und ab ich dann mit meinen Bands immer mehr Gigs spielte, lernte ich plötzlich auch eine Menge Deutscher kennen.“
Beide Musiker werden nicht müde, immer wieder zu betonen, daß sie sich nicht nur an schwarzen Vorbildern und Einflüssen orientieren, sondern auch weiße und häufig englische Acts für sie eine einflußreiche Rolle spielen. Keaton hat in seiner Zeit als G.I. zwar vornehmlich dem truppeneigenen englischsprachigen Radioprogramm AFN gelauscht, der lerneifrige Youngblood aber hatte seinen Apparat fast immer auf deutsche Sender eingestellt. „Mich ärgert nur, daß ich mir in Mannheim so einen starken Dialekt eingefangen habe. Deshalb gebe ich meine Interviews nach wie vor lieber auf Englisch — mit meinem Dialekt komme ich mir immer vor wie ein Bauer!“ Glück hatten beide auch mit ihren Funktionen innerhalb der Armee (Keaton war als Stabsdienstler mit der Verwaltung des Personalwesens betraut, Youngblood Nachschubmann für die militärische Informatik), die ihnen festbleibende Einsatzorte und Arbeitszeiten sicherten. S Karl Keaton als braver Soldat:“.Ich .§¿ habe immer meinen Job bestens erleg digt — und dann hat mich auch nie£ mandgefragt, was ich abends noch anstelle. So konnte ich die Abende bestens ßr Gigs oder zum Üben nutzen. Unser Standort in Grafenwöhr verfügte auch über zwei Musikübungsräume. Man mußte sich zwar immer anmelden, konnte dort aber in aller Ruhe an den Songs arbeiten.“
Noch besser war Youngbloods Stützpunkt in Mannheim ausgerüstet:
„Da gab es eine Art Musikzenlrum, wo sogar alle möglichen Instrumente für uns bereit standen — da habe ich Abend für Abend geübt. “ Spricht man mit farbigen amerikanischen Musikern über ihr Leben, kommt man um das Thema Rassismus nicht herum — da haben es auch die in Deutschland stationierten G.I.s nicht besser. „Es geht in Deutschland nicht ganz so rassistisch zu wie in den Staaten, wo es immer noch eine verkappte Apartheid gibt. Aber überall auf der Welt lassen dich die Weißen spüren, daß du ein Schwarzer bist, da machen auch die Deutschen keine Ausnahme“, bedauert Karl Keaton. Sydney Youngblood stützt diese Ausage mit einem anschaulichen Beispiel: „Gerade in Gegenden, wo es viele G.I.s gibt, ist auch Rassismus immer wieder an der Tagesordnung. Da ist es mir beispielsweise passiert, daß ich mit meiner Band in einem Club aufzutreten hatte, in den sie mich ein knappes Jahr vorher als Besucher nicht hineinlassen wollten.“
Übereinstimmend sprechen sie allerdings Army und Airforce als Institutionen von jeglichem Rassismus frei:
„Gerade in den Truppen, die hier in Europa stationiert sind, fahren sie eine ganz entschieden anti-rassistische Politik“, erläutert Keaton. Youngblood, der während seiner Dienstzeit weitaus weniger Soldaten-Eifer als Keaton entwickelt hatte mußte jedoch den Unterschied zwischen Theorie und Praxis in der Army am eigenen Leib erdulden: „Ich hatte einen rassistischen Sergeant, der mich immer schikaniert hat. Allerdings war ich auch angreifbar, denn wenn ich abends irgendwo einen Gig gespielt hatte, habe ich immer den Morgenappell verschlafen. Deswegen bin ich auch nie befördert worden — in meinen ganzen dreieinhalb Jahren Dienstzeit nicht! Ich bin mit dem untersten Dienstgrad .Private‘ in die Armee gekommen und habe sie als ,Private‘ wieder verlassen — und darauf bin ich stolz. “ Schließlich kann er über mangelnden Erfolg in seiner zivilen Karriere nicht klagen und fügt mit breitem Grinsen hinzu:
„Wenn du nach ein paar Jahren Dienst in der Fremde zum ersten Mal deine Eltern besuchst, und bist Unteroffizier geworden — das ist nichts Besonderes. Aber wenn du stattdessen eine goldene Schallplatte unter’m Arm hast — das ist ein geiles Gefühl!“