Popkolumne, Folge 182

Fuck you very, very much: Was Paula Irmschler über Popkultur und Abtreibung sagt


Euch regt das Urteil Roe vs Wade und fehlende weibliche Selbstbestimmung ebenfalls auf, wollt die Ausmaße aber noch besser begreifen? Paula Irmschler klärt in ihrer aktuellen Popkolumne auf und liefert Videos und Literatur – natürlich nicht ganz ohne Popbezug.

„Instagram has been blocking posts that mention abortion“

„Delete your period tracking app. That’s a goldmine of information they’ll be lining up to sell to Republicans.“

„A 10-year-old girl is raped. The State forces her to remain pregnant and tells her to consider it an ‘opportunity’.“

Das waren so ganz normale virale Tweets der letzten Woche. Während man sich immer weiter daran gewöhnt, dass Männer mit Waffen rumballern, wurden mal wieder die Rechte von Frauen über körperliche Selbstbestimmung verhandelt – zu deren Ungunsten natürlich. Aber ich zum Beispiel habe aktuell nicht mehr so richtig Lust auf Erklären und Flehen und Rumheulen. Also erstmal dieses Feuerwerk an Wut und Kampfansage angucken, bevor es weitergeht:

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„Abort the court!“ lautet die Parole, spätestens seit dem 24. Juni 2022. Das war der Tag, an dem der Supreme Court tatsächlich Roe vs. Wade aufgehoben hat. Es war zu erwarten und es war leider auch vorher nicht annähernd so, dass alle Frauen in den USA Zugang zu sicheren Abtreibungen hatten. Das Verschwinden von Orten an denen man unkompliziert einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen kann, fing schon viel früher an (übrigens werden es auch in Deutschland außerhalb der Städte immer weniger).

Die Netflix-Doku „Reversing Roe“ (2018) fasst gut zusammen, worum es bei dem Fall ging, wie sich das Verhältnis der Republikaner und Demokraten zum Thema Abtreibung gewandelt hat, wie dieses fundamentale Recht von Frauen immer wieder als Spielball für Wahlversprechen benutzt wurde und natürlich welche Rolle religiöse Interessengruppen dabei spielen:

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Zumindest in der Pop-Welt schien man sich relativ einig zu sein, dass das eine beschissene Scheißrichtung ist, in die wir uns da bewegen.

Billie Joe Armstrong (Green Day) kündigte an, seine Staatsbürgerschaft abzugeben und nach London zu ziehen und rantete dabei so schön ab wie wir wahrscheinlich alle privat in unseren Wohnzimmern, als wir von dem Urteil hörten. Fucking America und so.

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Taylor Swift fand’s auch nicht gut:

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Und vielleicht am Schönsten war diese Reaktion von Danny DeVito, der sonst gar nicht allzu viel postet:

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Cindy Lauper nahm sogar ihren Song „Sally’s Pigeons“ noch mal auf, der eine Abtreibung thematisiert.

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Hier ist die Neuauflage:

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Stephen King konstatierte wie viele andere folgendes:

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Und deswegen hab ich mir die Serie jetzt doch mal angeguckt, bin nach vier Staffeln erst wieder aufgewacht und muss sagen: Nein! Den Vergleich finde ich unpassend. Denn das was in „The Handmaid’s Tale“ als Dystopie (!) gezeigt wird, ist vielen Frauen schon genau so passiert und passiert in ähnlicher Weise noch. Nur waren/sind das eben nicht, wie in der Serie die Hauptfigur, weiße blonde Frauen, sondern zum Beispiel Schwarze Frauen in den USA, afghanische Frauen unter den Taliban, jüdische Frauen während des Holocausts und so weiter. Jetzt erst in Alarmbereitschaft zu sein, nach und neben all dem was war und ist, dieser King’sche punktuelle Aufreger-Aktivismus, der als Referenz nur eine Serie und nicht DIE GESCHICHTE oder ANDERE TEILE DER WELT kennt, bringt’s nicht so sehr.

Natürlich ist die Popkultur zu dem Thema selbst – auch „The Handmaid’s Tale“ – sich meist der Geschichte bewusst. Über „Dirty Dancing“ schrieb ich schon mal in dieser Kolumne, dass es sich lohnt, ihn sich unter heutigen Gesichtspunkten noch mal anzuschauen. Drehbuchautorin Eleanor Bergstein schrieb in den Film die Szene einer illegalen Abtreibung rein, um daran zu erinnern wie es vor Roe vs. Wade war und um davor zu warnen, wie es wieder werden würde, wenn es Roe vs. Wade nicht mehr gibt.

Ein schöner neuer Film, den ich letztens sah, hieß „Unpregnant“, in dem zwei Teenager durchs halbe Land (USA!) fahren müssen, damit eine von ihnen eine Abtreibung machen kann. Besonders toll fand ich, dass kein großes Getue um die Entscheidung der Schwangeren gemacht wird. Sie will nicht schwanger sein, also geht es los. Zu keinem Zeitpunkt zweifelt sie an ihrer Entscheidung, es ist so wohltuend. Nachher ist sie einfach nur: erleichtert.

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Weitere Repräsentationen von Schwangerschaftsabbrüchen in Filmen und Serien findet Ihr auf https://www.instagram.com/abortion.tv beziehungsweise http://abortion-tv.info/.

Auch die Podcast-Welt hat das Thema derzeit wieder verstärkt auf dem Zettel. In meinem Lieblingspodcast „1000 erste Dates“ ging es kürzlich um die Geschichte von Lisa, die von einem One Night Stand erzählt, der trotz Pille danach zu einer Schwangerschaft geführt hat:

Im Deutschlandfunk berichtete die zauberhafte Dolly, wie schwer es für sie in den westdeutschen 60ern war, abzutreiben und wie sie dadurch zur Feministin geworden ist.

Und, weil oft ignoriert: Ebenfalls vom Deutschlandfunk gibt es diesen Beitrag über die weitaus fortschrittlicheren Regelungen zur Abtreibung in der ehemaligen DDR.

Was so gut wie alle Geschichten über Abtreibung, die ich so mitbekomme, gemein haben: Die Frauen sagen, sie waren danach erleichtert. Das deckt sich auch mit den Studien. Haben Frauen sich selbst dazu entschieden, fühlen sie sich meist erleichtert und sogar empowert. Schließlich haben sie selbst ihren Lebensweg bestimmt, mussten sich keinem Schicksal ergeben (dem der Schwangerschaft oder sogar einem Kind). Noch immer hält sich jedoch der Mythos, dass Abtreibungen Depressionen auslösen und auch sonst gesundheitsgefährdend sind. Dabei sind Schwangerschaften um ein Vielfaches risikoreicher – und auf dem Weg zum gesunden Kind kann sowieso noch so viel schiefgehen, dass ein Schwangerschaftsabbruch nicht in jedem Fall ein Nein zu Kindern ist, sondern eben zum Zustand des Schwangerseins. Mit den vielen Mythen und Debatten um Schwangerschaften beschäftigt sich Erica Millar in ihrer Studie „Happy Abortions“ und das will ich allen herzlichst empfehlen.

Und noch was zum Lesen: Die sehr schlaue Jia Tolentino („Trick Mirror“) hat hier mal aufgeschrieben, was das Urteil für die Zukunft von Schwangerschaftsabbrüchen in den USA bedeutet. Sie zeichnet ein sehr düsteres Bild und fordert mehr Radikalität von Feminist*innen. Kann sie haben!!!

Weil ich mich aber noch ein wenig hilflos fühle, hab ich erstmal das gemacht, was ich dann immer mache, nämlich eine Playlist gebastelt. Diesmal über Songs, in denen es direkt oder eher indirekt um das Thema Abtreibung beziehungsweise körperliche Selbstbestimmung geht, mit ganz unterschiedlichen Ansätzen und Gedanken, manchmal emotional aufgeladen, manchmal ganz pragmatisch, manchmal wütend, manchmal lustig. Aber Hauptsache man überlegt während es Hörens, wie man die Schweine rankriegt.

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