Kolumne

Fuck 2024: Warum wir statt Fake-Artists & KI echte Musik mehr denn je brauchen


In ihrer letzten Kolumne für 2024 denkt Aida über die Bedeutung von Musik nach – und warum wir gerade jetzt die Musik nicht KI überlassen sollten.

Wisst ihr noch, als ein Jahr so beschissen sein musste wie 2020, damit Scooter einen Song darüber machen? Nicht, dass ich mir 2020 zurückwünsche, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir uns so stark an den Dauerzustand „Polykrise“ gewöhnt haben und sie so stark aufeinander folgen, dass wir alle eigentlich nur noch resigniert haben. Rassistische Memes, Vernichtungsfantasien, Leid, Schmerz, Krieg, Ausbeutung, Unterdrückung und tote Kinder auf unseren Screens sind schon so normal, dass wir desensibilisiert sind. Nazis und bislang als „gemäßigte rechte“ geltende Menschen, die teilweise im Bundestag sitzen, wollen Staatsbürger, die ihnen nicht passen, aus dem Land vertreiben? Hat im Frühjahr interessiert, hat uns sogar millionenfach auf die Straße getrieben. Aber dass seitdem alles eigentlich noch viel schlimmer geworden ist und mittlerweile Multimillionäre, die sogar für einen Comic noch zu cartoonhaft bösartig sind, in deutschen Zeitungen zur Wahl der AfD aufrufen, scheint auch irgendwie egal. Scooter, bitte meldet euch, wir brauchen dringend ein „Fuck 2024“.

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Wobei, die größte Musikbusinessstory der letzten zwei Wochen (die aber wieder kaum jemand außer der nerdigen Bubbles mitbekommen hat, weil, naja, alles andere) zeigt: vielleicht brauchen Streaminganbieter bald auch schon gar keine echten Bands mehr, unsere Moods einzufangen. Stattdessen gibt es Hinweise darauf, dass vielleicht heute schon populäre Playlisten wie „Ambient Relaxation“, „Deep Focus“, „Cocktail Jazz“ und andere mit Musik von Künstler:innen gefüllt werden, die es gar nicht gibt. Wie das gehen soll? Musikjournalistin Liz Pelly erklärt es in der aktuellen Ausgabe des US-amerikanischen Kulturmagazins „Harper’s“ in ihrer Recherche zu „Ghost Music“ und „Fake Artists“ – der Streaminganbieter arbeite dafür mit Unternehmen zusammen, die sogenannte „lizenzfreie“ Musik verkaufen. Also Katalogmusik, die bislang eher für Soundtracks, Werbung oder Hintergrundmuzak interessant war. Geschrieben wurde sie – zumindest bis vor kurzem! – zwar von echten Musiker:innen, aber eben als Auftragsmusik, für die sie auf ihre üblichen Tantiemen verzichten. Auf Spotify würden diese Stücke dann unter irgendwelchen erfundenen Namen mit erfundener Bio und Geschichte gestreamt werden. Stimmt die These von Pelly, könnte es für Spotify nämlich wesentlich günstiger kommen, Deals mit diesen Unternehmen abzuschließen und seine Playlisten mit deren Musikangebot zu befüllen, statt die üblichen Tantiemen auszuzahlen.

Und wie der grauenhafteste Song des Jahres, das zutiefst rassistische, sexistische und rundum ekelhafte „Verknallt in einen Talahon“ aus dem Sommer gezeigt hat, kann man auch gleich eine KI arbeiten lassen. Ich habe das am Wochenende mal versucht und eine Musik-KI eine 2024er Version von „Fuck 2020“ generieren lassen. Das Ergebnis war natürlich Unsinn, aber nicht auf so „so bad it’s actually good“-Art wie eben Scooter, sondern wirklich so etwas wie Audio-Sondermüll. Nicht einmal Lyrics musste ich eingeben, das hat das Programm alles von selbst übernommen, „Let’s dance like it’s spring“ war da etwa eine Perle. Praktisch, da braucht keiner mehr zu denken.

Dass so ein „Slop“, also KI-Matsch, direkt zum Chartstürmer wird, ist bislang glücklicherweise eher selten der Fall, aber jetzt schon breitet sich die Pampe immer mehr auf Streamingplattformen aus, wie Eike Kühl in der „ZEIT“ geschrieben hat, taucht auf den Artist-Pages von echten Musiker:innen auf und wird in Zukunft vermutlich auch immer öfter auf die unaufdringlichen Musikplaylisten dringen. Wenn es nicht schon längst der Fall ist, denn wer sich hinter den mutmaßlichen Fake-Artists verbirgt, lässt sich sowieso jetzt schon nicht nachverfolgen. Hören wir sanfte Beats von einer Ambientmusikerin, die ihre Miete mit der Komposition und Produktion von belanglosem Hintergrundgedudel für einen Katalogmusikanbieter finanziert, oder von jemandem ohne großes musikalisches Gefühl, der einfach nur Prompts in einen KI-Generator tippt um den vermeintlich perfekten sinnentleerten Track für die passende Playlist zu generieren, wer weiß das schon? Und wen interessiert es so richtig, wenn die Playlist einfach nur nett im Hintergrund dudeln soll, während wir arbeiten, putzen, einschlafen?

Es sollte uns alle interessieren – denn gerade in Zeiten wie jetzt, in denen Humanität so rar gesät scheint, in dieser einfach nicht mehr enden wollenden Ära der Dauerkrise, brauche ich zumindest Menschliches umso mehr. Mit Kunst verorten wir uns in der Gesellschaft, mit Kunst stellen wir uns selbst in Frage, wir spiegeln uns in ihr und verbinden uns durch sie miteinander, von Künstler:in zu Publikum. Sie inspiriert und motiviert uns, an eine bessere Zukunft zu glauben, auch wenn es gerade vielleicht nicht so aussieht, als wäre sie drin. Musik, das sind eben nicht nur Töne, das ist auch Community, das ist Wärme. Und keine Abwärme eines Serverturms wird das jemals ersetzen.