From Disco To Disco


Ein ernst zu nehmender DJ darf keinen Kult um seine Person zulassen. Warum eigentlich nicht?

Es wird ja oft davon geredet, dass der DJ in den 90ern zum Popstar geworden sei. Eine Entwicklung, die mit aktuellen Landjugendunterhaltungsphänomenen wie Skrillex, David Guetta und Deadmau5 ihren Höhepunkt erreicht zu haben scheint. Die Wahrheit ist, dass DJs schon viel früher zu Popstars wurden, in New York und Chicago in der Hochzeit der Disco-Ära von Mitte bis Ende der 70er-Jahre. David Mancuso (The Loft), Francis Grasso (Sanctuary), Nicky Siano (The Gallery) und natürlich Frankie Knuckles (The Warehouse) und Larry Levan (Paradise Garage) als die beiden Prototypen moderner House-DJs. Sie alle waren Superstars in regionalen Szenen, die untrennbar mit ihrem jeweiligen „Heimatclub“ verbunden waren.

Die frühen Schallplattenunterhalter wurden noch verschämt in einem Nebenraum des Dancefloors versteckt und durften sich durch Sehschlitze vom ordnungsgemäßen Zustand der Tanzenden überzeugen. Als sie später sichtbar geworden waren, wurden die DJs von der tanzenden Crowd gefeiert und mit dem Ende der Disco-Ära wieder zu anonymen Plattenauflegern, bis sie in den 90ern wieder Rockstar-gleich wurden. Das natürliche Gleichgewicht der Popkultur sorgte dann dafür, dass vor allem im IDM eine Gegenströmung von Produzenten und DJs aufkam, die bewusst die Anonymität gesucht hatte. Und irgendwo in der Mitte zwischen Superstarstatus und Anonymität ist die Masse der DJs zu Hause. Manche Electronica-Gourmets fordern, dass ein ernst zu nehmender DJ gefälligst keinen Personenkult um sich aufzubauen hat, weil es eben bei den krassesten Gegenbeispielen (Skrillex, David Guetta et al) mit der Kunst nicht so weit her ist.

Nehmen wir Nina Kraviz. Die russische Produzentin und DJ hat ihr Debütalbum Ende Februar veröffentlicht. Kraviz setzt ihr Aussehen bewusst ein, was die Anhänger der Anonymitätsschule gleich zum Anlass nehmen, sie als Künstlerin nicht ernst zu nehmen. In jedem Artikel über sie und in jeder Besprechung des Albums (auch in diesem Heft) war das Adjektiv „sexy“ zu lesen. Auf dem Innencover der LP rekelt sich Kraviz wie ein Centerfold, dazu gibt es noch einen Satz Postkarten, auf dem die Künstlerin hübsch in Szene gesetzt ist. Und: ändert das etwas an der Qualität des Albums? Man sollte nicht in jedem Fall vom Aussehen des Künstlers auf seine Kunst schließen. Was leicht zu beweisen ist: Machen Sie dann doch bitte mal eine Bildersuche zum House-Duo Blond:ish.