Frankie stänkert
Das muß ihnen selbst der ärgste Neid lassen: Für Aufregung haben die Fab Five aus Liverpool stets gesorgt: „Relax“ in 17 Versionen, T-Shirt-Krieg, gigantische PR-Feldzüge, ein Doppelalbum als Debüt. Videos auf dem Index. Pop als Fanal. Pop als Bacchanal. Pop as Pop can … In Frankie-Clips wurde beigeschlafen und gepeitscht und gepinkelt. Popen regten sich auf. Ein großer „Pleasuredome“ wurde errichtet. Darin ein Altar, auf dem alles geschlachtet wurde, was nach Langeweile roch. Paul Morley, ein ehemaliger Journalist, entwickelte Genie in puncto Promotion. Die Produktionstechnik kam von Trevor Horn, dem großen Studio-Mufti bei ZTT. Der schwule Holly und seine Kerle machten die Faxen dazu.
Und nun, wo wir das alles wissen und erlebt haben, wo die Gefahr des sogenannten „Overexposure“, der ins Gegenteil umschlagenden Werbung, gebannt ist, kommt „Rage Hard“. Eine, wie Holly Johnson behauptet, „ernsthafte Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, in der wir leben“ und eine Absage an ihre lustfeindliche, kleinmachende Struktur. Frankie auf dem Weg in eine gar nicht so neue Seriosität?
„Wir haben“, kontert Holly Johnson, „ja schon mit, Two Tribes‘ ein ernsthaftes Thema aufgegriffen. Mit diesem Stück, das übrigens zum generellen Thema des ,Pleasure Dome‘-Sujets gar nicht paßte, sind wir der Frage nachgegangen, warum es Kriege gibt. Ernsthaft war jedoch nur der Rahmen des Songs, denn letztendlich war’s eine Tanznummer.“
Und „Rage Hard“? „Das ist eine Beschwörung wider den Tod und die Lethargie. Die meisten Menschen in unserer Gesellschaft lassen sich verführen, und die Dämonen heißen Drogen, Alkohol, Fernsehen. Konsumieren und verblöden! Das ‚Pleasure Dome‘-Motiv beruhte auch auf Verführung, Ausbeutung -— allerdings der eigenen Lust. Völlerei in jeder Hinsicht, sexuell usw., Exzesse. Das war zu diesem Zeitpunkt für um genau das Richtige. Und für die Menschen ist das in gewissem Maße immer noch so. Denn nur die Party um Wochenende rechtfertigt den Druck der Arbeitswoche, gibt Erleichterung.
Die andere Seite des exzessiven Lebenswandels ist Apathie. Da hocken sie vor ihren Mattscheiben und warten darauf, daß das Leben vorbeigeht. Kleine Leute in kleinen Häuschen mit kleinen Jobs, die die Reichen bestaunen, die ihr reiches Leben ßhren. Ich verstehe diese Art von Flucht, aber es ist schade, daß es für diese Leute kein besseres Leben gibt. Und an diesem Punkt setzt ‚Rage Hard‘ ein. Die kleinen Leute bleiben klein, weil sie gehorsam sind. Es ist so, als würde ich aus dem Bildschirm herausspringen und schreien: ,He, wach auf, schau dir an, was du machst. Soll das alles gewesen sein. ‚Rage hard — – lehn’dich auf.'“
Wie dieses bessere Leben aussehen soll, weiß der gute Holly auch nicht. Für ihn selbst galt lange Zeit: „All the world’s a stage“, die ganze Welt ist (m)eine Bühne, und die ganze Welt eines Holly Johnson waren Discos und Clubs.
„Zwischen meinem 14. und 25. Lebensjahr war ich bestimmt in IM) Discos überall auf der Welt. Das war mein Zuhause. Da habe ich den großen Teil meines Lebens zugebracht. Aber man kann sich nicht ewig an diesem Wunde r mit seinen farbigen Lichtem und feuchten lerheißungen delektieren. Irgendwann hat’s mich gelangweilt. Deshalb begann ich zu malen, zu lesen, Gedichte zu schreiben.“
Hat diese Kehrtwendung des maßlosen Individualisten zum disziplinierten Künstler noch einen anderen Hintergrund? „Ja, ‚Rage Hard‘ ist mehr als alles andere eine An Widerstand gegen den Tod. Dabei jedoch kommt das Vergnügen durch die Hintertür wieder herein. So wie im Vergnügen auch eine Art Disziplinierung steckt, nämlich die, sich ständig dem Lustprinzip zu verschreiben, so steckt im Widerstand eine Art Nicht-Disziplinierung, d.h. eine Art Ungehorsam, der auch wieder Vergnügen bereitet.“
Holly Johnson, der zum Interview mit seinem neuen deutschen Freund erschien, will nicht ausschließen, daß er eines schönen Tages wieder zu seinem wilden, lustorientierten Leben zurückfindet. „Ich rümpfe auch nicht ab sofort die Nase über Leute, die weiterhin nur auf ihr Amüsement, auf ihr Vergnügen aus sind. Das war ja früher auch mein höchstes Ziel. Ich hab immer so getan, als könne jeden Moment das Ende kommen …“
Zeichnen, Malen, Dichten — das hört sich nach Strickstrumpf, nach verstaubter Innerlichkeit an, so, als könnte es schlecht sein fürs Image.
„Käse, das Image von Frankie Goes To Holhwood ist mir scheißegal. Da habe ich mich noch nie drum gekümmert. Das entsteht sowieso von selbst. Das machen andere.“