Frank Spilker (Die Sterne): „Das Individuum ist dafür verantwortlich, den kategorischen Imperativ zu befolgen“
Die Band Die Sterne, wie wir sie kannten, gibt es nicht mehr. Ist das das Ende des Kollektivgedankens für ein Projekt, das immer besonderen Wert auf demokratische Verhältnisse gelegt hat? Frank Spilker – am 8. Mai auch in unserer Reihe #DAHEIMDABEIKONZERTE zu sehen – im Themeninterview über Autonomie.
Die Band Die Sterne, wie wir sie kannten, gibt es nicht mehr. Thomas Wenzel und Christoph Leich haben die Gruppe verlassen, Frank Spilker macht mit einer Reihe anderer Musiker alleine weiter. Ist das das Ende des Kollektivgedankens für ein Projekt, das immer besonderen Wert auf demokratische Verhältnisse gelegt hat?
Die Sterne haben sich schon immer circa alle zehn Jahre verändert. Diesmal ist der Einschnitt aber besonders tief. Wie ist es dazu gekommen?
Es gab einen langen Entfremdungsprozess in der Band. Der springende Punkt war nicht, dass es auf Tour nicht mehr geklappt hätte, auch menschlich haben wir uns noch verstanden, doch der kreative Teil hat nicht mehr funktioniert. 2018 haben wir eingesehen: Da kommt nichts mehr. Christoph Leich, der Schlagzeuger, war beruflich in Berlin gebunden, und Bassist Thomas Wenzel hatte irgendwie keine Lust mehr, sich mit meinen Sachen auseinanderzusetzen – das war der Kernkonflikt. Wenn man keine Lust hat, mit dem Sänger in der Band Musik zu machen, dann ist eine Band am Ende. Für mich folgte die Frage: Führe ich das weiter? Ist es fair, etwas, das ich mit anderen Leuten mache, noch „Die Sterne“ zu nennen? Letztlich habe ich mich dafür entschieden, und die ganze Ex-Band hat das auch unterstützt.
Hattest du dazwischen auf eigene Faust weitergearbeitet?
Ich habe in der ganzen Zeit Ideen gesammelt, Stücke geschrieben und auch schon ganz viel arrangiert, in der Absicht, es irgendwann mit den Sternen umzusetzen. Als klar war, dass das nicht passieren wird, hat es noch ein dreiviertel Jahr gedauert, bis ich alle Parameter zusammen hatte, und mit dem Material bin ich dann nach Köln.
Da waren dann Jan Philipp Janzen und Phillip Tielsch von Von Spar deine Partner. Sind sie nun auch Bandmitglieder?
Mir ist es lieber, es erst mal als vorübergehende Produktionsgemeinschaft zu begreifen. Das ist im Grunde nur eine Frage des Auftretens. Entweder man macht ein Bandfoto und behauptet: Das sind die neuen Sterne. Oder man nimmt diesen Zustand erst einmal als Übergang wahr. Aber die Atmosphäre bei den Aufnahmen war so gut, dass ich zuversichtlich bin, dass daraus eine längere Zusammenarbeit entsteht.
Der Szenezusammenhang, in dem Die Sterne mal verankert waren, existiert schon länger nicht mehr in der Form. Jetzt hat sich auch die Band als solches aufgelöst. Steht das für einen Trend von kollektiven zu immer mehr individuellen Vorgehensweisen? Oder entstehen einfach neue Zusammenhänge?
Vielleicht beides. Man wird sich seiner Stärken und Schwächen besser bewusst, wenn man älter wird. Die Entwicklung als Mensch hört ja nicht auf, deshalb sind solche Zusammenhänge immer flexibel und ändern sich im Lauf der Zeit. Nichts anderes passiert jetzt: Es war eine künstlerische Entscheidung, nach Köln zu gehen, um die Platte zu machen, aber natürlich ergeben sich daraus auch wieder neue soziale Systeme.
Auf dem neuen Album kommt die Frage „Wo ist hier?“ wieder vor, und überhaupt zieht sich das Thema der Standortsuche – „Wo kann ich hingehen, um ich zu sein?“ – seit Jahren durch dein Werk. Geht es hier darum, einen eigenen Raum zur Entfaltung für sich zu reklamieren?
Es geht vor allem darum, auch zur Entfaltung aufzufordern! Nicht paternalisierend, sondern indem man die richtigen Fragen stellt und die Leute auffordert, sich zu entfalten, indem sie sich selber mit diesem Baukasten von Gedanken eine eigene Meinung bilden.
Ein ganz zentraler Satz auf dem Album ist allerdings als Appell formuliert: „Du musst gar nichts!“
Das ist nicht ohne Humor zu verstehen. Das Stück feiert eine Fantasie – man müsse gar nichts – und das hat natürlich mit Eskapismus zu tun.
Einer der Punkte, die darin aufgezählt werden, ist: „Du musst dich nicht am nächstbesten Idioten orientieren, du kannst dich auch einfach so verlaufen.“ Zur Freiheit gehört also auch, selbstverantwortlich zu scheitern?
Genau, lieber selbstverantwortlich scheitern, als irgendeinem Deppen hinterherlaufen und dann deswegen scheitern. Das ist für mich der Unterschied zwischen konservativem und selbstverantwortlichem Denken. Konservatives Denken ist im Kern der Gedanke: Die anderen machen es ja auch – und so zu rechtfertigen, was man tut.
Wie gelingt die Unterscheidung zwischen der Illusion von Freiheit, die unsere Gesellschaft gern vermittelt, und tatsächlicher Autonomie?
Die Frage stelle ich mir persönlich immer wieder, deshalb kommt es auch in den Texten immer wieder vor. Unsere westlichen Demokratien gelten als Maßstab aller Dinge, aber wie weit geht die Demokratie denn in die Arbeitswirklichkeit hinein? Unterwirft man sich dort, wo die wirklich wichtigen Entscheidungen gefällt werden, nicht wieder autoritären Verhältnissen?
In dem Lied „Wir kämen wieder vor“ fragst du, wie es wäre, wenn es tatsächlich egal wäre, „wo oder als was“ man geboren ist. Warum ist das immer noch Utopie?
Weil es immer noch Kräfte gibt, die es als Utopie ansehen, wirklich allen Menschen das gleiche Recht zuzusprechen. Diesen Gedanken ernst zu nehmen, sollte Bestreben der Politik sein. Aber es geht im Moment leider stark in die andere Richtung.
Ist das eine Herausforderung, die man nur im Kollektiv lösen kann?
Individualität hat evolutionsbedingte Grenzen. Wir haben immer in Stammesgemeinschaften gelebt, das ist unsere natürliche Lebensweise. Natürlich kann ich mir ein Eremitendasein vorstellen, aber das hilft auch keinem.
Wie lassen sich Individualität und Solidarität zusammenbringen?
In dem Moment, wo man, egal ob als Individuum oder in der Gruppe, bereit ist, Verantwortung zu übernehmen für das, was man tut, ist ein Zusammenleben auf einer vernünftigen Basis möglich. Das erlebt jeder, der eine Familie hat, und das kann man auf gesellschaftliche Verhältnisse übertragen: Wenn man sich nicht mehr verantwortlich fühlt, fängt der Ärger an. Das Individuum ist dafür verantwortlich, den kategorischen Imperativ zu befolgen. Wenn man sich davon freispricht, dann ist die Familie im Arsch. Und die Gesellschaft.
Dieser Artikel erschien erstmals im ME 03/20.