„Framing Britney Spears“ auf Amazon Prime: 5 kritische Erkenntnisse zur Doku
Die Doku „Framing Britney Spears“ befasst sich vordergründig mit der rechtlichen Bevormundung der 39-jährigen Sängerin durch ihren Vater, wirft aber ein besonderes Schlaglicht auf den harschen öffentlichen Umgang mit der Popikone. Wir fassen fünf kritische Erkenntnisse zur Doku zusammen.
Am 5. Februar dieses Jahres erschien „Framing Britney Spears“ als Teil der Dokureihe „The New York Times Presents“ auf der amerikanischen Streaming-Plattform Hulu und dem Bezahlsender FX. Der Film stammt von TV-Produzentin und Doku-Regisseurin Samantha Stark und becshäftigt sich in erster Linie mit der seit 2008 bestehenden rechtlichen Betreuung („conservatorship“ genannt) von Britney Spears durch ihren Vater. Daneben wirft die Doku aber ein Schlaglicht darauf, wie die Popsängerin in den Nuller Jahren – während des Sorgerechtsstreits um ihre beiden Söhne und ihres öffentlichen Nervenzusammenbruchs – von den Medien behandelt wurde. Hier sind fünf kritische Erkenntnisse, die wir aus der Doku mitnehmen.
-
Früh sexualisiert, dann sexistisch abgestraft
Einfache Verhältnisse, ‚Bible-Belt‘, Südstaaten: Im Schnelldurchlauf spielt „Framing Britney Spears“ die Kindheit der Popsängerin durch, wobei ihr Gesangsauftritt als Zehnjährige in der Castingshow „Star Search“ besonders hervorsticht. Auf der Bühne wird sie vom Ü-60-Moderator nach ihrem Liebesleben gefragt, bevor sich dieser selbst als „boyfriend“ anbietet. Dieser Ausschnitt entpuppt sich als frühe Ankündigung des unangenehmen Lolita-Images, das der Sängerin spätestens nach ihrem Hit-Song „…Baby One More Time“ (1999) anhaften sollte. Im zugehörigen Video tanzte die damals 17-Jährige in knapper Schuluniform, eine Fotostrecke von David LaChappelle im US-amerikanischen „Rolling Stone“ zeigte sie zwei Jahre später als lasziv gekleideten Teenie im Kinderzimmer.
„Framing Britney Spears“ präsentiert mit aufschlussreichem Foto- und Videomaterial, wie sexualisiert das öffentliche Bild der jungen Sängerin von Beginn an war. Zugleich kritisierten viele „besorgte“ Christ*innen ihre Bühnenoutfits und Performances, prangerten sie als schlechtes Vorbild für ihre Kinder an. Ein Spannungsverhältnis, das die Medien dankbar ausschlachteten: In der Doku sind diverse Interviewausschnitte zu sehen, in denen Britney völlig übergriffig zu ihrer Sexualität (noch Jungfrau?), ihrem Körper (alles echt?), ihrer Kleidung (wieso so aufreizend?) ausgefragt wird. „Kein Boyband-Mitglied musste sich damals so etwas gefallen lassen“, kommentiert Britneys ehemalige Stylistin an einer Stelle diese sexistische Abstrafung durch die Medien.
-
Goldesel für jedermann
Die Nachzeichnung von Britneys kometenhaftem Aufstieg in den Pop-Olymp präsentiert sich in „Framing Britney Spears“ auch als Erzählung über ein lukratives Investment. Die Doku zeigt frühe Interviews mit den Eltern, in denen diese berichten, was für große Opfer sie gebracht hätten, um ihrer begabten Tochter eine Karriere im Showgeschäft zu ermöglichen. Doch die Selbstlosigkeit der Familie Spears wird auch angezweifelt: „Meine Tochter wird eines Tages so reich sein, dass sie mir ein Boot kaufen wird“, soll Britneys Vater Jamie Spears einer Plattenlabel-Managerin einmal gesagt haben. Das wird in der Doku besonders kritisch hervorgehoben, da Jamie Spears ab 2008 und bis vor kurzem als „conservator“ gemeinsam mit einem Anwalt die Kontrolle über Britneys Finanzen hatte und ihm damit Anteile an ihren Millionengagen zustanden.
Dies ist aber nicht das einzige Beispiel dafür, auf welch fragwürdige Weise andere (vorrangig Männer) von Britneys Bekanntheit und Erfolg profitierten: Das Ende ihrer Beziehung zu Justin Timberlake verwertete dieser in seinem Song „Cry Me A River“ (2002), im zugehörigen Video spielte er sehr offen auf Britneys angebliche Untreue an und eine „männliche Rachefantasie“ durch, wie die Dokumentation analysiert. Währenddessen schlug sich Britney mit Horden von Paparazzi herum, die den „Hunger nach ungestellten Fotos“ bedienten und denen ein wenig schmeichelhaftes Foto des Pop-Stars mehrere hunderttausend Dollar einbringen konnte.
-
Psychische Erkrankung als Running Gag
In seiner zweiten Hälfte widmet sich „Framing Britney Spears“ dem geradezu explodierenden Interesse der Klatschpresse an Britney ab 2004, nachdem sie ihren Background-Tänzer Kevin Federline heiratete und erstmals Mutter wurde. Zeitgleich zu den immer aufdringlicher werdenden Paparazzi, häuften sich die Probleme in Britneys Privatleben, ihre Ehe zerbrach kurz nach der Geburt des zweiten Sohnes und es häuften sich verstörende Fotos von ihr. Seltsamerweise geht die Doku keinem der damals kursierenden Gerüchte über Drogenmissbrauch nach, sondern umkreist recht vage ihren damaligen mentalen Zustand und zitiert ihre Mutter, die bei Britney eine postnatale Depression vermutete.
Sehr viel eindeutiger bezieht „Framing Britney Spears“ jedoch Stellung zum medialen Umgang mit Britney Spears während ihrer extremen Abwärtsspirale 2007: Ihre wiederholten Zusammenbrüche in der Öffentlichkeit und der harte Sorgerechtsstreit um ihre Kinder waren gefundenes Fressen für die Klatschpresse, die hämisch und belustigt darüber berichtete. „Niemand dachte damals über psychische Gesundheit nach, als Britney Spears all dies durchmachte“, kommentiert New York Times-Journalist Wesley Morris an einer Stelle der Doku. Vielmehr wurde Britneys psychischer Zusammenbruch zum öffentlichen Running Gag. So zeigt „Framing Britney Spears“ vielsagende Ausschnitte aus einer Episode der US-Quizshow „Family Feud“ (vergleichbar mit dem deutschen Format „Familienduell“) von 2008: „Nennen Sie uns etwas, das Britney Spears im letzten Jahr verloren hat“, werden die Teilnehmer*innen aufgefordert. Gewinnbringende Antworten: ihre Haare, ihren Ehemann, ihre Kinder, ihren Verstand.
-
Kuriose #FreeBritney-Bewegung
„Framing Britney Spears“ lässt an vielen Stellen Fans und Anhänger*innen der sogenannten #FreeBritney-Bewegung zu Wort kommen. Lautstark demonstrieren sie vor einem Gerichtsgebäude in Los Angeles mit Megafonen und Transparenten und fordern Freiheit für die in ihren Augen entrechtete Popsängerin. Ein Fan stellt fest, dass so etwas wohl „niemals einem Mann in Amerika geschehen würde“ – Ausnahmefälle wie den von Beach-Boys-Mastermind Brian Wilson kennt er offensichtlich nicht. Auffahrt hat diese Bewegung der Doku zufolge vor allem durch den Podcast „Britney’s Gram“ erhalten. Deren Macherinnen erklären im Interview, dass sie in den Instagram-Posts der Sängerin zunehmend verschlüsselte Botschaften und Hilferufe gesehen hätten.
Zweifellos scheint es angebracht, die Recht- und Verhältnismäßigkeit eines nun schon 13 Jahre lang anhaltenden „conservatorship“ für Britney Spears zu hinterfragen – aber ob dies durch diese Art von teilweise bizarre Züge annehmenden Fan-Aktivismus passieren sollte? Problematisch an „Framing Britney Spears“ ist, dass diese Doku unter Mitwirkung von New York Times-Journalist*innen entstanden ist, diese aber weder kritische Distanz zu #FreeBritney wahren, noch ihre recht dünne Informationslage zum tatsächlichen psychischen Zustand von Britney Spears und ihrem Betreuungsbedürfnis bedenken. Weder die Spears-Familie noch Britney Spears selbst standen für diese Doku zur Verfügung, sodass sich hier ein recht einseitiges und sich gänzlich dem #FreeBritney-Aktivismus verschreibendes Bild vom Fall ergibt.
-
Leben wir in besseren Zeiten? Jein.
„Framing Britney Spears“ ist keine durch und durch gelungene Doku, was vielleicht auch ihrer Kürze geschuldet ist. Allerdings fängt sie exakt den damals vorherrschenden Ton der Berichterstattung über berühmte Menschen, vor allem Frauen, ein. Die Nuller Jahre waren von einer äußerst aggressiven Klatschpresse geprägt, die auch hierzulande mit besonders herabwürdigenden und harsch urteilenden Schlagzeilen gewinnbringend über weibliche Pop- und Schauspielstars herzog. Wie sehr dies den häufig ohnehin schon psychisch belasteten und mit Drogensucht kämpfenden Betroffenen zusetzte, war kaum Thema – man denke nur an die rücksichtslose Berichterstattung über Lindsay Lohan und Amy Winehouse.
Die schockierten Reaktionen auf „Framing Britney Spears“ legen den Schluss nahe, dass sich inzwischen ein Paradigmenwechsel vollzogen hat. Und tatsächlich lässt sich heute ein vergleichsweise sensiblerer öffentlicher Umgang mit Berühmtheiten feststellen, die von Sucht und/oder anderen psychischen Erkrankungen belastet sind. Zeitgleich spiegeln die stark anklagenden Tweets und Posts zu „Framing Britney Spears“ die spezielle Problematik der gegenwärtigen Medienwelt wider: Soziale Medien haben neuen Raum für harsche Aburteilungen geschaffen, in dem Schwarz-Weiß-Denken statt Nuanciertheit überwiegt und Anklagen wie Entschuldigungen an der Tagesordnung sind. Im Fall von „Framing Britney Spears“ ließ das den Hashtag #WereSorryBritney trenden und Justin Timberlake eine öffentliche Entschuldigung posten. Zwischen Aufrichtigkeit und karriererettenden Lippenbekenntnissen lässt sich in einer solchen Atmosphäre jedoch nicht mehr unterscheiden.
„Framing Britney Spears“ ist seit dem 5. April 2021 auf Amazon Prime Video verfügbar.