Flamin‘ Groovies


"Paint It Black" von den Rolling Stones und "Feel A Whole Lot Better" von den Byrds alte Fürze? Punk die einzige neue Energie? Gegen derartig abartige Äußerungen weiß ich die richtige Medizin zu empfehlen: die Flamin' Groovies. Wie, was? Flamin' Groovies? Nie gehört? Ganz schön traurig, Leute!

Aber wen wundert’s: Irgendwas und -jemand stand den Groovies in den mehr als ein Dutzend Jahren ihrer Arbeit immer im Weg, um sie ihre Rock-Botschaften nicht ans Volk bringen zu lassen. Die Geschichte dieser San Francisco-Band ist geradezu die Geschichte der Rock-Musik, mit allen Verrücktheiten, unberechenbaren Faktoren, mit dem Spaß, den Hoffnungen und Enttäuschungen.

„Das wird euer Jahr!“ Oft schon sind den Groovies solche trügerischen Versprechungen gemacht worden. Aber ob Auftrittsschwierigkeiten in den USA oder schieflaufende Plattenverträge wieder mal den Erfolg vereitelten, die Groovies haben sich dennoch nie ein neues Mäntelchen umgehängt, sondern sind sich selbst und ihrem Rock’n‘ Roll treu geblieben.

Ihre Fan-Gemeinde ist klein, aber umso treuer. In unseren Landen ist der Groovies-Sound noch nie live gehört worden; einige Leute sind ihretwegen schon extra nach London oder Paris gefahren. Die Fan-Gemeinde wird ihre Geschichte auch schon kennen; mir erzählte sie Cyril noch einmal, als ich ihn und die Groovies kürzlich in einem kleinen Theater in Soho traf.

1965 fingen sie quasi als High School Band an, als Chosen Few und Lost & Found. In der gerade einzusetzenden Flower-Power-Blüte hatten sie keine Chance, mit ihrem harten, vom englischen Rhythm & Blues geprägten Stil durchzukommen. Stones, Beatles, Kinks und Who waren für die Groovies die Größten. Und außerdem die Byrds in der Nachbarschaft. In der Stadt gab es Dutzende von Bands, die über wenige Singles nicht hinauskamen und zu Geheimtips über Jahre hinweg wurden. Wie die Flamin‘ Groovies, wie sie sich dann nannten.

Auf eigenem Label, denn ein Vertrag war nicht zu bekommen, brachten sie 2000 Stück einer Zehn-Zoll-LP heraus: „Sneakers“ betitelt. Sieben selbstgeschriebene Stücke, eines beatiger als das andere. Und trotz nicht zu überhörender amerikanischer Glättungen eine witzige, spontane Rock-Mischung, wie sie auch in London und Liverpool hätte gemacht werden können.

„Sneakers“ war schnell vergriffen. Das sprach sich herum. Der nun folgende Vertrag und die LP auf Epic Records aber waren auch nicht der goldene Schuß in die Charts. „Supersnazz“, stark beeinflußt von den Lovin‘ Spoonful, war so außergewöhnlich witzig, daß niemand viel dafür tat. Die Groovies organisierten sich selbst weiter. In Fillmore managten sie Konzerte für andere. Höhepunkt soll ein Abend mit ihnen als Hausband und – gibt’s davon ein Bootleg? – mit Alice Cooper, den MC 5 und Iggy Pop und den Stooges gewesen sein.

In diesen Bands entdeckten die Groovies eine Kraft, die sie auch mit den Stones bekommen hatten. Der Stil, den sie nun entwickelten, war so ungehobelt, so direkt, daß er ihnen damals schon das Attribut „Punk“ eingebracht hat. Zwei Alben sind Zeugnisse aus dieser fetzigen Zeit: Auf „Flamingo“ (1970) hauen sie derart in die Saiten, daß der Erfolg eigentlich kommen mußte. Der später berühmt gewordene Commander Cody spielt Piano. Und mit „Teenage Head“ (1971), ein ebenso schönes wie rohes Rock-Album, mußten sie mindestens weltberühmt werden. „Sticky Fingers“ von den Stones wurde von Kritikern zum Vergleich herangezogen. Ich finde es unvergleichlich stark, besonders den Titelsong „Teenage Head“, und daneben „Whiskey Woman“, „High Flyin Baby“ und den Randy Newman-Song „Yesterday Numbers“.

Kama Sutra – neues Label, neues Glück? Nichts da, sei es, daß die Leute einfach schliefen oder die Plattenfirmen nicht genug investieren wollten. Cyril Jordan, Leadgitarrist der Groovies und mit Roy A. Loney damals auch Schreiber der meisten Stücke, hatte es satt. Mit Mike Wilhelm von den Charlatans, von denen es eine LP auf Philips gegeben hat, gründete er die Dogs. Aber das Image vom getretenen Hund brachte, so wahr es auch sein mochte, nichts ein. Also, weiter mit den Groovies!

United Artists aus London signalisiert Interesse. Und dort drüben sitzt auch Cyrils kleines Idol Dave Edmunds, Produzent und damals gerade gewesener Gitarrist der bluesigen Love Sculpture. Und tatsächlich geht es los: Bei den rund 250 Auftritten in England sollen die Teenager ausgeflippt sein wie in den besten Beat-Tagen. Gegen den Willen der Groovies wird eine der mit Dave Edmunds produzierten Aufnahmen als Single veröffentlicht und wie erwartet prompt von der BBC „verboten“: „Slow Death“, ein Anti-Drogen-Song. In der Schweiz aber ist er No. 1; und in Westeuropa – vor allem in Holland und in Paris bricht Groovies-Fieber aus.

Das französisch-holländische Skydog-Label macht Wiederveröffentlichungen der ersten Scheiben und gibt auch eine dem Stones-EP-Cover von „Got Live …“ nachempfundene Single heraus: „Jumpin‘ Jack Flash“ und „Blue From Phillys“, zwei Live-Titel noch aus der Frisco-Zeit.

Die Original-Scheiben aber werden zu Wahnsinnspreisen gehandelt. Einen Vertrag mit einer Plattenfirma erhalten die Groovies dadurch natürlich nicht. Die Erfahrungen mit Edmunds und die Begeisterung der Leute aber lassen Cyril und George Alexander, die von der Urbesetzung dabei bleiben, weiter an „ihre Musik“ glauben. Cyril: „Hier gibt es ja noch diese Stones- und andere Fan-Clubs, das ist wahnsinnig wichtig, um die Geschichte nicht zu vergessen.“

Unverwechselbar wurden die Groovies mit einem ab Ende ’74 entwickelten Sound. Sie verwenden bei vielen Stücken zwölfsaitige Gitarren, deren Klang sie leicht echoen lassen. Dave Edmunds ist genau der richtige Produzent für sie, vor allem mit seinem feeling für den richtigen Sound: kompakte, kurze Riffs, darüberliegende Harmonie, jugendliche Melodie-Stimmen, und das für kurze, einfache Lieder.

In diesen Songs reproduzieren Cyril & Co. ihre eigenen Erfahrungen: „Was wir in den 60er Jahren mitbekommen haben, ist doch heute das gleiche. Die Themen von früher sind auch die Themen der Teenager von heute, ob das nun die erste Zigarette oder Sex ist.“ Nun ja, er meint es tatsächlich so. Rock’nRoll als Ventil für den Frust im Alltag, als beginnendes eigenes Lebensgefühl.

„Trau keinem über 30!“ hieß der Slogan der 60er nicht nur in der Politik. Teenager-Helden sind Cyril, „Blockhead“ Mike Wilhelm, der seit Ende ’76 voll dabei ist, George Alexander, Mit-Komponist Chris Wilson und Drummer Chris Wright allerdings nicht durchweg. Die Samtmütze, wie die Boots und die übrige Bühnenkleidung den 60ern abgeguckt und extra in London angefertigt, verdeckt die beginnende Blöße auf Cyrils markantem Haupt. Aber wer bereits vor fünf Jahren einen Teenager-Song wie „Shake Some Action“ komponiert hat und ihn 1978 auf der Bühne spielt, als ob gerade der Rock’n‘ Roll erfunden wird, den fragt niemand nach seinem Alter.

Nostalgie-Band? „Wir spielen die Stones, weil wir sie gut finden, weil ohne sie der Rock’n’Roll nicht wäre. Das begreifen in England oder Frankreich offenbar mehr Leute als in den Staaten.“ Die Groovies spielen die Byrds oder die ollen Beatles-Titel nicht nach, sondern mit der Technik von heute und der Energie, die ihnen von Songs wie „Let It Rock“ und „Around And Around“ eingegeben wurde. Cyril: „Ich brauche nicht die Haare von Little Richard, um Long Tall Sally spielen zu können. Man muß es nur können.“

Die Flamin‘ Grooves können es, nicht nur auf ihren Platten. Selbst die Punks vergessen bei „Paint It Black“, daß dieser Song vom gehaßten Jagger stammt. Der Edmund’sche „Wall Of Sound“, den er mit ihnen auf den Sire-Alben „Shake Some Action“ (’76) und „Now“ (1978) produziert hat, ist ein Teil des Geheimnisses. Und der andere ist ihr Glaube und das Gefühl für den Rock’n. Roll.

Damit haben sie die Zukunft erst vor sich. Und wenn der Power Pop die Themse herunter ist, werden die Groovies hoffentlich als die eigentlichen Erfinder der Pop-Musik ihre Lorbeeren ernten. Ihr neuestes, gerade abgemischtes Album wird neben neuen Eigenkompositionen Knaller wie „19th Nervous Breakdown“ enthalten. Und es wird – wie die eine oder andere ältere FG-Scheibe – auch bald in deutschen Plattenläden zu haben sein. It’s Groovies-time!