Fashion, ortlos
Sie lernten sich beim Kunststudium in München kennen und residieren heute in Berlin. Doch eigentlich brauchen die Chicks on Speed längst keine verortbare Basis mehr ...
Wer sich auf die Suche nach der Mitte des Berliner Szeneviertels Mitte macht, der kommt um das Hauptquartier der Chicks On Speed nicht herum – obwohl es nicht leicht zu finden ist. Nur ein kleines Klingelschildchen verrät, dass hinter den grauen Mauern eines ehemaligen Verwaltungsgebäudes ein erstaunliches Krearivlaboran der Erringung der Weltherrschaft arbeitet – obwohl es nicht danach aussieht: Rennräder lehnen an besprühten Wänden, Kleider warten unter Schutzhüllen aus transparenter Plastikfolie auf Verschickung, und mittendrin im charmanten Chaos residiert das ungleiche Trio an einem Konferenztisch.
Kiki Moorse, Melissa Logan und Alex Murray-Leslie waren Kunststudentinnen in München, bis Schicksal und Ehrgeiz sie in die Hauptstadt trieben. Und was sie hier so treiben, lässt sich trefflich mit dem Schlachtruf „Fashion Rules“ zusammenfassen, einem Song von ihrem Debütalbum: Klamotten entwerfen, Events in Szenekneipen organisieren, Netzwerke flechten – und so erste Kontakte zur Musikszene knüpfen: „Electro-Clash, ach, das ist auch nur so eine Schublade“, meint Murray-Leslie, sichtlich gelangweilt von Schubladen.
Weil Musik für die Chicks nur ein weiteres Angebot in ihrer clever kalkulierten Produktpalette aus Mode, Grafik und Tonträgern ist. Sogar die Frage, was sie denn eigentlich nicht können, haben sie schon mit einem Song beantwortet: „We Don’t Play Guitar“ das ist schonmal klar. Aber dafür gibt es ja Leute wie den Produzenten Christian Vogel, der zur Not auch eine norwegische Death-Metal-Kapelle am Computer simulieren könnte.
Gleich das zweite Stück auf ihrer neuen Platte ist eine programmatische Würdigung des Milieus, in dem ihre Arbeit erst gedeihen konnte: „Mitte Bitte“. Wobei die Chicks längst zum informellen Jet-Set zählen und sich vor Engagements in New York, Tokyo, Paris kaum retten können. Aufgenommen wurde das Album in Barcelona, „weil das so eine schöne Stadt ist“, wie Frau Moorse derart treuherzig einräumt, dass Madame Logan hinzufügen muss: „und weil es dort die derzeit lebendigste Elektroszene gibt“.
Längst ist es keine Frage mehr, ob die Chicks Berlin brauchen – Berlin braucht die Chicks. Sie sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass unsere Hauptstadt von Hipstern aus aller Welt für einen verdammt coolen Ort gehalten wird. Trotzdem: braucht ein global operierendes Netzwerk überhaupt noch eine verortbare Basis, eine Heimat? Da lächeln sie alle drei in sich hinein, und wir hören nur das Gebläse eines aufklappbaren Computers von Apple, der auf dem Tisch steht und strahlt. Alles klar.
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