Exportschlager


Für deutsche Musiker war Amerika noch nie das „promised land“, das vielgepriesene Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Daß in den sechziger Jahren Elke Sommer in Hollywood filmen und die Kessler-Zwillinge in Las Vegas steppen durften, später dann Kraftwerk und Tangerine Dream mit ihrem elektronischen „Krautrock“ kurzzeitig für Furore sorgten, blieb die Ausnahme. Regel war, daß populäre Musik aus Deutschland niemanden interessierte. Mehr noch: Neben der breiten Front einheimischer Popper und Rocker hatten in den USA durch die Bank allenfalls englische Musiker eine Chance.

Ein Umstand, der sich erst zu Beginn der achtziger Jahre änderte, als in der Post-Punk-Ära amerikanische Radio-DJs auf die Suche nach neuen Klängen gingen. Sie entdeckten die australische Szene, featureten Gruppen wie Men At Work oder Icehouse und stellten zu ihrem Erstaunen fest, daß es auch außerhalb der angloamerikanischen Szene Pop-Gold gibt, das glänzt.

Exotik war plötzlich gefragt und da kam Falco beispielsweise mit seinem rappenden „Kommissar“ gerade recht. Zwar kam der smarte Wiener über einen Achtungserfolg nicht hinaus, weil wenig später eine englischsprachige Coverversion erschien und ihm den Rang ablief, aber er öffnete damit die Türen zu den amerikanischen Ohren. Für Peter Schilling etwa, der ein Jahr später seinen „Major Tom“ völlig losgelöst die amerikanischen Hitlisten emporschweben ließ.

Als Nena schließlich mit ihren „99 Luftballons“ den Riesenhit landete, war die Sensation perfekt: Erstmals hatte sich ein deutsch gesungener Popsong in den USA an der Spitze der Charts plaziert.

Zu verdanken hat Nena diesen Erfolg zum großen Teil Rodney Bingenheimer, seines Zeichens Plattenaufleger bei der Radiostation KROQ in Pasadena/Los Angeles.

Bingenheimer: Ich warder Erste, der in den USA dieses Lied spielte. Es ist ein gutes Jahr her, als ich in meiner Show Christiane F. („Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“) zu Gast hatte. Sie hatte eine Cassette mit. auf der sich auch Nenas Lied befand. Mir gefiel der Song – und ich spielte ihn von da ab jedes Wochenende in meiner Sendung .Rodney On The ROQ‘.

Wenig später arrangierte ich dann ein Telefon-Interview mit Nena, die gerade in Österreich Urlaub machte. Wir hatten viel Spaß dabei, Nena lachte und scherzte am laufenden Band. Sie schickte mir dann ihre erste Langspielplatte, aus der ich verschiedene Stücke im Funk spielte.“

Rodneys Engagement zog Kreise. Andere kalifornische Rundfunksender begannen aufgrund des starken Publikumsinteresses die „99 Luftballons“ zu powern. Als sich dann auch noch die Radio-DJs der Ostküste anhängten und schließlich der rund um die Uhr ausstrahlende Musik-Video-Kanal MTV den dazugehörigen Video-Clip in sogenannter „heavy rotation“ auf amerikanische Bildschirme puschte, war der Hit vorprogrammiert.

Inzwischen wanderten weit über zwei Millionen Singles in Amiland über die Ladentheken. „Die Platte“, so erzählt Richard, Manager bei „Tower Records“, dern, größten Plattenladen der Welt am Sunset Boulevard in LA, „ist eine Renner. Die deutsche Version ist zweifelsohne populärer als die englische, weil zur Zeit noch kaum jemand weiß, daß es die auch gibt.“

Nena sorgt seitdem für Schlagzeilen. Das renommierte Rockblatt „Rolling Stone“, Branchenblätter wie „Billboard“ und „Cashbox“ sowie unzählige andere US-Zeitschriften widmeten ihr Geschichten. Und dabei ist vom „neuen deutschen Fräulein-Wunder“ die Rede, „Germany s newest pop sweetheart“, das immer wieder mit Blondie verglichen wird.

Und Gabriele Susanne Kerner, wie Nena ja bekanntlich gutbürgerlich heißt, läßt sich prompt wie folgt zitieren: „Tatsächlich bringe ich einige meiner Songs auf englisch besser als in deutsch rüber. Das ist lustig, oder?“

Lustig ist das nicht, eher clever. Weil „Deutschlands fröhlichster Exportartikel“, so der „Stern“ in einer Titelgeschichte, bei den englischen Medien angeeckt war, zeigt er sich jetzt aufgeschlossen und publicityfreundlich wie nie. Nachdem die englische Version von „99 Red Ballons“ auch in Großbritannien kurzzeitig Nummer Eins war, will man nun auch schließlich die eigens gekoppelte LP mit fünf englisch und sechs deutsch gesungenen Titeln bei den Briten und Amerikanern an den Mann bringen.

Die aufgrund der Sprachbarriere ausschließlich als Protestsong begriffene Luftballon-Story hin, Nena her: Der wichtigste Verdienst der Hagener Sängerin samt Band ist der, daß sie mit ihrem Hit den Weg für Pop aus Germany ebnete. Nina Hagen, seit geraumer Zeit in New York lebend, zu ME/Sounds: „Ich sehe das so, daß deutsche Bands sich auf Dauer in Amerika und überall durchsetzen werden. Das Deutsche klingt super und viele deutsche Bands, die drüben getourt haben, wie zum Beispiel Mekanik Destruktiv Kommandöh, sind in Amerika erfolgreich. Oder die Bettina von Malaria. Die wohnt jetzt auch in New York, hat eine neue Band und kommt sehr gut an. Die Clubs und Radiostationen reißen sich geradezu um solche Sachen.“

So der aus Deutschland kommende Rudolf, der seit fünf Jahren den New Yorker Club „Danceteria“ leitet und im vergangenen Jahr nicht nur aus nationalem Bewußtsein Bands wie Einstürzende Neubauten, MDK, Hongkong Syndicate, Die Doraus und Marinas, Gina X, Palais Schaumburg, Ja Ja Ja, George Kranz und La Loora herüberholte. Rudolf: „Ich kriege pro Woche ungefähr 50 Platten von englischen und amerikanischen Bands. Und irgendwie klingen die alle gleich – das ist schlicht und einfach langweilig, man kann das eine nicht vom anderen unterscheiden.

Die deutschen Bands sind anders – und das ist jetzt wichtig. Die Amerikaner wissen, daß Nina Hagen

die Deutschen Qualitätsarbeit liefern. Hinzu kommt, daß diese Musik exotisch und unbekannt ist. Sowas lieben die New Yorker.“

Er ist überzeugt, daß deutsche Bands zumindest in der Club-Szene langfristig Erfolg haben können: „Wenn die Bands und ihre Promoter sowohl in punkto Arbeit als auch Finanzen investieren, wird mit Sicherheit etwas passieren.“

Eine ähnliche Ansicht vertritt auch Gaby Hauke, die derzeit mit der von ihr gemanagten deutschen Hardrock-Formation Accept erfolgreich auf US-Tour ist: „Es muß ein guter Vertrag da sein, eine entsprechende Plattenfirma, die Gruppe muß gut sein – und dann muß hart gearbeitet werden. Für den amerikanischen Markt muß viel, viel mehr Geld investiert werden als in Deutschland. Und wenn man keine Kohle hat, schafft man es nur mit einer ausgefallenen Idee oder mit exzellenten Musikern und einem guten Song.

Gerade auf dem Heavy Metal-Sektor muß man hart sein und den Leuten die Zähne zeigen. Das haben wir gemacht, als Live-Act überzeugt (im Vorprogramm von Stars wie Kiss oder Saxon) und deshalb verkaufen wir auch in Amerika sehr gut. Mit unserer LP sind wir zur Zeit prompt auf Platz 80 der Charts.“

Solide harte Rocker, da sprechen vor allem die Scorpions für sich, hatten in den USA freilich nie Verständigungsprobleme ihre Musik zündete bei den einschlägigen Fans. Verwunderlicher ist da schon eher der (relative) Erfolg von Avantgarde-Gruppen wie Palais Schaumburg oder Einstürzende Neubauten, vor allem an der amerikanischen Ostküste. Sie gelten dort als schicke Exoten. Nina Hagen: „So auf einmal ,in‘ waren die gar nicht. Es ist ja schon ein paar Jahre her, daß die New Wave- und Punk-Welle drüben anfing – und die Radio-Stationen sich ein bißchen moderner und offener zeigten.

Und seitdem sind die Jungs heiß auf neue Sachen. Ihr Vorreiter war zweifelsohne Rodney Bingenheimer, der seit Jahren Einstürzende Neubauten und sowas in seiner Show spielt. Die anderen haben das dann übernommen.

Aber Rodney spielt nicht nur deutsche Sachen, sondern Musik aus ganz Europa, etwa aus Frankreich oder Italien. Ich stehe in engem Kontakt zu ihm und schick ihm von unterwegs andauernd Singles, so jetzt zum Beispiel von einer neuen französischen Punk-Kapelle. Das sind ganz kleine Jungs, so 11 oder 12 Jahre alt, die sich Zero De Conduit nennen, also Null Benehmen. Andere DJs bediene ich während meiner Europa-Trips ebenfalls mit ausgefallenen Sachen, aus Dänemark und Schweden oder so. Die sagen immer zu mir: Schick uns gute Sachen von drüben.“

Songs wie die, die Nina rüberschickt, landen bei In- und Outsidern, plazieren sich bestenfalls in den von „schwarzer“ Musik bestimmten Dance-Charts und sind für Jim Rakete, dem Macher von Spliff und Nena, eine subkulturelle Angelegenheit, die nicht verkauft. Seine Meinung: „Darauf können sich die Musiker einen abscheuern. Nehmen wir zum Beispiel George Kranz – da bleibt wirklich abzuwarten, womit er als nächstes kommt. Oder Nena und Peter Schilling. Ob sie in den USA ein Dauerbrenner werden, hängt von den Alben ab, die sie in Zukunft machen werden. Ich persönlich bin keineswegs einer dieser Hurra-Optimisten, die glauben .Heute Deutschland – morgen die Welt‘. Also daran glaub ich einfach nicht. Ich bin eher skeptisch!“

Verhalten wie er, sehen die meisten Branchenkenner die Situation. Jürgen Korduletsch, Manager der New Yorker Plattenfirma Personal Label, der gerade drüben ein Doppelalbum mit deutscher Popmusik veröffenthcht: „Ich halte es für verstiegen zu behaupten, daß deutsche Musik sich auf Dauer in dem Maße etablieren kann, wie es sich im Moment vielleicht abzuzeichnen scheint. Musikalisch fallen deutsche Titel aus dem amerikanischen Rahmen, sie sind ausgefallener, ausgeflippter und füllen darum eine Marktlücke. Hinzu kommt, daß hier nicht mehr der extreme Zwang besteht, englisch zu singen.

Dennoch sehe ich deutsche Titel auf breiter Front nicht kommen. Auch in Zukunft werden nur die wirklichen Spitzen-Songs eine Chance haben. Und wenn eine deutsche Band auf lange Sicht in Amerika Erfolg haben will, kann sie nicht auf Sprachexotik setzen, sondern muß auch konsequent englisch texten. „

Noch deutlicher drückt dies Jill Sinclair aus, die Frau von Produzent Trevor Hörn und Managing-Director des Londoner ZTT-Labels, das neben der Hittruppe Frankie Goes To Hollywood auch die Düsseldorfer Formation Propaganda unter Vertrag hat. „Ich sehe überhaupt keinen Boom deutscher Gruppen. Nur weil Nena plötzlich in den Charts auftaucht, fällt auf einmal auf, daß andere Bands wie X-Mal Deutschland, Einstürzende Neubauten oder Propaganda in England einen gewissen Bekanntheitsgrad haben.

Was Propaganda anbelangt, so haben wie diesen Act bereits vor über einem Jahr eingekauft. Weil wir ihn interessant fanden – und nicht, weil die Mitglieder aus Deutschland kommen. Die Musik von Propaganda erachte ich als irgendwie neu, sie sticht aus dem gängigen Pop-Schema heraus. Und in diesem Punkt mögen manche deutsche Bands englischen Gruppen etwas voraushaben.

Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, hier mit einer deutschgesungenen Platte einen Hit zu landen. Sogar Nenas Luftballons kamen bei uns nur in ihrer englischen Version in die Hitlisten.“

Es liegt also letztlich an den Musikern und der Administration, die hinter ihnen steht. Jim Rakete: „Der Erfolg von Nena oder Peter Schilling ist nicht unbedingt eine Sache, die sich über viele Jahre hinziehen muß. Mit ihren Hits lieferten die beiden kleine Leckerbissen ab. An die man freilich anknüpfen kann.“