ESSENZ IST ALLES


Die Schublade war schnell aufgezogen für Aluna Francis und George Reid. Nach ihrer ersten offiziellen Single, „You Know You Like It“ 2011, wurde das Duo geschwind als Londoner Außenstelle einer von Internet-und Clubkultur befeuerten „neuen“ R&B-Bewegung mitverhaftet. Mit ihrem Debütalbum BODY MUSIC zeigen die Waliserin und ihr kongenialer Produzent nun, dass ihnen in Wahrheit viel Größeres vorschwebt: die Erweiterung des Formats Popsong mit den Mitteln der Reduktion. Ein Gespräch mit Aluna Francis über Treffen im Schlafzimmer, Sangesvorbilder und eine Maxime namens Spaß.

Vergangenes Jahr wart ihr noch ein

Geheimtipp auf Soundcloud. Nun habt ihr in England mit „White Noise“ eine Single oben in den Charts. Wie fühlt sich das an?

Ich habe erst angefangen, darüber nachzudenken, seitdem uns alle Leute danach fragen. Denn unser Alltag hat sich nicht sonderlich verändert. Wir machen weiterhin, was wir immer schon gemacht haben, und können es jedes Mal aufs Neue nicht glauben, wenn wir eines unserer Stücke im Radio hören. Von wegen: „Kuck mal, wie lustig, da muss jemandem ein Fehler unterlaufen sein.“(lacht)

Ist es denn ein Fehler, eure Sachen im Radio zu spielen?

Es ist zumindest erstaunlich. Es geht uns immer mehr um den Prozess als um das Produkt. Bei jedem neuen Song denken wir uns: „Das ist jetzt aber wirklich zu weit draußen.“ Aber dann läuft es trotzdem wieder im Radio.

Ihr habt euch über MySpace kennengelernt. Wie war euer erstes echtes Treffen?

Das war in einem Café in London. Ein sehr kurzes, sehr merkwürdiges Meeting. George hatte meine damalige Band My Toys Like Me über MySpace angeschrieben, weil er unsere Musik gut fand und uns remixen wollte. Also hat Gus (Fernald, Alunas damaliger Bandkollege – Anm. d. A.) ein Treffen arrangiert. Das war dann eher zwischen den beiden, ich habe keine drei Worte mit George gewechselt und mich gefühlt wie das fünfte Rad am Wagen! Das nächste Treffen war dann in Georges Schlafzimmerstudio. Der Plan war, gemeinsam an Songs für My Toys Like Me zu arbeiten, und das haben wir einen halben Vormittag lang auch sehr verkrampft versucht. Leider kam genau nichts dabei raus. Mittags haben wir dann aufgegeben und beschlossen, einfach mal Spaß zu haben, ohne konkretes Ziel. Am Ende des Tages war sehr klar, dass das gut passen könnte, sowohl menschlich als auch musikalisch.

Habt ihr euch diese Arbeitsweise bewahrt?

Es hat sich gar nichts geändert. Die Arbeit muss uns Spaß machen, sonst bekommen wir nichts zustande. Aus diesem Grund versuchen wir auch, jeden Song im Laufe nur eines Tages fertigzustellen. Wir glauben nicht an Perfektionismus, eher an Essenz. Die Ur-Idee eines Liedes, der erste Funke sollte im Vordergrund stehen, nicht die Genervtheit von ein paar Leuten, die besessen davon sind, etwas zu verbessern, wo es eigentlich nichts zu verbessern gibt.

Also verrennt ihr euch nie im Studio?

Doch, klar, manchmal schon. Unser Trick ist dann, alle elektronischen Effekte, alles Produzierte rauszunehmen und uns gegenseitig die Melodie auf dem Klavier oder der Gitarre vorzuspielen. Wir versuchen, uns darüber klarzuwerden, was das grundlegende Gefühl des Stücks ist, und lassen uns davon treiben.

Ihr habt beide vor AlunaGeorge in anderen Konstellationen Musik gemacht. Was macht eure Beziehung besonders?

Wir haben beide einen Band-Background. Im Grunde sind wir typische Indie-Kids! Das Elektronische, Progressive, Glitchige ist für uns nur Mittel zum Zweck, um eine Songidee zu erwecken. In meiner alten Band hat die Produktion ab einem gewissen Punkt stets die Oberhand gewonnen. Aber mit AlunaGeorge orientieren wir uns eher an Bands wie den Beatles oder Produzenten wie Quincy Jones als an den technischen Möglichkeiten eines Computers.

Viele Blog-Bands verstecken sich scheinbar hinter Effekten und einer gewissen subkulturellen Brechung. Um einen klassischen Popsong zu singen, braucht es Mut.

Die Leute, mit denen ich gearbeitet habe, waren immer sehr gut darin, mir Selbstbewusstsein zu vermitteln. Gus hat mich in der Booth immer eine Viertelstunde experimentieren lassen, sich dann die gesamte Aufnahme angehört und mir diejenigen Stellen vorgespielt, die er besonders gerne mochte. Das hat mir sehr geholfen. Ich dachte immer, die Leute müssten meine Stimme unfassbar nervig finden. Denke ich im Grunde bis heute. Ich kriege immer noch die Krise, wenn ich im Mix das Gefühl habe, dass meine Stimme zu laut ist, und flehe George an, sie runterzudrehen oder ein bisschen Hall draufzulegen. Aber er mag sie genau so, wie sie ist – schließlich hat er damals ihretwegen Kontakt aufgenommen. Das ist ein gutes, beruhigendes Gefühl.

Klang deine Singstimme schon immer so?

Sie war jedenfalls immer schon hoch. Aber anfangs habe ich natürlich nur andere Leute nachgemacht: Mariah Carey, Michael Jackson, später Thom Yorke. Ich war besessen von Yorke und von der Idee, ihn zu kopieren. Dann habe ich angefangen, Gesangsstunden zu nehmen. Dabei habe ich ziemlich schnell gemerkt, dass ich leider nicht wie Mariah oder Whitney singen kann. Hört sich albern an, war aber eine wichtige Erkenntnis für mich. Erst dadurch habe ich meine eigene Stimme gefunden.

Mariah Carey und Thom Yorke – die Eckpfeiler von AlunaGeorge?

Könnte man so sagen. Ich bin mit sehr viel unterschiedlicher Musik aufgewachsen. Meine Mutter hat Van Morrison und Bob Marley gehört, aber auch Etta James und R&B. Ich stand eher auf PJ Harvey, Björk, Portishead und Jeff Buckley, später dann auf CocoRosie und The Knife. Wir hatten auch diese CD, THE INDESTRUCTIBLE BEAT OF SOWETO (wegweisende 1985er-Compilation mit südafrikanischen Künstlern – Anm. d. A.), die meine Mutter rauf und runter gehört hat. Mich hat das unfassbar genervt. Ich habe kein Wort verstanden. Oft waren das noch nicht einmal richtige Wörter, und ich fand das irgendwie peinlich. Aber ich glaube, ich habe dadurch gelernt, dass Vocals immer auch eine rhythmische Funktion haben. Das versuche ich zu berücksichtigen, wenn ich Lyrics schreibe -auch wenn ich deswegen nie sagen würde, dass AlunaGeorge von afrikanischer Musik beeinflusst sind.

Deine Lyrics sind dennoch sehr direkt, kaum verklausuliert. Erzählst du aus deinem Leben?

Fast nichts ist rein fiktiv. Manchmal ist es vielleicht eine Geschichte, die mir jemand erzählt hat, und ich versuche dann, mir mich in dieser Situation vorzustellen Ich halte mich fern von allzu vagen Formulierungen und abstrakten Bildern. Es muss immer etwas sein, das es auch im echten Leben wert wäre, erzählt zu werden. Ich würde ja auch nicht mit meiner Freundin im Café sitzen und „Die Luft füllt meine Flügel mit Sehnsucht“ sagen oder so was.

BODY MUSIC scheint sehr schnell, fast plötzlich fertig geworden zu sein.

Das wirkt so. In Wahrheit sind manche Stücke noch aus unserer Anfangszeit. Wir haben sie nur nie jemandem gezeigt. Wann immer wir eine Single veröffentlicht haben, haben wir davor 20 Stücke verworfen. Für das Album haben wir etwa 50 Songs aufgenommen und dann diejenigen ausgewählt, die sich angefühlt haben, als seien sie Teil derselben Sammlung.

Was macht sie zum „Teil derselben Sammlung“?

Dass sie auf eine unbestimmte Art vertraut klingen. Die Sounds sind neu und anders. Aber die Songs geben dir das Gefühl, dass du sie schon ewig kennst. Wie bei deinem Lieblingsgericht aus Kindheitstagen -nur eben mit einem neuen Gewürz oder einem Schuss Zitrone.

Albumkritik ME 7/13