ESC 2018, zweites Halbfinale: Metalcore gegen den Einheitsbrei
Die Finalisten stehen fest! Das zweite Halbfinale des ESC 2018 hatte einiges zu bieten – unter anderem einen Act, dem wir die Sensation zutrauen. Unsere High- und Lowlights und die Finalteilnehmer im Überblick.
Es ist wieder diese Zeit des Jahres, in der zwischen schlechtem Geschmack und noch schlechteren Geschmack abgewogen werden darf, NDR-Mitarbeiter einwöchigen Betriebsurlaub kriegen und Trickkleiddesigner den großen Wurf landen können. Kurz gesagt: Es ist ESC-Woche.
Am Samstag, dem 12. Mai, findet das diesjährige Finale des Eurovision Song Contest in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon statt. Vorab gibt es die bereits lieb gewonnenen zwei Semifinals, die uns genügend Aufschluss bereiten, dass wir uns das große Finale auch in diesem Jahr getrost sparen können – und schließlich haben wir Euch im vergangenen Jahr den Sieger auch bereits nach dem ersten Halbfinale vorausgesagt. Wir fassen für Euch das zweite Halbfinale des Eurovision Song Contest 2018 zusammen und klären auf, ob Peter Urban reif fürs Finale ist. #urbanloveDer Rückkehrer
2009 gewann Alexander Rybak mit „Fairytale“ den ESC für Norwegen. Neun Jahre später schickt er sich an, nach Johnny Logan der erst zweite Act zu werden, der den ESC zweimal gewinnen konnte. Wie Rybak das anstellen möchte? Mit einem YouTube-Tutorial für die Ü30-Generation: „That’s How You Write A Song“, so schreibt man also einen Song. Sollte er mit dieser simplen Idee Erfolg haben, hätten wir Ideen, die gleich ein ganzes Aufklärungsalbum füllen könnten. Nur Peter Urban ist etwas skeptisch und fragt: „Ist das ein Song?“ Mitnichten, wenn es nach den hohen Standards des „ESC-Urgesteins“ geht: „Ein Funk-Groove mit sich immer wiederholender Phrase“, das kann natürlich kein Song sein. Wo kämen wir da hin?
Der alljährliche Justin-Timberlake-Klon
Diese „Ehre“ wird in diesem Jahr dem Schweden Benjamin Ingrosso zuteil, dessen Tante Charlotte Nilsson den ESC übrigens 1999 gewinnen konnte. Benjamins Cousin ist darüber hinaus ein Teil der EDM-Giganten Axwell/Ingrosso. In seine Fußstapfen tritt er jedoch weniger, schließlich muss es auch in diesem Jahr einen Act geben, der verzweifelt versucht, das Mojo von JT zu kopieren. Wie zu Timberlake gibt es zu Ingrossos Song „Dance You Off“ nur drei Meinungen: kann ich leiden/kann ich nicht leiden/wann kommt die N*Sync-Reunion endlich?
Europas liebstes Adoptivkind
Australien ist wieder vertreten und Jessica Mauboys Song „We Got Love“ ist wie ein VW Golf: grundsolide, lässt sich kaum was gegen sagen – wenn man auf Mainstreampop steht, versteht sich. Ist dementsprechend im Finale vertreten – obwohl Peter Urban da etwas Missfallen hat: „Da scheint von Weihnachten noch eine Rolle Glitzergeschenkpapier übrig geblieben zu sein. An Kostümberatung müssen die Australier noch arbeiten.“ Vielleicht indem sie den NDR-Lagerfeld himself im nächsten Jahr einfach als Kostümdesigner einstellen.
Die Nervtöter des Abends
Jeder, der schon einmal in einer deutschen Großstadt mit der S-Bahn unterwegs war, kennt sie: Straßenmusikerclans, die mit zerbeulten Blasinstrumenten und einer blechernen Karaokemaschine in krudem Englisch „Hit The Road, Jack“ vortragen. Nun, Moldaus Beitrag „My Lucky Day“ von DoReDos (was soll die Schriftweise? Sind wir hier bei schuelervz?!) klingt, als habe man die nervtötendsten Sänger dieser S-Bahn-Belästiger zusammengecastet und ihnen einen der gewieftesten Turbofolkproduzenten des Balkans zur Seite gestellt. Dass sie es damit auch noch ins Finale geschafft haben, ist kein gutes Zeichen für Europa.
Könnte für eine Sensation gut sein
Wer sich immer fragte, wie ungarischer Metalcore klingt, bekommt beim ESC 2018 die Antwort: AWS zerschlagen mit ihrem Song „Viszlát nyár“ die piefige Gutwetterwelt des ESC zu Kleinholz. Genau deshalb wünscht man sich mit Blick auf den ganzen weichgespülten Mist, der zuvor zu hören war, glatt eine Sensation im Stile Lordis, die 2006 mit „Hardrock Hallelujah“ für Finnland siegreich waren, herbei.
Michael Schultes Ukulele
Wie bereits im ersten Halbfinale wurde auch im zweite Semi drei der sechs bereits fürs Finale qualifizierten Acts etwas Raum und Zeit eingeräumt, um sich Europa zu präsentieren. Deutschlands Vertreter Michael Schulte nutzte seine drei Minuten Aufmerksamkeit für zwei Dinge: zu verkünden, dass er Vater eines Jungen wird – und ungefragt auf der Ukulele den 2000er-Siegessong „Fly On The Wings Of Love“ vorzutragen. Die portugiesische Moderatorin guckte ebenso verwirrt wie wir zuhause vor dem heimischen Bildschirm.
Erklärbär Peter Urban
Uns Peter ist ja nicht nur eine wandelnde ESC-Enzyklopädie und Teilzeit-Style-Berater, sondern auch Erklärbär für die, die den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Das bewies er nicht nur – wie bereits erwähnt – beim norwegischen Beitrag, sondern auch beim georgischen Act: „Die Band heißt wie die Musik: Iriao Ethno Jazz Band.“
Doch dem nicht genug: Als der Song der slowenischen Sängerin Lea Sirk stoppte und sie daraufhin das Publikum aufforderte, ihr auszuhelfen, stellte Captain Obvious Urban fest: „Clever, clever. Die Pause ohne Musik war eingeplant, um das Publikum zu animieren. Muss man auch erstmal drauf kommen.“ Danke, Peter, wären wir aufgrund der katastrophalen schauspielerischen Darbietung der slowenischen Musikerin nämlich nie von selbst drauf gekommen.
Aber wir sind ja froh, dass wir ihn haben, unseren Peter Urban. Schließlich erspart er uns auch das lästige Übersetzen der Songtitel. Bei Russlands Titel half er uns wie folgt aus, „I Won’t Break, das heißt, ich gebe nicht klein bei“ und Montenegros Beitrag „Inje“ übersetzte er statt simpel mit Frost umständlich mit Raureif. Millionen Zuschauer wälzen wahrscheinlich jetzt noch ihre (Online-)Duden.
Umso erschrockener waren wir, als wir einen Moment der Resignation bei Peter Urban zu erwischen glaubten: „Die Serben gönnen sich erstmal einen Besuch in einem echten Portweinkeller. Ich kann es ihnen nicht verübeln…“ Peter, hast du keine Lust mehr in der stickigen Kabine zu sitzen? Halte durch, für uns! Und falls du echt keinen Bock mehr hast, ruf uns an, der Autor dieses Textes würde sich für diesen Knochenjob erbarmen.
Diese Acts haben es ins Finale des ESC 2018 geschafft:
- Serbien: Sanja Ilić & Balkanika – „Nova deca“
- Moldau: DoReDoS – „My Lucky Day“
- Ungarn: AWS – „Viszlát nyár“
- Ukraine: Mélovin – „Under The Ladder“
- Schweden: Benjamin Ingrosso – „Dance You Off“
- Australien: Jessica Mauboy – „We Got Love“
- Norwegen: Alexander Rybak – „That’s How You Write A Song“
- Dänemark: Rasmussen – „Higher Ground“
- Slowenien: Lea Sirk – „Hvala, ne“
- Niederlande: Waylon – „Outlaw In ‚Em“
Das Finale des ESC 2018 wird am Samstag, 12. Mai, ab 21 Uhr in der ARD übertragen.