„Es war schwer, die ganze Lügerei mit anzuhören“


Stürmische Zeiten: Wilco trotzen weiter den Widrigkeiten. Jeff Tweedy über Musik, Image, Depressionen und die "Beleidigung für die ganze Weit" George Bush

Dieses Interview hätte schon eineinhalb Monate früher stattfinden sollen. Das neue, fünfte Wilco-Album A ghost is BORN, Nachfolger des von Turbulenzen umbrandeten 2OO2er-Triumphes YANKEE HOTELFOXTROT. Ist Seit März fertig. Die Veröffentlichung des Albums, das nach den elektronisch angebrizzelten, entrückten Soundscapes von yhf mit größtenteils live und ohne Overdubs eingespielten Songs ein sehr direktes Ensemble-Gefühl einfängt, war für 8. Juni angesetzt. Doch einen Tag vor dem Gesprächstermin Ende April kam die Absage: alles geschoben. Album um zwei Wochen, Interviews auf zunächst unbekannt. Wilco-Chef Jeff Tweedy plage heftige Migräne, so die Vorab-Erklärung. Zwei Tage später die beunruhigendere offizielle Mitteilung: Tweedy sei zur Kur einer Schmerzmittelabhängigkeit in eine Entzugsklinik eingecheckt. Mehr erfuhr man wochenlang nicht, dann endlich wurde ein neuer Termin angesetzt.

Die Nachrichten sind voll von den Enthüllungen um den Folterskandal des US-Militärs in Bagdad, der Nachmittag sonnig, als am 11. Mai ein im Vergleich zum letzten Treffen vor zwei Jahren merklich aufgeräumterer Jeff Tweedy auf der Terrasse des heimeligen Backsteinhauses im Chicagoer Stadtteil Evanston Platz nimmt, in dem Wilco-Manager Tony Margherita sein Büro hat. An seinem obligatorischen Proviant aus American-Spirit-Zigaretten und Cola-Light-Dose saugend, wird der Mann, dessen alte Band Uncle Tupelo einst mit ihrem Alt.Country-Meilenstein NO DEPRESSION die Schubladenaufschrift für ein ganzes Genre lieferte, offen über seine eigenen, sehr existenten Depressionen sprechen. Und er ist sehr böse auf seine Regierung. Aber jetzt zunächst zu den schönen Dingen. Zum Beispiel dieser neuen Platte.

Als wir uns vor zwei Jahren unterhalten haben, hast du gesagt, Wilco würden die nächste Zeit im Studio verbringen. Ihr wolltet fünf Alben aufnehmen, das beste davon zur Veröffentlichung, die anderen zum selber Anhören. Was ist passiert?

Ah! Das haben wir auch in etwa getan. Wir haben tonnenweise Material aus den letzten zwei Jahren, das nicht veröffentlicht wird. Gut, vielleicht irgendwann.

Ein riesiges Anthology-Boxset.

Genau, (lacht) Wenn wir nicht getourt haben, waren wir im Studio, meistens im Soma, dem Studio von John McEntire von Tortoise.

Die Platte ist aber in New York entstanden, im Sear Sound Studio. Die Beschreibung klingt nach einem Relikt aus den 6oern, an dem seither nichts gedreht wurde.

Die haben altes Equipment, das sehr gutin Schuss ist. Aber das Studio ist schon up to date. Wir haben nur kaum was von dem neuen Zeug benutzt, nur das alte.

Röhren-Amps, alte Mikros, Tape-Maschmen?

Ja. Yankee hotel foxtrot wurde auch auf Tape aufgenommen, aber digital gemixt. Diesmal wollten wir alles auf Tape behalten. Unser Ansatz war diesmal, mehr Leidenschaft einzufangen, alles mehr live einzuspielen. Im Zentrum der Platte sollten Performances stehen anstatt der Klanglandschaften wie auf yhf. Und analog ist einfach musikalischer.

Kannst du mal den Arbeitsprozess schildern ? Was ich gelesen habe, klang danach, wie Can das früher gemacht haben: jammen und daraus Stücke entwickeln.

Wir haben viel improvisiert, früh in den Sessions, bevor wir nach New York gingen. Wir ließen eine ganze Rolle Band durchlaufen, etwa eine halbe Stunde am Stück. Ich saß da, allein mit meiner Akustikgitarre, blätterte durch meine Notizbücher und erfand Songs. Die anderen saßen im Control Room – Glenn in seiner Drum-Box – und spielten mit. Ich hörte sie nicht.

Es fand also keine Interaktion statt?

Sie interagierten mit mir, aber ich nicht mit ihnen. Sie hatten diese Songs noch nie gehört und ich ja auch nicht. Sie hatten keine Ahnung, in welche Tonart ich springen, welche Akkordwechsel passieren würden.

Sie mussten dir folgen.

Ia. Oder auch nicht. Manche Sachen hören sich an, als spielten sie, wonach ihnen gerade war. So entstanden neun Rollen Tape, neun komplett fertige Alben, die völlig verschieden sind und in Echtzeit entstanden. Ich glaube, es ist ganz gut, sich als Band von Zeit zu Zeit daran zu erinnern, dass man einfach nur Zeug erfindet. Und dass es vielleicht nur 40 Minuten dauern kann, eine 40-Minuten-Platte zu machen. Ich saß da und blätterte durch Gedichte und Texte, die ich geschrieben hatte, und versuchte in einen Fluss reinzukommen, war quasi gleichzeitig mein eigener Zuhörer. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll: Wie man ein Gespräch improvisiert, in der Art. Es war sehr befreiend. Und wenn das Tape durch war, spulten wir es zurück und mischten es ab, in einem Durchlauf.

Also auch in Echtzeit.

Ja. Einer mischte ab, die anderen gingen raus. Der Mix war auch nochmal eine Art Performance: Was rückte in den Vordergrund, was wurde eher weggeblendet? Dann setzten wir uns hin und hörten uns unser Album an. Es war großartig. Da waren Strukturen und Eigenartigkeiten, Synchronitäten und Gegensätze, die passierten, auf die man in einer Million Jahre nicht von selber käme. Du vertraust deinem Unterbewusstsein mehr als deinem Bewusstsein. Und vieles, was dabei herauskommt, klingt smarter als du selber bist.

Weil man vorsätzlich gar nicht auf solche Ideen käme.

Der Verstand arbeitet ja so, dass er annimmt, alles, was auf einer Platte zu hören ist, stehe da mit einer Absicht, dass ein Gedanke hinter allem steckt. Der Verstand sucht Ordnung im Chaos. Jedenfalls war das eine tolle Art, Ideen, Formen zu generieren, ohne sich auf das Handwerkliche zu versteifen. Wir haben Rohmaterial gesammelt, das wir dann zu Songs weiterentwickelt haben. Viele Songs vom Album sind aus diesen Sessions entstanden. „Muzzle Of Bees“ „Company in My Back“, „At Least That’s What You Said“, „Handshake Drugs“, „Less Than You Think“. Was war dann der nächste Schritt? Neben diesen „Fundamentals“ gab es auch viele „traditionelle“ Sessions, heißt: Ich hatte einen fertigen Song, den wir ausarbeiteten. Am Ende der Sessions in Chicago hatten wir eine Roh-Version der Platte mit den besten Sachen, die wir übers Jahr aufgenommen hatten. Diese Songs lernten wir dann live zu spielen.

Könnte man sagen, dass das poppige „Hummingbird der eine, das experimentelle 15-Minuten-Drone-Ding „Less Than You Think“ der andere Pol der Platte ist?

Irgendwie ja. Wir wollten schon vom Titel her, dass „LessThan You Think“ der längste Song der Platte ist.

Oh, ein Wortspiel!

Ja (lacht schulterzuckend). Genau. Der Song ist aus einer Diskussion darüber entstanden, dass es keine Willensfreiheit gibt. Ich glaube das selbst nicht, aber das ist die Idee hinter dem Song. Auf jeden Fall: Die letzten zwölf Minuten sind Musik, die wir nicht gespielt haben. Das sind Maschinen, die wir so angeordnet haben, dass sie sich selber spielen. Eine Gitarre, die durch einen Filter rückkoppelt, ein summender Amp, ein Mikro, das über ein Delay-Pedal an einer vibrierenden Obstkiste hing, eine rasselnde Snaredrum, so Zeug. Instrumente, die sich selber spielen. Ich finde, es klingt schön. Aber mir war auch klar, dass sich viele das nicht 15 Minuten lang würden anhören wollen. Und so ist es auf eine andere Weise nochmal ein Kommentar zum Thema freier Wille: Wenn’s dich nervt, steh auf und schal t es aus.

Ist es eine Art Herausforderung an den Hörer, dass ihr das ausufernde „Spiders “ gleich an dritte Stelle gesetzt habt, bevor die Platte dann zugänglicher wird?

Ich finde, es passte einfach hinter „Hell Is Chrome“, den zweiten Song, wo’s am Schluss heißt „come with me, come with me“. So: Wo geht’s hin? Und „Spiders“ ist eine Reise, der Song fühlt sich an wie Bewegung. Der Song klingt sehr nach Neu!, und die klingen ja wirklich sehr nach Autobahn fahrt.

Ja, Neu! klingen wie die weißen Streifen, die unter einem durchsausen, duk-duk-duk … Es ist gefährlich, Neu! beim Autofahren zu hören. Wenn du nicht aufpasst, bist du plötzlich mit 80,90 Meilen unterwegs.

Was hast du denn gehört in den letzten zwei Jahren?

Viel Instrumentalmusik. Noise-Zeug. Viele moderne Komponisten, Arnold Dreiblatt, Xenakis. Morton Subotnick, Milton Babbitt. Und im Auto einfach Standard-Classic-Rock-Sender, (lacht) Die letzten Jahre, in denen wir so viel aufgenommen haben, habe ich nicht mehr so viel andere Musik gehört wie früher einmal, weil ich den Kopf gar nicht so frei hatte dafür.

Und aktuelle, sagen wir: Rockmusik?

Nicht viel, ehrlich gesagt. Deerhoof finde ich sehr gut, die letzten drei Alben. Hm. Und Sonic Youth. Da sind halt Freunde von uns, da hört man sich die Platten an.

Ich habe gelesen, du hast erst in der letzten Zeit Hemmungen bezüglich deines Gitarrespiels überwunden.

Als Jay Bennett noch in der Band war – er ist so ein technisch guter Gitarrist und war oft ein bisschen … naja: herablassend mir und meinem Stil gegenüber. So, „Oh, ich war jetzt gar nicht sicher, ob du noch stimmst oder schon spielst“, (seufzt) Das hat mich ein bisschen behindert. Ich hab da nicht viel Unterstützung gespürt. Ich meine, ich bin wirklich technisch nicht so gut, aber es ist halt auch eine Sache des Stils. Für mich hat Gitarrespielen viel mit Emotion zu tun. Ob das dann eine Note oder fünf Millionen Noten pro Minute sind, ist zweitrangig. Es geht darum, was das Spiel kommuniziert. Ich bin da selbstbewusster geworden und auf dieser Platte konnte ich zum ersten mal richtig… Naja, die Gitarre drückt hier viel aus, was ich in den Texten nicht ausdrücken konnte.

Es klingt sehr nach Neil Young.

Was soll ich sagen, ich liebe Neil Young. Danke, (lacht) Ich mag diese Art romantisches Gitarrespiel. In der Lage zu sein, alles abzuschalten und Leidenschaft rausfließen zu lassen. Darum geht’s mir. Katharsis.

Dieses Mucker-Ding ist ja eine Pest. Ich kenne Leute in Bands, die sich gor nicht Musiker nennen möchten, weil der Begriff so komisch belegt ist.

Naja. Ich spiele Musik. Das macht mich wohl zu einem Musiker. Aber in meinem Fall wäre es wohl vielen Musikern lieber, ich würde mich nicht Musiker nennen. Weil ich ihnen Schande mache (lacht).

yankee hotel foxtrot ist das bisher bestverkaufte Wilco-Album. Hat sich durch den Erfolg merklich etwas verändert für euch ?

Gut, wir haben zum Beispiel zum ersten Mal an einer Platte Geld verdient. Wir haben bisher immer nur mit den Tourneen verdient. Unsere Platten hatten sich immer gerade so abbezahlt, als wir uns den Vorschuss für die Produktion der nächsten abgeholt haben.

Hat die größere Aufmerksamkeit, die ihr jetzt bekommt, die Aufnahmen irgendwie beeinflusst?

Die Band ist jetzt auf jeden Fall sichtbarer, hat ein „higher profile“, wie man sagt. Aber das hat sich nicht ausgewirkt. Der Seite von mir, die glaubt, sie könne etwas fabrizieren, um einer Erwartung zu genügen, vertraue ich schon lange nicht mehr. Das klappt nicht.

Was haltst du persönlich von „I Am Trying To Break Your Heart“ Doku-Film, der während der hürdenreichen Phase um die Entstehung von YHF entstand]?

Ich finde, dass er sehr gut aussieht. Aber ansonsten ist es mir unmöglich, objektiv zu sein. Ich… ich mag mich einfach nicht anschauen auf einer Leinwand.

Es muss sich komisch anfühlen, sich in so problematischen Situationen wie dem Clinch mit Jay (der Bruch mit Ex-Gitarrist Bennett ist in dem Film dokumentiert) ins öffentliche Licht gerückt zu sehen.

Es ist wirklich unangenehm, weil die Vorstellungen vieler Leute sich so festfahren. Die meinen, weil sie zehn Sekunden in einem Film gesehen haben, kennen sie dich: „Ah, der Typ ist ein Arsch.“ Ich hätte nie gedacht, dass wir ein Image haben, das schützenswert wäre. Also haben wir uns filmen lassen. Seit der Film raus ist, weiß ich, warum viele Leute so viel Zeit, Energie und Geld aufwenden, ihr Image zu kontrollieren.

Jetzt ist Leroy Bach ausgestiegen: Wieder einer weg, weil dieser Tweedy so eine Zicke ist.

Ja. (lächelt) Aber sollen sie reden. Leroy hat die Band verlassen, weil er musikalisch etwas anders machen will, es war ein sehr freundschaftlicher Split. Die Veränderungen in der Band in den letzten Jahren waren ja nie geplant, die haben sich entwickelt. Weil die Musik sich verändert hat und jemand zurückblieb. Oder weil die Dynamiken, die jemand in der Band bewirkte -Jay Bennett zum Beispiel – unerträglich wurden.

Sind Wilco heute mehr Kollektiv als Band?

Ich glaube, das war immer die grundlegende Philosophie. Ich möchte als Band Leute um mich, die Ideen beitragen wollen, Emotionen investieren. Danach streben wir. Veränderungen sind immer passiert, wenn das kompromittiert wurde. Man darf nicht die Musik Freundschaften unterordnen. In einer perfekten Welt könnte man auch nach der Band noch Freunde sein. So läuft’s aber natürlich meist nicht. Mit Leroy ja. Mit Ken (ex-Drummer Ken Coomer, der im Vorfeld von yhf gefeuert wurde) und einigen in der Band auch, aber mit mir nicht, weil ich da Mist gebaut habe.

Inwiefern?

Ich hätte Ken damals anrufen sollen. Aber ich dachte, es ist eine Band-Entscheidung, also sollte es jemand Neutrales tun, es sollte Tonys (Margherita, Manager) Job sein. Im Nachhinein wünscht ich, ich hätte es getan. Als ich ihn dann doch noch selber anrief, wollte er nicht mehr mit mir reden. (Pause) Es ist traurig. Ich mag Ken wirklich sehr gern, und hoffe, dass wir eines Tages wieder Freunde sind.

Wir sprachen eben von Image und eurem neuerdings erhöhten „profile“. Als du jetzt in der Klinik warst, wie war das, darüber in den Zeitungen zu lesen?

Ich hab das ja erst mitgekriegt, als ich wieder raus war. Und es ist mir auch egal. Ich schäme mich nicht dafür, Hilfe angenommen zu haben. Es war das beste, was ich je gemacht habe. ich habe da endlich Sachen angepackt, mit denen ich schon sehr, sehr lange kämpfe.

Was war das für eine Einrichtung, in der du da warst ?

Ich war in einer Doppeldiagnose-Einrichtung, wo man sich mit psychischen Erkrankungen in Kombination mit chemischer Abhängigkeit auseinandersetzt. Darunter habe ich einen großen Teil meines Lebens gelitten. Ich habe schwere Depressionen und Panikstörungen. Die haben mich eigentlich in die Klinik gebracht: Ich hatte in der Zeit davor heftige Panikattacken, jeden Tag, ich war mit den Kräften am Ende. Das hatte zu tun mit… (überlegt; holt weiter aus) Ich hatte den ganzen Winter Schmerzmittel gegen Migräne genommen. Dann bekam ich plötzlich so eine Phobie vor Medikamenten – ich nehme seit langem Medikamente wegen verschiedener Sachen – dass ich von einem Tag auf den anderen alles absetzte, sogar aufhörte, Koffein zu trinken. Alles auf einmal, so: Ich muss meinen Körper reinigen! Das geht natürlich nicht, weil es dir die interview

ganze Chemie im Gehirn zusammenhaut. Nach fünf Wochen war meine Gehirnchemie so im Eimer, dass ich nur noch den ganzen Tag Angstattacken hatte. Jeder Tag fühlte sich an wie 100 Jahre. Entsetzlich. Also bin ich in die Psychiatrische Klinik, in die Notaufnahme und bettelte die regelrecht an. Die verwiesen mich an diese Klinik mit der Doppeldiagnose-Therapie, weil bei mir eben auch die Abhängigkeit eine große Rolle spielte … Lange Rede, kurzer Sinn: Ich fühle mich so gut wie die letzten sechs, sieben Jahre nicht und bin sehr dankbar. Die Welt kann davon halten, was sie will. Ich meine: Ich habe mich nie für einen Prominenten gehalten, aber wenn man einen Entzug macht, macht einen das in dieser Gesellschaft offenbar zu einem. Klatsch-Kram.

Es stand ja sogar in dem Mainstream-Blatt USA Today.

Es war sogar im Crawl auf MSNBC! (lacht) Ich meine, ich bin ja wohl nicht Kelly Osbourne!

Ja, das ist auch gut so. Jetzt ist also alles okay?

Ja, ich fühle mich gut. Und ich habe seit anderthalb Monaten keine Migräne mehr gehabt. Die hängt mit der Panikstörung zusammen und seit ich die wieder behandle, gingen die Migräneschübe zurück. Ich habe auch schon länger keine Angstattacken mehr gehabt.

Anderes Thema. Die Texte auf dem Album. Du verfolgst das Thema von Identität und die Suche danach.

Ich glaube, die meisten Menschen haben heute Schwierigkeiten mit ihrer spirituellen Identität. Was ist dein wahres Selbst? Wie bin ich dieser Welt verbunden? Keine neue Fragen, aber sie sind es heute wieder vermehrt wert, ihnen nachzugehen, finde ich. So viele Dinge, an die wir glauben, werden in diesen Tagen durcheinandergeschüttelt. Ich meine: Wir haben den schlechtesten Präsidenten, den wir je hatten, die destruktivste Regierung, die man sich vorstellen kann.

In Amerika zu leben… es war schwer, die ganzen Lügerei mit anzuhören. Das ist ja auch nichts neues, neu ist die Intensität und die schiere Masse, (überlegt) Ich glaube, deswegen ist die Platte auch so entstanden wie sie ist. Sehr loose, lebendig, live, ich finde, da ist ein Eindruck von Freiheit, von freiem Selbst. Das ist für mich ein politisches Statement.

In den Texten finden sich ja keine direkten Statements.

Nein, ich glaube, damit ändert man auch die Wahrnehmungen der Menschen nicht. Offenkundiger politischer Kommentar, das ist nicht mein Ding. Ich bin mehr dafür, über Emotionen Verbindung zu schaffen. Ich interessiere mich mehr für das spirituelle Wohlergehen der Leute. Nicht die Wahrnehmung der Leute von ihrer Regierung muss verändert werden, sondern die Wahrnehmung von sich selbst. Ich glaube an das Prinzip von „Bring dich selbst in Ordnung und du bringst die Welt in Ordnung“.

Sehr konkret ist die kommende Präsidentschaftswahl.

Das eben Gesagte mal anheim gestellt – es ist natürlich extrem wichtig, dass die Leute jetzt aufstehen und sagen: Schluss mit dieser Scheiße! Ich meine, das wird die wichtigste Wahl in der Geschichte der USA.

Dos würde ich auch als Ausländer unterschreiben.

Ja, sie ist wichtig für die ganze Welt. Um wie viele Generationen hat die Regierung Bush die USA in der Wahrnehmung der Welt zurückgeworfen? Speziell im Mittleren Osten. Wer weiß, ob wir noch erleben, dass auch nur ein Bruchteil davon repariert wird.

Ergreift ihr als Band in irgendeiner Weise Aktion ?

Wir werden wohl bei den Konzerten Stände haben, an denen man sich als Wähler registrieren kann. Je mehr Leute zur Wahl gehen… Ich meine: Ichtejmeja persönlich gar niemanden, der Bush unterstützt.

Ja, man kann sich so jemanden ja gar nicht vorstellen. Trotzdem habe ich gerade einen Poll gesehen, der immer noch bei 47 Prozent Zustimmung für ihn stand.

Dabei ist er nicht mal unser gewählter Präsident! Die ganze Florida-Nummer. Es ist einfach widerlich.

Das erste Kapitel von „Stupid White Men“, das das alles aufdröselt, hat mich fast physisch krank gemacht.

Es ist eine Beleidigung der ganzen Welt gegenüber.

Jetzt geht es darum, ob Rumsfeld zurücktreten muss. Das wird der doch niemals tun, oder?

Vielleicht muss er. Als Bauernopfer für die Wahl. Die Sache ist nicht gut für Bush, egal, was passiert. Das hier können sie nicht in ein Positivum umtricksen. Man hat ja schon viel erlebt. Enron, die Halliburton-Sache. Nichts ist passiert. Wenn das hier jetzt nicht einigen Leuten die Augen öffnet, was denn dann noch? Jetzt kommt ans Licht, dass die Vereinigten Staaten überall auf der Welt komplett illegale Internierungslager führen. Sierra Leone. Guantanamo Bay … Ach, fangen wir davon jetzt gar nicht erst an. Ich glaube, wir müssen sowieso aufhören. Ich muss in einer halben Stunde downtown sein. Noch eines: Die Zeile „once in Germany someone said nein“ in Im a Wheel . Wo kommt die denn her?

Von meiner Familie. Der Mädchenname meiner Mutter war Werkmeister, sie stammt aus Deutschland.

Und was bedeutet dir der Satz? Gut, „nein‘ reimt sich schön mit, „nine“…

Ich glaube, ich hatte mir das als politischen Kommentar gedacht. Ich meine, es gibt ja doch Parallelen von Deutschland in den frühern 30er Jahren … (brichtab) 1933 gab’s ja auch Leute, die nein gesagt haben.

Aber nicht genug. Das war jetzt aber eine dramatische Schlussnote. Können wir noch ein paar Fotos machen?

Warte, ich werde rauchen (zündet sich eine Zigarette an). Because that s what I do. Und die soll dann doch nicht mit drauf (schiebt die Coke-Dose weg). War das nicht letztes Mal noch Pepsi?

Was? (überrascht) Niemals! Nicht in einer Million Jahre, Mann! Haha! Wir sind Markenloyalisten!