Ernsthaft witzig


Auf seinem neuen Album "Mutations" hat Beck seine Folk-Wurzeln wiederentdeckt. Seinen Hang zu witzigen Texten hat er dabei allerdings nicht verloren - ernsthaft.

Wieso legst du mit „Mutations“ ausgerechnet ein Folk-Album vor, wenn die Welt auf eine weitere Sample-Orgie im Stil von „Odelay“ wartet?

„Mutations“ hat einen völlig anderen Ansatz. „Odelay“ war etwas sehr Künstliches, eine Art Klang-Puzzle. „Mutations“ ist das genaue Gegenteil: ein organisches Album, das durchweg live eingespielt wurde. Und dieser Unterschied ist auch gewollt. Man darf nie vergessen, daß ich aus der Folkszene stamme und „Loser“ eigentlich nur das Resultat wilden Experimentierens war. Später sind bestimmte Dinge zu Hauptprojekten geworden, ohne daß ich aber die Folkseite je vernachlässigt hätte.

Worauf basiert der musikalische Sinneswandel? Hast du etwa Angst, dich selbst zu kopieren?

Natürlich! Heute arbeitet doch jeder mit Samples, Drum-Loops und einer vertrackten Produktion. Das ist einfach ermüdend. Für mich ist es wie ein Lieblings-Restaurant, das du jahrelang besuchst, bis es plötzlich jeder entdeckt und du in einer riesigen Schlange warten mußt. Insofern macht ein Besuch natürlich keinen Spaß mehr, und du suchst dir etwas Neues. Ähnliches gilt auch für die Musik: Der ganze Sample-Ansatz ist so fürchterlich trendy und abgegriffen, daß er schon viel von seiner Faszination verloren hat.

Also zeichnet sich ein guter Künstler dadurch aus, daß er sich permanent neu erfindet?

Nicht unbedingt. Schließlich entwickelst du dich als Mensch und Künstler. Als ich vor drei Jahren „Odelay“ aufnahm, hatte ich ganz andere Ideen und Interessen als heute. Inzwischen bin ich auf einem anderen Level, kann das, was „Odelay“ ausgezeichnet hat, also auch nicht wieder einfangen. Von daher wird es ein solches Album wohl nie wieder geben.“Mutations“ ist viel emotionaler und eignet sich definitiv nicht als Partymusik.

Heißt emotionaler in diesem Falle auch, daß das Album einen therapeutischen Charakter besitzt?

Irgendwie schon. Trotzdem bemühe ich mich, meine Songs immer möglichst verspielt anzugehen. Ich will Spaß dabei haben, also schreibe ich witzige, humorvolle Texte. Es kann ja auch nicht jeder so furztrocken sein wie Leonard Cohen. Obwohl: Selbst dessen Stücke besitzen einen gewissen Humor. Genau darin besteht auch ihre Schönheit – sie sind tragisch, zeugen aber auch von einer spielerischen Ironie. Ich finde es einfach grandios, ernste Themen witzig zu verpacken. Du mußt nur dafür sorgen, daß der Hörer den Witz versteht. Du lachst über dich selbst, gibst ihm aber die Chance, daran teilzuhaben. Blanke Ironie hingegen ist eine Einbahnstraße.

Ironie ist nun einmal die Sprache der 90er, oder?

Stimmt, aber sie ist so fürchterlich limitiert, daß sie dich nirgendwohin führt. Wenn du schon ironisch bist, solltest du dich bemühen, zumindest ein gewisses Maß an Menschlichkeit zu wahren. Und dazu brauchst du lediglich ein wenig Sentimentalität sowie ein gesundes Maß an Aggression. Es kommt auf die Mischung an – erst daraus resultiert der entsprechende Humor. Hinter Ironie kannst du dich verstecken wie hinter einer Maske, aber du verbirgst doch nur dein wahres Ich. Und das ist verdammt feige. Es ist viel mutiger, seine Gedanken zu äußern und dabei ruhig mal verletzlich zu sein. Du kannst auch naiv sein oder auch mal etwas sagen, von dem du nicht weißt, ob es den Leuten auch wirklich gefällt. Das ist die einzige Chance, dich zu entwickeln und das nächste Level zu erreichen.

Aber versteckt sich Beck nicht auch hinter der Fassade des Cowboyhut tragenden Sonderlings?

Nein, es war mir immer wichtig, mein Publikum zu unterhalten. Es geht darum, die Aufmerksamkeit der Leute zu gewinnen. Schließlich kommen sie mit ganz bestimmten Erwartungshaltungen ins Konzert. Früher habe ich zum Beispiel meinen Anrufbeantworter mitgebracht, ein Lied darüber gesungen und ihn anschließend zertrümmert. Das ist doch viel cooler, als eine Gitarre zu zerstören.

Hast du ein gespaltenes Verhältnis zur aktuellen Rockmusik?

Ich habe einfach nur etwas gegen Egos, Selbstbeweihräucherung und bewußte Manipulation. Und es irritiert mich, wenn sich hinter einer derart arroganten Fassade nichts Geniales verbirgt. Das ist etwas, was mir schon nach dem Durchbruch von Nirvana aufgefallen ist. Damals gab es einfach viel zu viele Bands, die sich auf ein offenkundiges Imitieren beschränkten. Und das passiert leider immer wieder. Alles, was einflußreich und wichtig ist, wird augenblicklich kopiert, auch wenn es noch so schal und langweilig ist. Aber das ist nun einmal das, was das heutige Musikbusiness charakterisiert. Da wird ganz auf Nummer sicher gegangen – übrigens nicht nur in der Musik, sondern auch in der Literatur, im Film und in anderen kulturellen Bereichen. Das ist auch der Grund, warum ich mich für elektronische Musik interessiere. Ich würde gerne etwas im Technobereich unternehmen, was vor mir noch kein anderer gewagt hat.

Meinst du, das ist überhaupt noch möglich?

Natürlich, diese Musik steckt schließlich noch in den Kinderschuhen! Alle Jubeljahre wird mal ein neuer Sound entwickelt, an dem sich wirklich alle orientieren. Momentan haben wir diese unterschiedlichen Fraktionen – Rave, Dance, Drum ’n‘ Bass. Aber was so frustrierend ist: Innerhalb dieser Genres klingt irgendwie alles gleich. Außerdem würde ich mir etwas mehr Humor innerhalb der Dance-Szene wünschen. Die Leute wollen einfach nicht verstehen, daß Musik erst dadurch menschlich wird, daß sie ein gewisses Maß an Witz enthält. Übrigens genauso wie Einsamkeit, Spaß und Aggression, eben all diese emotionalen Komponenten. Dance-Musik impliziert zwar jede Menge Aggression, aber nur wenig Humor.

Welche Aufgabe übernimmt demnach die Kunst? Ist sie nur ein Luxusartikel oder hat sie eine konkrete soziale Funktion?

Nun, die Kunst an sich ist schon Luxus. Gleichzeitig impliziert sie aber auch Lebensfreude. Das liegt in der Natur des Menschen. Nimm nur Boschs „Garten der weltlichen Gelüste“. Das ist ein furchterregendes Gemälde, das alle Seiten des Menschen einfängt. Da gibt es das Böse, das Schöne, das Seltsame – und Leute mit Hühnerköpfen, die Sex mit Erdbeeren haben. Es ist aus meiner Sicht das absurdeste Bild aller Zeiten, das aber trotzdem alles in sich vereint. In der Kunst ist immer Raum für das Lächerliche und das Chaotische zugleich.