Eric Clapton: Auf Welttournee


Eric Clapton ist auf Welttoumee Mal wieder. Es ist seine „Ich zähle schon längst nicht mehr“-Tour. In über 35 Jahren kommt eben einiges zusammen. Doch diesmal muss er zwischen den Konzerten auch noch sein neues Album „Reptile“ promoten. Beste Laune darf man also kaum erwarten. Aber der Mann, der als ausgesprochen introvertiert und schweigsam gilt, redet, als hätte er sich auf das Interview richtiggehend gefreut. „Wenn ich bei einem Gig nicht nach drei Songs zu schwitzen anfange, läuft’s falsch“, meint er aufgeräumt.

Noch überraschender ist seine Ausstrahlung. Vor drei Jahren sah er so alt aus, wie er auch war – eben wie ein Mann in den Fünfzigern. Jetzt wird er 56 und wirkt, als ob er eine Verjüngungskur hinter sich hätte. Dabei ist es nicht gerade so, dass Claptons Alltag nach Urlaub aussieht. 1998 kam das Album „Pilgrim“ samt anschließender Tour, danach die CD „Riding With The King“ mit B.B. King. Und seit drei Jahren engagiert er sich auch für „seine“ Drogenentzugs-Klinik auf der Karibik-Insel Antigua. „Das nimmt sehr viel Zeit in Anspruch, aber ich wollte meine Suchterfahrungen an andere Menschen weitergeben, um ihnen zu helfen, von Drogen loszukommen“. Allerdings ist der stationäre Entzug auf Antigua ein teures Unterfangen. 11.000 Dollar kostet ein vierwöchiger Aufenthalt, für den „normalen“ Junkie dürfte das unerschwinglich sein. Aber Clapton verteidigt die Hochpreis-Politik. „Wir haben lange überlegt, ob der Patient später, oder auf andere Art zurückzahlen kann. Indem er dort arbeitet beispielsweise. Aber meine Erfahrung und meine Philosophie ist, dass es am besten funktioniert, wenn der Betreffende selbst bezahlt. Viele Menschen gehen in den Entzug als Alternative zu einer Gefängnisstrafe, weil es gerade Mode ist oder weil jemand anderes die Rechnung bezahlt. Dann bedeutet es nicht so viel für ihn. Wenn du aber selbst bezahlen musst, überlegst du, ob du es wirklich willst. Es kostet dich nämlich richtig viel Geld. Und das macht den Wert der Therapie aus.“

Mit Therapien kennt sich Clapton aus. Er hat selbst mehrere durchlitten, um von seiner Drogen- und Alkoholsucht loszukommen, aber auch um seine eigene Vergangenheit zu verstehen – in jeglicher Hinsicht. Jahrzehnte lang kämpfte er mit Depressionen, die aus seiner persönlichen Familiengeschichte resultierten. Auch heute noch ist sie der zentrale Punkt seines Lebens. War „Pilgrim“ seinem Vater gewidmet, den er nie kennengelernt hat, so ist das neue Album „Reptile“ seinem Onkel Adrian gewidmet, der 1999 verstarb. „Er war wie ein älterer Bruder, nur fünfzehn Jahre älter als ich. Er hat mich überall hin mitgenommen. Wir sind zusammen wandern, angeln oder ins Kino gegangen. Adrian war sehr an Jazz und Tanzmusik der Vierziger und Fünfziger interessiert. Mein Musikgeschmack wurde davon stark beeinflusst. Außerdem war er ein radikaler Atheist – schlicht und einfach ein Rebell. Und dadurch war er für mich als Vorbild natürlich sehr attraktiv.“ Seine musikalische Wertschätzung erweist Clapton im Song „Find Myself“, einem relaxten Bar-Blues, wie ihn sein Onkel vermutlich gemocht hätte.

Claptons ursprüngliches Problem lag gerade darin begründet, dass er als Kind tatsächlich glaubte, sein Onkel sei sein Bruder. „Meine Familie ist ein ziemlich typischer Fall für englische Kleinstadt-Verhältnisse. Es wurde eben ziemlich viel verheimlicht. In meinem Fall war das der Umstand, dass meine Mutter mich bekam, als sie noch sehr, sehr jung war. Ihre Eltern – meine Großeltern – nahmen mich auf und erzogen mich, als ob ich ihr eigenes Kind wäre. Meine Mutter wurde also zu meiner Schwester, mein Onkel zu meinem Bruder, meine Großeltern zu meinen Eltern. Alle glaubten, dass es ein Geheimnis bleiben würde. Aber im Dorf wussten es natürlich alle. (lacht) Ich war wahrscheinlich der Einzige, der nicht Bescheid wusste. Und als ich das schließlich im Alter von neun Jahren herausfand, war ich lange Zeit sehr wütend und reichlich verwirrt. Das ist sicher ein Grund für viele meiner Selbstfindungsversuche.“

Claptons Tendenz zur Selbstzerstörung durch Drogen und Alkohol, vor allem in den sechziger und siebziger Jahren, hat ihre Ursache in seiner nicht verarbeiteten Vergangenheit. Hinter arroganten Sprüchen versuchte er seine Schüchternheit und Verletzlichkeit zu verstecken, mit seinen vielen Affären die Angst vor der Einsamkeit. „Früher habe ich immer gedacht, dass ich unbedingt eine Freundin haben muss. Sonst fühlte ich mich wie ein Niemand. Heute bin ich selbstbewusst genug, dass ich nicht verzweifelt nach einer Partnerschaft suche. Und das macht mich wohl zu einem besseren Partner.“

Im Song „River Of Tears“ oder beim Titelstück des Albums „Pilgrim“ bettelte Clapton noch mit vor Verzweiflung wimmernder Stimme um Liebe. Nicht, dass er sich jetzt nicht mehr nach Liebe sehnt. Seine Cover-Version von James Taylors „Don’t Let Me Be Lonely Tonight“ drückt seine Sehnsucht deutlich aus. Doch Claptons Gesang ist dabei kraftvoll und ohne Sentimentalität. Überhaupt kommt die überwiegend raue Gangart des Albums seinem Gesang entgegen, und somit auch den Songs zugute. Abgesehen von den Instrumentals „Reptile“ und „Son & Sylvia“, die das Album einrahmen, sowie dem entspannten „I Believe In Life“ und dem melancholischen „Modern Girl“ überwiegen rockige und bluesige Stücke, die direkt und schnörkellos daherkommen. Clapton ist eben ein überzeugter Traditionalist. „Ich bin etwas besorgt darüber, dass immer weniger Menschen sich für die Geschichte der Musik interessieren. Heute hat fast alles mit Sex, Mode und mit Kids zu tun, die Musik für Kids machen. Das verstehe ich nicht so ganz, aber es kümmert mich auch nicht zu sehr. Ich selbst habe immer die Musik von Erwachsenen bevorzugt. Als Kind habe ich Leute wie Muddy Waters gemocht, und der war damals schon über 50.“ Auch wenn’s so aussieht, als hätte sich Clapton aus der aktuellen Musikszene ausgeklinkt: Ein paar Ausnahmen findet er unter Kollegen der jüngeren Generation doch, die ihn nicht ganz den Glauben an die Musik verlieren lassen. „Radiohead zum Beispiel ist eine gute Band. Die sind tapfer und stark, denn sie glauben an das, was sie tun. Es gibt immer jemanden, der seine Sache gut macht. Ansonsten wäre ich ziemlich traurig.“

Traurig werden seine vielen Fans sein, denn Clapton hat erklärt, dass die laufende Welt-Tournee auch seine letzte sein wird. Das haben andere ja auch schon immer und immer wieder verkündet, aber Clapton scheint es mit dieser Entscheidung tatsächlich ernst zu sein. „Wenn es eine weitere Tour gäbe, wäre ich fast 60. Ich denke, dass ich jetzt genießen sollte, was ich im Leben noch vor mir habe. Und das ist eine ganz andere Welt. Vielleicht möchte ich mich in Zukunft mehr um meine Partnerin kümmern, mit ihr eine ganz schlichte und einfache Existenz aufbauen. Ich will eben auch nicht mehr andauernd im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen.“ Aber kein Grund, in tiefe Depressionen zu verfallen, denn Clapton setzt gleich hinzu: „Ich glaube allerdings nicht, dass ich die Musik aufgeben muss. Vielleicht spiele ich nicht mehr vor ganz so vielen Menschen. Aber mit Ruhestand hat das bestimmt nichts zu tun.“ Na, Gott sei Dank…