Englische Woche


Die Sonne steht tief an diesem 14. September im Südlondoner Stadtteil Brixton. Alles ist noch recht ruhig vor dem „Windmill Club“, weitab der hektischen Betriebsamkeit der Innenstadt, in einer Seitenstraße, mitten in einem Wohngebiet. Es ist warm, ungewöhnlich warm für die Stadt im Spätsommer.

Die gute Laune, die die 18-köpfige Reisegruppe ausstrahlt, wirkt ansteckend. Gestern war man in Amsterdam, der heutige Abend markiert den Auftakt dreier aufeinanderfolgender Shows in London. Englische Woche nennt man das. Für alle Beteiligten ist es das erste Konzert auf britischem Boden. Entspanntheit ist dennoch der Name des Spiels. Einige Kicken auf der Wiese nebenan, Biere werden geöffnet, am Cornershop der ein oder andere Kaffee geholt. In aller Ruhe wird der Soundcheck durchgezogen. Musikbusineß? Hektik? Tourstreß? Vergiß es. Aber auch: Backstagebereich? Catering? Bandbetreuung? Vergiß es. Wozu auch: Das hier ist ein Freundschaftsding. Eine Klassenfahrt. Und eine Rückkehr zu den Anfängen, den kleinen Clubs, aus denen zumindest die Sportfreunde Stiller zuhause schon seit einer ganzen Weile herausgewachsen sind.

Später am Abend werden alle drei Bands ein grandioses Konzert geben. Die mit gut 130 Leuten annähernd ausverkaufte Windmill, ein rotgetünchter Backsteinbau mit Flachdach, ein Hippieschuppen eigentlich, aber auch der, in dem Art Brut und Bloc Party frühe Gehversuche unternahmen, flirrt vor Energie. Aber der Reihe nach. Am Anfang war die Idee. Marc Liebscher, Sportfreunde-Manager, Blickpunkt-Pop-Labelchef, DJ im Münchner Atomic Cafe, kam im November 2004 darauf, die Metropolen Europas mit den Sportfreunden bekannt zu machen. Die Idee war gut. So gut, daß niemand widerstehen konnte, als die Sache größer wurde. „This is Munich“ – drei Bands sollten es werden. Die Sportfreunde Stiller. Cosmic Casino. Monta. Ist das München? Natürlich hätten es auch andere Bands sein können. Doch es geht hier auch und in erster Linie um Freundschaften und um die Netze, die darum gesponnen sind. Alle Bands brachten ihre ersten EPs auf Blickpunkt Pop heraus. Daß die Hälfte von Cosmic Casino aus Augsburg kommt, spielt da keine Rolle. Ebenso wenig, daß Monta-Mastermind, Ober- Netzwerker und Wahlmünchner Tobias Kuhn mit einer (Ex-)All-Stars-Band auftritt, die seine Songs live umsetzt. Aus dem schier unerschöpflichen Pool seiner Mit-Musiker sind dieses Mal Zac Johnson (Ex-Readymade), Dave Anderson (Ex-Frank Popp Ensemble) und Alex Jedzinsky (Ex-Angelika Express) dabei. „Abergibt es nicht noch einen Haufen weitere Bands, die hier genauso gut reingepaßt hätten?“, höre ich fragen. Selbstverständlich. Doch schließlich ist der Platz, den ein Bus, und sei er noch so geräumig, bietet, begrenzt. 18 Menschen -18 Betten. Bitte die Ohrstöpsel nicht vergessen. Und genug Helles mitnehmen.

Das Ganze ist ein wahnwitziges Unterfangen. Kein Mensch weiß, wie die Sportfreunde im Ausland ankommen. Das „Melkweg“ in Amsterdam ist schnell gebucht, ebenso ein Gig in London. Dann beginnt es. Der Vorverkauf läuft rasantan. Letztendlich wird der Gedanke an die Metropolen-Tour aufgegeben, Dublin goodbye gewunken, werden drei Konzerte in London am Stück angesetzt. Die große Frage ist: Wer kommt denn da? Wie funktionieren die Sportfreunde Stiller denn bitte in England? Ist es nicht so, wie Richard „Rieh“ Goerlich von Cosmic Casino sagt: „Als ob der Rechtsaußen von Eintracht Trier bei Manchester United einen Vortrag über korrekte Ballfiihrung hält?“st es. Die Engländer bleiben nämlich zuhause. Doch die Deutschen kommen von überall her. Aus Deutschland. Aus Österreich. Aus Irland. Die meisten aus London selbst. Manche bringen auch englische Freundinnen mit. Alle wissen, daß es die Gelegenheit, so nah dran zu sein, so schnell nicht wiedergeben wird. Die Sportfreunde auf diesen Seiten groß vorstellen zu wollen, ist Redundanz zum Quadrat. Jeder kennt sie. Und selbst die, denen ihre Musik egal ist, finden sie immer noch sympathisch. Wenn sie im Refrain von „Ungewöhnlich“, dem dritten Stück ihres jüngsten Albums burli die Frage stellen: „Ceb’ich mich mit dem Allgemeinen versöhnlich, oder leb‘ ich lieber ungewöhnlich“, dann ist die Antwort klar. Im Gestus sind und bleiben sie indie egal, ob sie, wie damals, 1996 im Vorprogramm von Rekord, vor 20 Leuten spielten, später vor 100, vor 1000, und schließlich die größten Hallen füllten. Hier in England kehren sie gewissermaßen zurück zum Beginn ihrer Geschichte. Die Clubs sind überschaubar. Es sind Clubs, keine Hallen.

Die „Windmill füllt Sich. Noch vor der Tür mischen sich Musiker mit Einheimischen und den heranziehenden Gästen. Man spricht meist deutsch. Das war zu erwarten. Es wird gewitzelt. „Stehen wir im NME?“- Ja, bei den Terminen.“ Monti eröffnen den Abend, gefolgt von Cosmic Casino. Und es ist eine verdammte Ungerechtigkeit, daß hier nicht genug Platz bleibt, um sowohl Monta als auch Cosmic Casino einer angemessenen Würdigung zu unterziehen. Auch die Geschichte der beiden mit Ketten und Nietenhandschuh bewaffneten Hools wird unter den Tisch fallen müssen. Fragen sie Cosmic Casino.

Schließlich jedenfalls: enter Sportfreunde. „Are there any English guys in the audience?“ Eine rhetorische Frage. „Seid herzlich willkommen und wir wünschen euch viel Spaß!“ Und dann machen die Sportfreunde klar, daß es ihr Spiel ist. Alle Bedenken sind wie weggeblasen. Die Leute sind wegen ihnen hier. Es ist nicht so, als ob Eintracht Tier im Haus wäre. Es ist ihr eigenes Haus. Eine deutsche Enklave. Sie wissen das. Und sie machen das Beste daraus. Sie rocken. Und es macht ihnen wie dem Publikum sichtlich Spaß. Drei Freunde auf der Bühne -1 jo Freunde davor. Die auf der Bühne heißen Peter, Flo und Rüde. Nachnamen tun hier nichts zur Sache, so ist das unter Freunden. Es ist wie immer. Nur viel direkter. Die folgenden Tage sind nicht weniger energetisch. Der zweite etwa in der Garage. Die Show ist vom kleinen Raum oben nach Downstairs verlegt worden. Annähernd ausverkauft heißt es erneut – es ist der Höhepunkt der Konzertreihe. 500 Leute, die den unbedingten Willen zum Tanzen schon mitgebracht haben und nicht enttäuscht werden. Der Schweiß wird vor Ende des Abends von der Decke tropfen und dem Begriff „Warmer Regen“ eine neue Bedeutung geben. Natürlich wird auch hier deutsch gesprochen der Anteil der Englischsprachigen ist allerdings um einiges höher als am Tag zuvor. Und die Aftershowparty trägt ihren Namen zu Recht. Selten sah man so viele beseelte Gesichter nach einem Konzert wie hier- das gilt für Musiker wie Publikum. Wo das hinführen wird, ist noch nicht klar. Viele Medienleute, Labelmacher, Agenten, Manager waren eingeladen. Man hält sich vorerst bedeckt. So bedeckt, daß die Sportfreunde derzeit eigentlich keine Interviews geben. Ja, nächstes Jahr wird es einiges zu hören geben. Das neue Album wird kommen. Diese Tour war die erste ihrer Art. Doch bestimmt nicht die letzte.

www.sportfreunde-stiller.de