England brennt!


Zwei Jahre nach dem The-Band-Hype sprudelt das Mutterland der Popmusik plötzlich über vor wilden, schrillen, frechen, aufregenden und vor allem jungen Bands. Was ist denn da passiert? Ein Streifzug durch eine entfesselte Szene, die so schnell explodiert, daß morgen vielleicht alles schon wieder vorbei ist.

Das war ein großes Loch: Als The Libertines im Spätsommer 2004 ihre öffentliche Selbstzerstörung zelebriert hatten, blieb bei Beobachtungen das Gefühl zurück, mit einem Mordskater aus einem gewaltigen Rausch zu erwachen. Und während die Boulevardpresse gierig die kläglichen Reste von Englands größter Pop-Hoffnung seit zehn Jahren verwertete, bereitete man sich auf weitere zehn Jahre der Lethargie und mittelmäßigen Dümpelei vor, dominiert von nicht totzukriegenden Alt-Stadionrockern, halbherzigen Revivals und müden Retromoden. Nennenswerte Farbtupfer im musikalischen Erbseneintopf schienen nur noch die USA liefern zu können, wo ironischerweise eine neue Generation von Bands die frühen britischen 80er, die Zeit von Post-Punk und New Wave, wiederverwertete – allerdings größtenteils mit kühlem Ernst und verbissener Bemühung um „Authentizität“, was voreilige Hoffnungen schnell dämpfte.

Aber es kommt im Leben und speziell in England immer alles anders, als man fürchtet oder resigniert prophezeit. Anfangs waren es ein paar Singles, die ihren Weg nur über obskure Kanäle über den Kanal fanden: „Strasbourg“ von The Rakes „Decent Days And Nights“ und „Hounds Of Love“ von The Futureheads. „I Predict A Riot“ von den Kaiser Chiefs. Aber jeder einzelne dieser Songs wirkte wie eine kleine Bombe, eine Superdroge, wie  die Essenz dessen, was britische Popmusik seit Beatles , Sex Pistols, Clash, Blur, Oasis usw. ausgezeichnet hatte: Für zwei oder drei Minuten ist die Welt wie von einem grellen Blitz ausgeblendet, und danach gehen sie nicht mehr aus dem Kopf. Plötzlich ist Popmusik wieder wichtig, spannend und geheimnisvoll, kann man ganze hitzige Gespräche nur mit dem Austausch obskurer Namen bestreiten, die wie Verheißungen wirken. The Others! Bloc Party! Maximo Park! Instant-Legenden von Guerrilla-Gigs und sagenumworbene Parties machten die Gerüchterunde, und jede neue Platte steigerte den Hunger nach mehr. Man nennt so etwas – na klar – einen Hype. Das System ist bekannt, es funktioniert wie ein Luftballon, der mit heißer Luft gefüllt und losgelassen wird: Da macht es pfffft!, und übrig bleibt etwas Labberiges , an das niemand gern erinnert wird. Aber diesmal ist einiges anders: Die Band sind echt, ihre Platten sind wirklich gut. Die Industrie, deren Gewinnabsichten man für gewöhnlich hinter Hypes vermutet, ist überfordert und gibt nicht etwa Vorgaben, sondern versucht verzweifelt, von der Entwicklung nicht abgehängt zu werden  – und von Bands, denen Plattenverträge offenbar gar nicht so wichtig sind. Die aus echten Menschen bestehen. Menschen die Manifeste wie diese veröffentlichen: „Da draußen gibt es eine Generation, die sich entrechtet und isoliert fühlt. Die haben kein Interesse an den Dingen, die alle anderen antreiben. Die Zukunft ihnen genauso wie die Gegenwart. Sie haben keine andere Wahl, als die Wahrheit zu sagen und zu klingen, wie sie klingen“. So tönen (z.B.) The Others, und wer sich bei solchen Worten an die ersten zehn Minuten der Punkrevolte erinnert fühlt, liegt nicht falsch. Wer an Post-Punk und Bands wie Gang Of Four denkt, ebenfalls. Einige der neuen Helden, die mittlerweile auch die britischen Charts erobern, stellen wir auf den folgenden Seiten vor. Und ihr  Umfeld: ihre Einflüsse, ihre Städte, ihre Drogen. Ohne ihre Garantie auf Gültigkeit und Haltbarkeit – vielleicht ist der Rausch morgen vorbei. Dann bleiben nur ein paar fantastische Dongs. Platten und Hoffnungen, die wir nie mehr vergessen werden. Nur?