Kolumne

Engagiert und trotzdem Rüpel: Das war die Zauberformel von NOFX


Jan Müller von Tocotronic blickt in seiner ME-Kolumne zurück auf 40 Jahre NOFX.

Meine Geschichte mit NOFX beginnt 1991 an einem Strand der portugiesischen Westküste. Wir waren auf Interrail. Das machte man damals so nach dem Abitur. Nachts prügelten uns Polizisten aus dem Sand. Wir blieben trotzdem dort und ertrugen das sinnlose nächtliche Ritual. Denn an dem Strand lungerten gute Leute rum. Punks und Freaks. Irgendwann lernten wir einen Typen mit Ghettoblaster kennen. Er spielte einen Song mit dem Titel „Together In The Sand“. Der Liedtext ist pubertär und albern und der Song nichts weiter als ein Witz. Aber die Zeile „Country music played on the radio / So I turned it off“, fand ich unendlich komisch.

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Der Tape-Inhaber erzählte mir, dass das NOFX seien. Ich hatte schon von ihnen gehört und wusste jetzt, dass ich mir den Namen merken sollte. Wahrscheinlich spürte ich damals schon, dass ich diese Band irgendwann lieben würde. Ich verlor NOFX wieder aus dem Sinn (es ist übrigens nicht ratsam sich ohne Zelt auf Interrailreise zu begeben, aber es ist cooler). Ein gutes Jahr später hörte ich bei einem Freund mein zweites NOFX-Lied. Das war wieder übertrieben albern, denn es war ein Cover des Songs „Straight Edge“ von Minor Threat im Louis-Armstrong-Jazz-Stil. Auch das fand ich wieder wahnsinnig komisch. Der Song befindet sich auf dem vierten Album von NOFX. Gesungen wird er von El Hefe, dem für dieses Album neu eingestiegenen Gitarristen. Das Album trägt den Titel WHITE TRASH, TWO HEEBS AND A BEAN. Zu Deutsch in etwa „Weiße Unterschicht, zwei Juden und ein Hispanier. Mit Bean ist El Hefe gemeint, die Two Heebs sind Bassist/Sänger Fat Mike und Gitarrist Melvin und als White Trash wird Schlagzeuger Smelly bezeichnet.

 NOFX hatten schon immer ein Talent für gutes Songwriting

Das ist eine sehr gelungene personelle Mischung für eine Punkband. Und selbstverständlich ist der Humor von NOFX im Kern deshalb so guter Humor, weil er genau wie der Humor der Beastie Boys und der Humor von Serge Gainsbourg jüdisch ist. Das habe ich erst Jahrzehnte später begriffen. Neben dem Minor-Threat-Cover finden sich auf dem Album die ersten Hits der Band: „Sticking In My Eye“ (mit dem genialen Bass-Intro), „Bob“, „Liza & Louise“ und „Please Play This Song On The Radio“. Dies hat bestimmt viel mit dem Hinzukommen von El Hefe zu tun.

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Dieser interessierte sich, bevor er zu NOFX stieß, nicht die Bohne für Punkmusik und lehrte seinen neuen Bandkollegen das super-präzise Spielen. Außerdem hatten NOFX schon immer ein Talent für gutes Songwriting. Aber erst auf diesem Album begannen sie mit ihrer Zauberformel zu experimentieren. Und beim nächsten Album, dem überirdischen PUNK IN DRUBLIC, hatten sie diese Formel fertig entwickelt. Seitdem wenden sie sie in nahezu jedem Song an. So wie Coca-Cola eben auch nicht auf seine Zauberformel 7X verzichten würde.

NOFX lösen sich nach 40 Jahren auf

Was 7X enthält, wissen nur zwei Menschen auf der Welt. Ich leider nicht. Aber die Songwriting-Zauberformel von NOFX kann ich Euch verraten: Sie besteht zu gleichen Teilen aus Dur, Moll, Power, Geschwindigkeit, Präzision, Tragik und Humor. Und sie brachte uns so großartige Songs wie „Linoleum“, „Don’t Call Me White“, „Leave It Alone“ und „Lori Meyers“. Der Haken ist, dass nur NOFX selbst in der Lage sind, die Formel zu benutzen. In fremden Händen ist sie wertlos.

Fat Mike mit seiner einzigartigen Stimme habe ich in Klang und Bild immer als Comic-Character wahrgenommen

Ich kann mir die Musik von NOFX nicht überhören. Obwohl sie eigentlich gar nicht zu mir passt. Mit Melodic-Hardcore kann ich sonst absolut nichts anfangen. Bad Religion finde ich langweilig und bei Bands wie Lagwagon oder Pennywise nehme ich unverzüglich Reißaus. Das liegt auch an zu wenig Humor in der Musik und an den Stimmen der Sänger. Fat Mike mit seiner einzigartigen Stimme hingegen habe ich in Klang und Bild immer als Comic-Character wahrgenommen. Und etwas Schöneres, als jemanden als Comic-Figur wahrzunehmen, kann ich mir gar nicht vorstellen .

NOFX verlieren Bier-Sponsor – weil Fat Mike einen geschmacklosen Witz über Amoklauf-Opfer riss

1996 spielten wir mit Tocotronic beim „Bizarre-Festival“. Dort sah ich NOFX das erste Mal live. Die obszönen Ansagen von Fat Mike fielen mir unangenehm auf, aber ich war beeindruckt, wie die Band die Kameras von MTV verscheuchte und dass jeder zweite der unzähligen Festivalbesucher dieses unschöne grüne NOFX-Shirt trug. Diese Band hatte sich völlig unabhängig gemacht. Ich war fasziniert von dieser Selbstbestimmtheit. NOFX machten immer weiter. Sie nahmen ein paar mittelmäßige und unzählige großartige Songs auf. Immer mit ihrer Zauberformel im Geheimfach: „Eat The Meek“, „Dinosaurs Will Die“, „The Decline“, „Six Years On Dope“, „Doors And Fours“, „Darby Crashing Your Party“ und viele weitere.

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Sie begannen sich zu engagieren und sie blieben trotzdem Rüpel. Jetzt waren sie ein letztes Mal auf Tour. Gemeinsam mit meinem italienischen Freund Martino schaute ich sie mir ein
letztes Mal live an. Es war großartig. Natürlich auch deshalb, weil man sich Punkbands immer gemeinsam mit genialen Italienern anschauen sollte, die etwas von Punkrock verstehen. Aber auch wegen NOFX. Dass sie nun aufhören, ist traurig, aber es verdient auch Respekt. Danke für 40 Jahre Musik mit Zauberformel!

Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 8/2024.