Endlich geht es wieder bergauf: So war’s bei Muff Potters Tourauftakt in Köln
Zurück aus der zehnjährigen Pause, die eigentlich eine Auflösung sein sollte: Muff Potter inszenieren ihre „Angry Pop Music“ beim ausverkauften Tourauftakt in Köln mit Spaß und fast vergessenem Lampenfieber.
Omas geblümte Nachttischlämpchen auf den Verstärkern sind zurück! Seit jeher waren sie ein unverzichtbarer Bestandteil der Bühnendeko von Muff Potter. Nach ihrem großartigen Album GUTE AUSSICHT aus dem Jahr 2009 spielten sie noch eine kurze Abschiedstour und machten das Licht aus, die Lampen waren seitdem wohl auch in irgendeinem Keller eingemottet. Seitdem war es sehr still um Muff Potter.
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Sänger und Gitarrist Thorsten „Nagel“ Nagelschmidt widmete sich verstärkt dem Schreiben von Büchern, Gitarrist und zweiter Sänger Dennis Scheider verschanzte sich in seinem Tonstudio, schmiss ein eigenes Label, produzierte ein paar Bands und gründete die eigene neue Band Hotel Schneider, mit der er auch ein Album herausbrachte. Schlagzeuger Thorsten „Brami“ Brameier zog von Münster noch weiter aufs Land raus. Bassist Dominik „Shredder“ Laurenz ging in Berlin seinem gelernten Tischlerberuf nach. Trotz ein paar halbgemeinsamer Projekte stand eine Reunion nie öffentlich im Raum. Die Band aus Rheine bei Münster ließ über Jahre hinweg nicht mal durchblicken, was eigentlich der Grund für ihre Auflösung war. Bloß: „Wir hätten das damals anders machen sollen, es als Pause ankündigen, die dann vielleicht auch für immer ist. Damit es nicht diesen Reunion-Stempel kriegt, wenn man doch wieder etwas zusammen macht“, wie Nagel mal in einem Interview sagte.
Dann die Überraschung(en): Bei einer Lesung von Nagel Anfang 2018 traten Muff Potter (ohne Scheider) auf, bei „Jamel rockt den Förster“, dem Festival für Demokratie und Toleranz, spielten sie (mit Scheider) ohne jede Vorandeutung im August 2018 eine ganze Festivalshow. Die so entfachte Hoffnung der alten Fans wurden nicht enttäuscht: Muff Potter kündigten für 2019 eine Tour mit bisher 16 Konzerten und Festivalslots (u.a. Hurricane, Southside, Open Flair, Highfield) an. Diese Pläne und das „neue“ Album COLORADO – eine Sammlung von Raritäten und unveröffentlichten Aufnahmen – legen nahe, dass die Vier sich wieder vertragen haben und es ernst meinen, zumindest für das aktuelle Jahr.
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Der Tourauftakt in der ausverkauften Live Music Hall in Köln bestätigt diesen Eindruck: Die überraschend jungen Fans (die bei der Bandauflösung möglicherweise noch nicht volljährig waren) fiebern ihren Helden entgegen, während Felix Gebhard (ehemals Home Of The Lame) mit Gitarre, Synths und Klangerzeugern in einer Bühnenecke die Vorband gibt. Dass Potter-Bassist Shredder und Schlagzeuger Brami hin und wieder aus dem Dunkel hinter der Bühne auftauchen, um ihn musikalisch zu unterstützen, zeigt nicht nur eine alte Verbundenheit, sondern auch, dass Muff Potter die Dinge auf ihre eigene Art gestalten. Der DIY-Gedanke scheint immer noch präsent, auch beim Merch: Das „Hairy Potter“-Tourshirt ziert Bramis langhaariges und bärtiges Konterfei.
Nach seinem eigenen Auftritt wechselt Gebhard in die Rolle des Gitarrenroadies, ein Intro erklingt und Muff Potter betreten die Bühne, was um die 1.000 Fans mit freudigem Gejohle quittieren. Die Stimmung ist blendend, die Band wirkt über längere Zeit etwas verkrampft. Angesichts der Tatsache, dass die ersten sieben Konzerte der Tour allesamt ausverkauft sind und nicht nur dieser Auftritt von einem kleineren Venue (Gloria) in eine größere Halle hochverlegt wurde, recht verständlich. Dem holprig intonierten Song „Das seh ich erst wenn ich’s glaube“ gibt die Band kurzerhand einen zweiten Anlauf, etwas, das wohl auch nicht alle Tage in dieser Konzerthalle passiert.
„Wenn irgendwas gut ist, dann das hier“
Die Setlist setzt auf bewährte Livesongs („Wenn dann das hier“, „Fotoautomat“, „Wir sitzen so vorm Molotow“, „Von Wegen (aus Gründen)“) und einige Titel des bisher letzten Albums. Felix Gebhard kehrt für „Wie spät ist es, und warum?“ als dritter Gitarrist kurzzeitig auf die Bühne zurück und darf den druckvollen, aber gar nicht mal so lauten Bandsound danach noch kurz mit Melodika und Schellenkranz andicken. „22 Gleise später“ ist zwar eine Hommage an den Club Gleis 22 in Münster, wird in Köln aber dem 2017 abgerissenen, legendären Konzertladen „Underground“ gewidmet, der sich gerade einmal einen Steinwurf von der Live Music Hall entfernt befand.
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Es ist die schöne Vermischung von Gegensätzen, DIY-Anspruch und Rockband-Pathos, die Muff Potter auch 2019 wieder spontan sympathisch machen: Eine große Konzerthalle und eine anfänglich eingerostet wirkende Band. Großspurige Lichteffekte gegen die kleinen Blümchenfunzeln auf den Gitarrenverstärkern. Die Frage, ob diese Reuniontour bloß kühn durchkalkuliert wurde, oder die Band selbst völlig unerwartet feststellt, dass sie auch nach zehn Jahren Pause nichts von ihrer Relevanz verloren hat. Und sogar eine neue, jüngere Generation für sich gewinnen konnte, ohne neuen Tonträger und die ganze Promotionmaschinerie drumherum.
Ob Muff Potter nun wieder fest zusammen sind, vielleicht sogar eine neue Platte machen? „Vielleicht gibt es dieses Jahr wieder eine Abschieds-Single, so wie 2009“, wiegt Nagel das Publikum während einer Ansage in übliche Unsicherheit. Doch die Freude über das Jetzt überwiegt, die kommenden Konzerte und Festivalslots dürften Muff Potter und Fans gleichermaßen beglücken, so wie es heute in Köln geschah: Muff Potters Zeile „Wenn irgendwas gut ist, dann das hier“, sie steht vielen Menschen ins Gesicht geschrieben.