Emmylou Harris: Lyrik einer Lady
Fünf Jahre nach 'Wrecking Ball' überrascht die US-Sängerin mit einem Album voller selbstgeschriebener Songs.
Die Frau ist Musik pur: Nachdem sie eine dieser flachen, in gelbes Papier gewickelten Bidi-Zigaretten aus der Schachtel gefingert und angesteckt hat, fällt ihr auf, dass kein Aschenbecher da ist. Sie geht zur Tür und ruft, nein, singt ihrer Plattenfinnen-Betreuerin lo zu: „Ashtray!“ Jo setzt als Antwort die Terz darüber, „Ashtray“. Im nächsten Moment tönt auch noch die Quint aus dem Nebenzimmer – der Aschenbecher-Dreiklang ist vollendet. Grinsend setzt sich Emmylou Harris (53) – das Objekt der musikalischen Suchaktion in Händen – wieder an den Interview-Tisch. Wir befinden uns im Konferenzraum eines nicht ganz billigen Hamburger Hotels. Die Künstlerin gibt Einzelaudienzen, denn sie hat eine neue CD fertig, ihr erstes Studioalbum seit „Wrecking Ball“, das sie nach einer Schwächeperiode 1995 überraschend als eine der einflussreichsten US-Musikerinnen rehabilitierte. Die Besonderheit an „Red Dirt Girl“, ihrem neuen Werk: Emmylou hat fast alle Songs selbst geschrieben. Etwas, was die als Interpretin exquisiten Materials aus fremden Federn bekannte Sängerin zuletzt für ihr 1984er-Konzeptalbum „The Ballad Of Sally Rose“ tat. Warum auf einmal die lyrische Offensive? Die zierliche Lady mit den ergrauten Haaren erklärt: „‚Wrecking Ball‘ war ein Gipfel in meiner Karriere. Danach wollte ich auf keinen Fal! einen ’son of Wrecking Ball‘ machen. Stattdessen wollte ich etwas Neues ausprobieren. Also lag es nahe, mich auf eigene Songs zu konzentrieren.“
Das Ergebnis: Emmys an Perlen fürwahr nicht armes Repertoire ist um ein paar Glanzlichter reicher, etwa das anrührende „Bang The Drum Slowly“, geschrieben gemeinsam mit Guy Clark für ihren 1993 verstorbenen Vater, Major Walter „Bucky“ Harris, einen verdienten US-Militärpiloten. Nach Vater Harris wurde vor wenigen Wochen übrigens eine Schule in Alexandria, Virginia, benannt. Bei der Zeremonie war neben Harris‘ Witwe Eugenia und Sohn Rutland auch Tochter Emmylou anwesend. Ihr Beitrag zur Feier: die Premiere von „Bang The Drum Slowly“, a cappella gesungen. Wie gesagt, die Erau ist Musik pur.
www.emmylou.net