Meinung

„Emmanuelle 2“ auf Prime Video: Amazon duldet offenbar Vergewaltigungsfantasien


Hätte 1975 schon nicht gehen dürfen, darf 2020 erst recht keine Plattform mehr kriegen: In der Softerotikreihe „Emmanuelle“ mag einerseits sexuelle Selbstbestimmung und der offenere Umgang mit Tabus propagiert werden – andererseits wird aber auch Vergewaltigung verharmlost. Ist das Kunst oder kann das weg?

Amazon Prime Video hat einen vermeintlichen Klassiker des Softerotikfilms in sein Programm genommen: Seit ein paar Wochen ist bei dem Streaminganbieter „Emmanuelle 2 – Garten der Liebe“ von Just Jaeckin zu sehen. Das gefällt offenbar vielen Nutzer*innen: Der zweite, erstmals 1975 erschienene Teil aus der offiziellen Reihe mit Sylvia Kristel wird dort unter anderem in der Rubrik „Beliebte Filme“ beworben. Sein Problem aber liegt nicht etwa im unterirdischen Schauspiel und den platten Dialogen. Schon in der ersten einschlägigen Szene des Films wird eine Vergewaltigung erst verharmlost, dann verherrlicht.

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Amazon selbst fasst die Handlung von „Emmanuelle 2 – Garten der Liebe“ wie folgt zusammen: „Nach ihren Abenteuern in Bangkok reist Emmanuelle weiter mit dem Schiff nach Hongkong. In schicken Millieus, aber auch in Sportlerkabinen, Massagesalons und Matrosenkaschemmen befriedigt Emmanuelle nach wie vor ihre Neugier auf die Körperlichkeit beider Geschlechter und auf asiatische Liebeskünste.“ Konkret beginnt der Film dann so: Weil keine Kabine mehr frei ist, bietet ihr ein Mitarbeiter der Crew seine an und küsst sie unvermittelt. Emmanuelle schlägt ihm ins Gesicht und beschwert sich über diesen Übergriff – aber erst, nachdem sie den Kuss mehrere Sekunden lang hinnimmt. Ein Bett findet sie sodann in einem Frauenschlafsaal. Eine andere Passagierin vertraut sich Emmanuelle an: Sie könne nicht schlafen, weil sie Angst habe, da sie Opfer einer Vergewaltigung geworden sei.

Was dann folgt, gießt Öl ins Feuer von „Sie will es doch auch“-Fantasien potentieller Vergewaltiger: Die Frau berichtet, sie sei nicht etwa von einem Mann, sondern von drei anderen Frauen vergewaltigt worden. Erst habe sie es schlimm gefunden, sagt sie – dann aber Gefallen daran gefunden. Während die Passagierin davon erzählt, sind die geschilderten Softcoreszenen zu sehen. Und darin eben auch, wie die Angst aus dem Gesicht des Opfers der Lust und Leidenschaft weicht. Auch Emmanuelle gefällt, was sie hört: Zunehmend beginnt sie zu lächeln.

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Mehrere Teile der erfolgreiche Filmreihe waren in ihren ungeschnittenen Versionen in Deutschland indiziert. „Emmanuelle 2 – Garten der Liebe“ gehörte nicht dazu. Trotzdem: Wie kann es sein, dass eine derartige Verharmlosung von Vergewaltigung und der damit verbundenen Verhöhnung von Opfern auf einem Streamingdienst gezeigt wird? Ist die überaus problematische Szene niemandem aufgefallen? Oder werden Filme und Serien etwa ungeprüft lizensiert und ins Programm genommen? Und wenn es doch auffiel: Warum entschied man sich trotzdem dafür, den Film zu zeigen? Ist der Missbrauch von Frauen weniger schlimm, wenn er von Frauen ausgeführt wird? Fällt die Szene in den Bereich der Kunstfreiheit?

Eben jene Fragen hat Musikexpress.de der Presseabteilung von Amazon am 9. Juni schriftlich gestellt. Weder darauf noch auf unser Nachhaken am 11. Juni hat das Unternehmen bisher reagiert. Sollte doch noch eine Antwort, vielleicht als Reaktion auf diesen Artikel, folgen, reichen wir sie an dieser Stelle nach.

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Andere Filme und Serien wurden bereits aus den Programmen anderer Anbieter genommen

Im Zuge der aufkommenden #BLACKLIVESMATTER-Bewegung hatte zuletzt der US-Sender HBO den Klassiker „Vom Winde Verweht“ aus seinem Programm HBO Max entfernt. Das Südstaatendrama aus dem Jahr 1939 schüre „ethnische und rassistische Vorurteile“, hieß es in einer Pressemitteilung. Dauerhaft soll der Film aber nicht aus dem Programm genommen werden, sondern mittelfristig „mit Erläuterungen zum historischen Kontext“ wieder aufgenommen werden. „Gone With The Wind“, so der Originaltitel, entwickelte sich seitdem zum Verkaufsschlager – nicht zuletzt bei Amazon.

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Auch die britische Comedy-Serie „Little Britain“ von und mit Matt Lucas und David Walliams wurde von der BBC sowie Netflix jüngst aus ihren Programmen entfernt. Konkreter Grund sei nicht etwa ihr politisch inkorrekter Humor und das Spiel mit Klischees als Ganzes, sondern die Tatsache, dass darin ganz konkret Blackfacing betrieben worden sei, auch über Transvestiten und Transsexuelle habe man sich lustig gemacht. Matt Lucas selbst hat bereits vor längerer Zeit eingeräumt, dass er die Serie so heute nicht mehr machen würde.

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