Elvis Costello über Stilgrenzen


Er ist ein notorischer Grenzverletzer. Seit Elvis Costello 1977 sein Debütalbum veröffentlichte, hat er seine Songs in unterschiedlichste Gewänder gepackt, sich mal im Country-, dann wieder im Reggae-, Jazz- oder Klassik-Fundus bedient. Ein Ruheloser über den Reiz der Herausforderung.

Wie viele Elvis Costellos gibt es?

Es gab immer nur einen Elvis Costello. Die Kompositionen des neuen Albums stammen ja aus meiner gesamten Laufbahn. Der älteste Song, den ich geschrieben habe, stammt von 1977, und zwei Stücke, zu denen ich die Texte beisteuerte, sind sogar noch älter: Billy Strayhorns Komposition „Bloodcount“, die, soviel ich weiß, von 1967 ist, und Charles Mingus‘ „Hora Decubitus“, das aus den frühen Fünfzigern stammt. Insofern glaube ich nicht, daß die neue Platte so viele verschiedene Versionen von mir anbietet. Es sind Songs, die ich auf unterschiedliche Weise liebe und interpretiere, die anderen habe ich selbst geschrieben oder zumindest einen schreiberischen Anteil daran. Dafür erhielt ich Arrangements von Musikern, von denen ich dachte, sie könnten etwas zu diesen Songs beisteuern. Und es war eine große Chance, mit einer so fantastischen Gruppe wie dem Metropol Orchestra zu arbeiten, die diese ganze Musik an einem einzigen Abend spielte.

Aber das sind ja nicht nur Songs aus unterschiedlichen Perioden. Du verbindest darin die Kraft eines Rocksängers mit der Sensitivität eines Jazzers und der Präzision eines klassischen Musikers. Wie bekommt man das auf einer CD zusammen?

Diese Platte bzw. die Arrangements kamen ja nicht aus dem Nichts. Jeder Song hat in dieser Fassung seine Geschichte. Manche hatte ich ja erst für die Aufführung mit anderen Musikern geschrieben. Natürlich muß ich sie neu arrangieren, damit ich überhaupt meine Version daraus machen kann. Einige Arrangements wurden von Sy Johnson für das Mingus Orchestra geschrieben und erst später vom Metropol Orchestra übernommen.

Die Arrangements sind das eine, aber all diese Geschichten, Traditionen, Klangfarben laufen ja in deiner Person zusammen.

Viele von ihnen sind noch nie an ein und demselben Abend gespielt worden. Manche dieser Stücke sind viel zu gegensätzlich für eine gemeinsame Performance. Aber das ist ja gerade die Herausforderung. Manche Leute kennen mich nur als Rockmusiker aus den späten Siebzigern. Sie wissen gar nicht, daß ich auch ganz andere Musik geschrieben und aufgenommen habe. Die Vielfalt an Stilen auf der neuen Platte mag vielleicht die Hörer eines bestimmten Aspekts meiner Arbeit auch für die jeweils andere Seite interessieren.

Spielen Genres wie Jazz, Klassik oder Pop überhaupt noch eine Rolle?

Geschichte und Gegenwart der Menschheit stecken voller unlösbarer Konflikte. Die Kommunikation unter den Menschen nimmt nach meiner Beobachtung eher ab als zu. Insofern halte ich es für eine lächerliche Idee, eine musikalische Ausdrucksform gegen eine andere zu verteidigen. Nur indem unterschiedliche Musikformen aufeinanderprallen, entstehen neue Musikformen. So entstand der Rock’n’Roll, so kamen viele Spielweisen des Jazz an die Oberfläche. Es gab immer Veränderungen. Wenn man sich ernsthaft mit Musikgeschichte befaßt, kommt man schnell dahinter, daß all diese Veränderungen deshalb passierten, weil irgend jemand eine neue Idee hatte. Sei es über Harmonie, sei es über Rhythmus. Und bei genauer Betrachtung sind all diese Stile, für die wir Namen gefunden haben, nur Farben auf ein und derselben Palette. Es gibt immer unterschiedliche Bewegungen und Spielhaltungen. Wenn du deine eigene Position in der Musik findest, wirst du auch Punkte finden, diese Aspekte zu verknüpfen und kombinieren. Viele von ihnen sind keine revolutionären neuen Ideen. Aber sie sind vielleicht gerade passend, um einen bestimmten Song zu optimieren. Ein Stück wie „II Sogno“ etwa verbindet Klangfarben von Jazz und Klassik mit einem Folk-Thema, um eine bestimmte Geschichte zu erzählen.

Stehen die Gesetze des Marktes einer solchen Einstellung nicht zuweilen im Weg?

Über solche Fragen denke ich nie nach. 1996 hatte ich das Gefühl, in keiner Musikform mehr Platten aufnehmen zu können. Es sah so aus, als würde meine Laufbahn als professioneller Musiker noch ganze sechs Monate dauern. Ich glaubte, nur noch die Musik spielen zu können, die ich bereits aufgenommen hatte, und dazu war ich keinesfalls bereit. In diesem Momentmachte mir Chris Roberts von Universal Classics den dankbaren Vorschlag, sowohl für das Klassik-Segment als auch für Pop-Labels wie Mercury und Island Platten zu machen. Seither hat sich viel verändert. Die Eigentumsverhältnisse der Plattenfirmen haben gewechselt, ich bin von Label zu Label gewandert, und viele andere Menschen haben meinen Weg begleitet. Aber meine Klassik-Alben haben immer einen deutlichen Kontrast zu meinen Pop-Platten gebildet. Sicher gibt es immer noch Menschen, die sich fragen, warum ich unterschiedliche Wege gehe, statt meine Energie auf einen einzigen Weg zu konzentrieren. Aber all diese Platten haben unterschiedliche Stärken, und ich bin stolz auf jede davon.

Und immerhin haben ja auch Musiker wie Bach, Beethoven oder Mozart, Duke Ellington und Miles Davis unterschiedliche Musikformen verfolgt und sowohl das ernste als auch das heitere Segment bedient.

Es wäre vermessen von mir, mich mit diesen Musikern gleichzustellen. Und es gab Zeiten, in denen die Musik all dieser Komponisten und Musiker höchst unpopulär war. Außerdem haben Bach und Mozart sicher aus ganz anderen Beweggründen Musik gemacht als Duke Ellington und Miles Davis. Aber darüber darf ich gar nicht nachdenken. Ich mache meine Platten ja nicht, um deren Leistungen etwas Adäquates hinzuzufügen. Ich mache immer die Platte, die ich zum jeweiligen Zeitpunkt machen muß. Würde ich mir den Kopf darüber zerbrechen, wie meine Musik ankommt oder was sie vielleicht langfristig auslösen würde, hätte ich als Künstler verloren.

Aber spielt der Hörer nicht im Prozeß des Musikmachens eine gewisse Rolle?

Auch ich habe Platten gemacht, auf denen ich mir vielleicht ein wenig zu viel Gedanken gemacht habe, wen ich damit ansprechen würde. Aber diese Platten interessieren mich heute nicht mehr. Natürlich wäre ich ein Lügner, würde ich mir nicht für jedes Album so viele Hörer wie möglich wünschen. Der gemeine Hörer ist viel aufgeschlossener als die meisten Radiomacher, TV-Stationen und Musikproduzenten, die ihre Schienen im Kopf haben, von denen sie nicht mehr runterkommen. Medien müssen unweigerlich über den kleinsten gemeinsamen Nenner denken, ich hingegen denke über das höchste musikalische Level nach, das ich liefern kann. Wenn ich eine Platte mache, bin ich stets davon überzeugt, daß es meine Beste ist. Und ich denke, das Publikum ist bereit, diese künstlerischen Entscheidungen mitzutragen, wenn es die Zeit und den inneren Wunsch hat, sich mit der Musik wirklich auseinanderzusetzen. Wenn nicht, ist es genauso deren Wahl, wie es meine Wahl ist, in eine Richtung zu gehen oder nicht. Ich akzeptiere das.

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