Elvis Costello: Hut ab vor diesen Namen


Ohne sich der schicken Kopfbedeckung oder des ledernen Mantels zu entledigen, legt der kundige Sammler und Songwriter gleich beim Betreten des Raumes los. Es sei sehr spät worden in der Nacht vor dem Date mit dem ME, verrät Elvis, der einige Kilometer entfernt von Dublin wohnt. Unbedingt habe er noch ein paar Änderungen an seinem neuesten OEevre anbringen müssen, „und dann war’s plötzlich drei Uhr früh!“ Beim besagten Werk handelt es sich um ein Ballett, Shakespeares „Midsummer Night’s Dream“, von einer italienischen Truppe bei Elvis in Auftrag gegeben, und das, obwohl dieser vor zehn Jahren noch gar keine Noten lesen konnte. „So was macht unglaublich Spaß“, schwärmt er, „alles mit Bleistift und Papier. Mit dem Computer mogelt man doch nur! Man spielt eine Pianomelodie, und der Computer füllt die Akkorde der anderen Instrumente aus, als wären es lauter Klaviere. Nein, man muss denken lernen wie ein Orchester.“ In einigen Monaten wird das Stück auf CD erscheinen. Bereits veröffentlicht hingegen ist „When I Was Cruel“, Elvis‘ erstes Rockalbum seit „All This Useless Beauty“ aus dem Jahr 1996, das beweist: Der Mann mit der schärfsten Zunge im britischen Popgeschehen erfreut sich eines ausgesprochen geräumigen Musikgeschmacks. Zwangsläufig nur einen Bruchteil seiner Plattensammlung kann er den ME-Lesern hier vorstellen. „Ich hab in der Eile einfach gepackt, was am nächsten beim CD-Player lag. „grinst er und fegt Hut oder Mantel immer noch nicht ab.

Ethiopiques – Alemayehu Eshete 1969-1974

Welch ein Groove – wie Bobby Bland! Ich liebe diesen Typ. Unglaublich hip, sieht aus wie David Ruffin. Diese Serie von äthiopischer Musik ist überhaupt großartig. Sie stammt aus einer goldenen Periode von 1969 bis 1974, fängt mit dem Sturz von Haile Selassie an und hört auf mit der Machtergreifung durch das marxistische Regime, das jegliche Verbindung mit dem Westen und damit auch Pop unterband. Meine Frau und ich entdeckten eines Tages in einem Außenquartier von Vancouver/Kanada ein äthiopisches Lokal, wo sie diese unglaubliche Musik spielten. Sie klang, als ob zwei Van-Morrison-Alben gleichzeitig abgespielt würden, aber um einen halben Takt zeitverschoben. Letztes Jahr sind wir dann hingereist nach Äthiopien. Es war sehr schön.

Lucinda Williams – Essence

Ein brillantes Album! Kürzlich durfte ich mit Lu in „Crossroads“ auftreten, einer Show auf CMT. der Country-Version von MTV. Wir stellten innerhalb von zwei Tagen ein Programm zusammen. Erst bei der Arbeit erkannte ich, wir großartig diese Frau wirklich ist – eine tolle Texterin und eine brillante Sängerin. Sie ist von Herzen eine Rock’n’Rollerin, aber ganz zuerst eine Blues-Sängerin. Ich höre in ihrer Stimme Memphis Minnie und all jene Frauen aus den zwanziger Jahren. Während meine Texte oft sehr wortreich sind, geht sie mit Worten äußerst sparsam um. ähnlich wie Raymond Carver. Beispiel: der Song „Lonely Girls“. Das Einzige, was in diesem Lied passiert, ist, dass sie pro Strophe vier Mal „Lonely Girls“ singt. Und dann fügt sie in jeder Strophe noch ein einziges Attribut hinzu, das zu diesen einsamen Mädchen gehört: Schwere Bettdecken, hübsche Frisuren, funkelnde Rinestones. Knapp und präzise wie ein Haiku (aus drei Zeilen mit zusammen 17 Silben bestehende japanische Gedichtform. Anm.d.Red.)

Houndog – Houndog Day

Houndog bestehen aus David Hidalgo, dem Gitarristen und Songschreiber von Los Lobos, sowie einem gewissen Mike Halby, den ich nicht kenne (Anm.d.Red.: Abelardo Eugenio de la Dobro Halby. geboren am 1. April 1927 in Arizona, soll laut Internet in Arizona aufgewachsen sein, aber das konnte auch Camouflage sein). Die CD klingt unheimlich gut. Hör dir mal das an! Das ist der langsamste Blues-Groove, den ich je gehört habe. Den hätte auch Lightning Hopkins geschätzt! Dabei bin ich dem Blues nicht besonders verbunden. Ich mag einfach nur gewisse Stimmen: Muddy Waters, Otis Rush (die Aufnahmen, die er in den fünfziger Jahren für Cobra Records machte), Howlin“ Wolf, Skip James. Ich mag Robert Johnson, der ist meines Erachtens toll, aber Skip James mag ich mehr – der macht einem regelrecht Angst.

I Bob Dylan – Love And Theft

Ich sagte einmal, „Time Out I Of Mind“ könnte Dylans beste Platte sein. Was muss man dann über diese CD sagen? Der Mann wird schlicht besser und besser. Auf „Time Out Of Mind“ waren seine Texte ganz schlank, ohne jedes überflüssige Detail. Dieses Album nun ist voll gepackt mit winzigen Details, die deine Phantasie immer wieder neu ankicken. Das ist gar nicht unbedingt tiefsinnig, aber diese Verspieltheit überträgt sich irgendwie auf den Zuhörer. Ich kannte Bob Dylan schon als Kind, aber erst als ich in den frühen siebziger Jahren in Liverpool wohnte, kaufte ich mein erstes Dylan-Album – das war damals „Blonde On Blonde“.

Cannibal Ox – The Cold Vein

Fantastischer HipHop; darauf gebracht hat mich mein Sohn. Die Musik ist äußerst spannend, die nehmen einen Groove, schnipseln ihn auseinander und machen was ganz Abstraktes draus. Die Texte sind auch interessant. Gern bedienen sie sich irgendwelcher Stereotypen und stellen diese dann auf den Kopf. Das ist bestimmt kein kommerzielles Album, aber es versucht, mir etwas zu sagen. Und so etwas schätze ich.

The Mississippi Sheiks – Stop And Listen

Das ist fast schon Minnesänger-Musik.Sie entstand zur selben Zeit wie der Delta Blues. Wenn man einem Charly Patton, einem Skip James oder einem Robert Johnson zuhört, dann klingt es, als ob ein Mann ganz allein vor dem Mikrophon ein Geständnis ablegt. Diese Typen aber klingen wie Entertainer. Hier sind die Originalversionen von „Sitting On Top Of The World“ und von „World Gone Wrong“ drauf, was Dylan ja auch gecovert hat. Man sieht fast das Bild einer Familie irgendwo in Osteuropa vor sich, wie sie vor hundert Jahren in der guten Stube musiziert.

The Band – Music From Big Pink

Ich liebe auch das zweite Album von The Band. Aber das erste wirkt irgendwie mysteriöser und klingt noch immer so, als wäre es heute Morgen eingespielt worden modern und uralt zur gleichen Zeit. Diese CD mit ihren Zusatz-Tracks ist besonders gut. Richard Manuels Gesang auf dem Outtake von „Tears Of Rage“ ist absolut erschütternd; diese Version ist besser als die, die schließlich auf dem Album landete.

Deidre Rodman – Sun Is Us

Ich lernte Deidre Rodman über den Saxophonisten Roy Nathanson kennen, Sie spielte in der Live-Version von „The Fire At Keaton’s Bar And Grill“ mit, einer Art Jazz-Oratorium, in dem auch ich mitsang. Deidre stammt aus New York, ist eine wunderbare Pianistin und eine delikate Komponistin mit einer ganz eigenen Stimme.

Joni Mitchell – Hissing Of Summer Lawns

Alle zwei Jahre kehre ich zu diesem Album zurück. Es ist die unterbewertetste Platte, die sie je machte. Unglaubliche Texte, gemäldehaft und romanhaft zugleich. Trotzdem klingen sie nie, als ob sie nicht Songs sein sollten. Joni Mitchell gehört neben Dylan zu den ganz großen Songschreibern des 20. Jahrhunderts. Die meisten Leute sind nicht annähernd talentiert genug, den Möglichkeiten zu folgen, die sie in ihren Songs aufdeckt. Es ist viel einfacher, Bob Dylan schlecht zu imitieren als Joni Mitchell. Idiotisch, dass sie nur deswegen nicht auf einem Podest steht, weil ein Vorurteil gegen „Girl Singers“ besteht.