Elvis Costello


Vor wenigen Wochen noch war Elvis Costello das Zugpferd der kleinen, aber aufsehenerregenden Plattenfirma Stiff. Nun aber hat der Brite den Stall gewechselt, und in Zukunft bringt der Mammutkonzern Warner Brothers seine Scheiben an den Mann. Verwunderlich ist dieser Wechsel kaum: Costello's von überschäumendem Talent geprägte erste LP entwickelte sich auf Anhieb zu einem Bestseller in England und den USA. Die Nachfrage nach der zweiten Platte des frischgebackenen Stars hätte der erst schwach entwickelte Stiff-Laden kaum stillen können und was ist ein echter Elvis ohne Plattenumsätze! Wer ist dieser New Wave-Karrieremann überhaupt? Peter Langley nahm ihn unter die Lupe.

„Less Than Zero“ war Elvis Costello’s erste Single auf dem Stiff-Label. Das ist mittlerweile schon fast Geschichte, und daher will ich mich damit auch nicht länger aufhalten. Nur soviel sei noch gesagt,daß zwar die Platte in England kein Hit wurde(o.k., die Nummer schaffte Platz 96), aber genügend Leute drauf abfuhren und so Stiffs Glauben in ihren Elvis stärkten. Was Wunder auch, war’s doch eine faszinierende Geschichte über den heimischen politischen Faschismus, untermalt von einem Calypso-Beat und packenden Gitarren-Riffs. Die B-Seite, „Radio Sweetheart“, war ’ne Teenager-Tanz-Nummer, die zwar den Spruch von den Wegwerf-B-Seiten als völlig falsch entlarvte, später aber leider nicht auf der LP erschien. Von der Single-Hülle lugte Elvis irgendwohin ins Mittelfeld, die Hände tief in den Taschen, weder wissend dreinschauend, noch mit ausdrucksloser Miene, einfach nur guckend, schauend, beobachtend.

„Alison“ war Elvis Costellos zweite Single. Und auch sie wurde kein Hit, trotz der Tatsache, daß es bestimmt die beste Ballade seit „Angie“ war ein doppelsinniger Liebe/Hass-Song mit wahrlich inspirierter Stimmakrobatik von Elvis und einem jagenden und hinterlistigen Chorus, der wieder einmal Costellos Hang zu Düsternis und Sinistrem unterstrich (dieser Hang ist auch heute noch deutlich, z.B. in „Detectives“ einem seiner neueren Songs. „Alison“ wurde, wie gesagt, zwar kein kommerzieller Erfolg, aber es sprach sich rum:

„Leute, achtet auf Elvis!“. Eine LP, „My Aim Is True“, so betitelt nach einer Textstelle in „Alison“, folgte, aufgenommen unter den wachsamen Augen des Stiff-Produzenten (und Künstler) Nick Löwe. Doch grade als die Platte in den Veröffentlichungslisten auftauchte, machten Stiff einen Rückzieher und verließen urplötzlich ihre Vertriebsfirma Island, da diese ihrer Ansicht nach nicht genug getan hatte Stiff-Produkte unters Volk zu bringen. Trotzdem gelangten ein paar Platten an die Öffentlichkeit und die paar Typen, die auf Elvis getippt hatten, kriegten jede Menge Zuwachs.

Als dann Stiff einen neuen Vertrag mit Island eingingen, schien die Welt für Elvis Costello bereit zu sein. „My Aim Is True“ wurde eiligst veröffentlicht und jedermann liebte die Platte.

Ihre zwölf Songs erzählen von Streß, Revanche und Entfremdung Liebeslieder der siebziger Jahre, sehr persönlich, politisch, manchmal sogar lustig; und dazu ein Beat, der absolut zum Besten zählt, was drei Generationen Rock’n‘ Roll zu bieten haben. Vom strammen Beginn mit „Welcome To The Working Week“ über das pubertäre Gefummel und die Selbstverarsche von „Mystery Dance“ bis hin zu dem unwirklichen Orgasmus auf „Waiting For The World“ läßt Elvis kein einziges Mal den Finger vom Druckknopf; jeder Song ist so unwiderstehlich wie sein Vorgänger, jedes Stück hat den Ohrwurm-Charakter, den eine gute Pop-Melodie haben sollte.

Daß „My Aim Is True“ die normalen Leute genauso anspricht wie die Kritiker hat sich eindeutig am Charts-Erfolg der Scheibe gezeigt (im Moment Nr. 14, und während ich dies hier tippe klettert sie immer noch) und an Elvis‘ Tour, die soeben ihren hysterischen Höhepunkt in London erreichte; so richtig mit abgesperrten Straßen und vielen Polizisten, die all die auseinanderzutreiben versuchten, die keine Karten mehr kriegen konnten. Elvis‘ Auftritte mit seiner cleveren jungen Band, The Attractions, waren faszinierend. The Attractions, Steve Mason an den Keyboards, Bruce Thomas am Baß und Pete Thomas am Schlagzeug, erweitern den Sound der Platte dadurch, daß sie die Songs noch aggressiver machen und sie noch popiger klingen lassen. Aber der echte Höhepunkt der Shows mal abgesehen davon, daß das Publikum, obwohl „My Aim Is True“ erst wenige Wochen auf dem Markt war, jede Zeile auswendig kannte und mitsang waren Elvis‘ neue Songs.

Verzweifelte, bohrende und umwerfende Lieder

Verzweifelte, bohrende und umwerfende Lieder wie „The Beat“, „I Don’t Want To Go To Chelsea“ und „Lipstick Vogue“ packten sogar die blasierte Clientele des Schickeria-Clubs in dem Elvis sein Londoner Debüt gab. Sie brannten den bis dato Ungläubigen wie Speed unter der Haut und schafften zu guter Letzt gar die Plattenfirmen-Fuzzies, die die Bar umlagerten.

Eine zweite LP mit den Attractions ist jetzt fast fertig. „My Aim Is True“ ist bestimmt die ausgereifteste LP des Jahres ’77, und ich habe kaum Zweifel, daß die nächste noch besser sein wird.

Heute kann Elvis Costello in den Augen der englischen Rock-Presse nichts mehr falsch machen. Man hat ihn mit ehrenden Vergleichen, Analysen und Lobpreisungen überhäuft, aber genauer betrachtet, ist das echt unwichtig. Es spielt wirklich keine Rolle, zu wissen wie er klingt, oder wer er ist, es ist nur der Sound der zählt, und sein Sound ist GUT!

Sieh mal, was mich z.B. anbelangt, so steht Elvis für Qualität, und qualitativ gute Musik hat doch überall auf der Welt wohl auch einen gleich guten Sound, oder? Nun, Elvis Costello klingt hier an der See in Brighton sehr, sehr gut, und es gibt absolut keinen Grund, warum er an der Mauer in Berlin oder wo zum Teufel auch immer ihr haust, nicht genauso gut klingen sollte…