Eine Faust fährt durchs Land
Die radikalen und teilweise verbotenen Songs von Slime laufen seit 30 Jahren auf jeder linken Demo. Harte Parolen, harter Punk – so wurden die Hamburger unbeabsichtigt Kult. Im Sommer singen sie nach langer Pause erstmals wieder gegen Deutschland.
Wegen dieser Zeilen sind schon Leute im Knast gelandet“, tönt es vom Lautsprecherwagen. „Wir spielen das Lied trotzdem, weil es unsere Solidarität mit denjenigen artikuliert, die sich dem System konsequent widersetzen wollen!“ Eine grelle Rückkopplung durchschneidet die betuliche Frühlingsstimmung. Dann endlich setzt das Lied ein, aus den Boxen brüllt die Stimme den Demonstranten aggressiv den Refrain entgegen: „Deutschland muss sterben, damit wir leben können!“ Immer und immer wieder. „Ha, das klingt ja nach Schlägerei“, sagt ein junger Mann und lacht. Andere singen mit. Einige offenkundig aus Scherz, andere weil es ihnen aus der Seele spricht. Nach dem letzten Ton herrscht wieder Stille. Steine werden heute keine mehr fliegen, an diesem 1. Mai im Jahre 2010 in Berlin-Prenzlauer Berg.
Wenn es um Punk geht, will jeder mittendrin gewesen sein. Allerorten werden Anekdoten gesammelt, Geschichten zu Bestsellern verdichtet, der akademische Diskurs zerlegt Punk zu einer Epoche unter anderen. Ein Paradox: Je mehr Zeit vergeht, desto bemühter scheint das Ringen um die Deutungshoheit der Leiche Punk zu werden. Einer Bewegung, die sich doch gegen Alleinvertretungsansprüche und letztgültige Erklärungen so sehr wehrte. Naja, eigentlich wehrte sie sich gegen alles, und eine Bewegung war Punk streng genommen auch nicht. Denn Punk hatte niemals eine geschlossene Ideologie, war niemals einhellig politisch oder sonstwie zielgerichtet. Nur die Hamburger Band Slime, die schon! Daran gab es nichts zu deuteln. Die waren sogar derart mit den politischen Zeitumständen verwoben, dass es ihnen zum Verhängnis wurde.
„Hier sind drei Griffe – jetzt klau ’ne Gitarre und mach ’ne Band!“, las Michael Mayer, aka Elf, in einem britischen Fanzine Ende der 70er-Jahre. Und weil die Engländer bekanntlich wussten, wie Punk ging, wurde Elf schon bald Gitarrist seiner eigenen Band Slime. Das erste Album wurde selbst produziert, veröffentlicht und vertrieben. Über den Merchandise-Tisch nämlich, das sollte fürs Erste genügen. Anders als bei den Studenten der Düsseldorfer Szene wurde bei Slime Wert auf eine deutliche Sprache gelegt: Auf dem Cover der berühmte Anarcho-Stern, Songtitel wie „Streetfight“ und „Bullenschweine“ verdeutlichten selbst dem letzten Kretin, dass auf Diplomatie und Feinsinn hier kein Wert gelegt wurde. Mit anderen Worten: Das interessierte auch schnell die staatlichen Organe, die in den Zeiten von Nato-Doppelbeschluss, RAF und Rasterfahndung nicht als zimperlich galten. Es folgten Anzeigen wegen Volksverhetzung, Aufruf zur Gewalt und Verunglimpfung des Staates, es kam zu Durchsuchungen, das Album wurde konfisziert – „gelungene Promo“ würde man wohl heute dazu sagen. Slime wuchsen, Songs wie „A.C.A.B.“ (All Cops Are Bastards) wurden zum Soundtrack unzähliger Demonstrationen. Elf sieht es mit Humor: „Gefühlt habe ich dabei nichts. Ich habe mich nur amüsiert, wie dämlich und humorlos die Behörden in Deutschland sein können.“
Slime spielten im Knast und verteilten Badges mit der Aufschrift „Irgendwann stirbt jeder Wächter“; Slime quetschten sich zu fünft in einen geliehenen VW-Käfer und gingen mit anderen Pogo-Punks auf „Untergangs-Tour“, natürlich weigerten sie sich auch, das Spielverbot von Szene-Hits wie „Bullenschweine“ oder „Polizei SA/SS“ einzuhalten. Ihre Kombination aus radikaler Provokation und Affront wurde unterschiedlich gewürdigt, meist gab es Ärger. Aber Stress mit Polizisten, Straßenschlachten und Konzerte, die vom Bierdosenhagel unterbrochen wurden – da gab es wirklich Unangenehmeres: „Oft kam es schon kurz nach Konzertbeginn zu üblen Schlägereien im Publikum, und manchmal hat Dirk (Gesang) sich auch eingemischt, dann mussten wir hinterher“, erinnert sich Christian Mevs (Gitarre). Spätestens nach ihrem zweiten Album (Yankees Raus) wurde die wachsende Popularität der Band für einige ihrer Anhänger unerträglich. Insbesondere Teile der autonomen Linken, mit der Punk hierzulande gekoppelt war wie nirgendwo anders, meldeten Ansprüche an. Einfach gesagt: Plötzlich wollten alle ein bisschen Slime sein. Dass Elf Joe Strummers Mikro geklaut hatte, war in Ordnung. Dass Slime hingegen mit zig anderen Bands für fünf Mark spielte – eine Frechheit! „Ausverkauf!“, brüllten die Kritiker und meinten es auch noch ernst. Elf: „Das Übelste war, als uns auf einer Tour 1982 eine Gang von Rockern und einige mit denen verbündete Punks inklusive des Veranstalters nach einem Konzert in Dachau aufs Maul hauen wollten, weil wir in deren Augen eine ‚Kommerzband‘ waren. Allerdings haben wir (…) uns nicht lumpen lassen und uns entsprechend verteidigt, so dass diese dritte Halbzeit unentschieden ausging.“
Sollte Slime nur den Eingeweihten gehören? Sollte man sich einverleiben lassen, um einzig der Rolle eines Sprachrohrs zu genügen? Aber aus Reibung und Konflikten entsteht bekanntlich wahre Größe. Die Antwort von Slime hieß Alle gegen alle: Das Album wurde zur frustriertesten, zornigsten und wütendsten, also zur bis dato besten Platte der Band. Von Katharsis und Auflösung der Widersprüche zwischen Slimes Punkentwurf und der Summe aller an sie herangetragenen Erwartungen konnte jedoch keine Rede sein. Ein offizielles Abschiedskonzert folgte am 21. Januar 1984 in den Berliner Pankehallen, Prügeleien inklusive.
Die Zeiten waren trist. Helmut Kohls Bauch wuchs unaufhaltsam. Kurioserweise vergrößerte sich parallel auch die Fangemeinde der Band Slime. Zwar gehörte zum Common Sense, dass Punk keine Idole erlaubte, „No More Heroes“ von den Stranglers war Programm. Die nachkommende Generation hatte aber Distanz zu den Ursprüngen der Subkultur. Wir fragten uns damals ernsthaft vor allem eines: Wie konnte man nur so dermaßen coole Texte schreiben? Bei Slime bekam der Staat, diese allgegenwärtige, einengende Vollzugsanstalt – so dachten viele – angemessen sein Fett weg! Slime brauchte man nicht zu rechtfertigen, sie selbst waren das beste Argument. Keine Diskussion, sondern Ansagen! Und so wurde Dirk „Dicken“ unser Marlon Brando des Punk. Wir waren uns sicher: Diese Band hatte die Sicht auf die Dinge für immer verändert. Zum Beispiel sah der örtliche Aldi-Markt plötzlich ganz anders aus. Ein Slime-Zitat: „Ich glaube eher an die Unschult einer Hure, als an die Gerechtigkeit der deutschen Justitz“, stand in großen Lettern an der Fassade, inklusive Rechtschreibfehlern. Die Lokalpresse schob es den Rechten in die Schuhe, deren Organisationen und Verbrechen in der zweiten Hälfte der 80er zahlenmäßig zunahmen. Tatsächlich war diese Zuschreibung so hanebüchen nicht. Denn der archaischen, stumpfen Gewalt im Sound und der eindimensionalen Parolenhaftigkeit der Texte fehlte es offensichtlich an Trennschärfe nach rechts: Neo-Nazis entdeckten Songs wie „Linke Spießer“ für sich; „Yankees raus“ war mit der antiamerikanischen Stoßrichtung rechter Ideologen bestens vermittelbar; „Bullenschweine“ und „A.C.A.B.“ – die Polizei war bei Rechtsextremen ebenso unbeliebt wie bei den Linken. Wieder einmal zerrte man also von allen Seiten, die Band blieb im Gespräch.
Wahrscheinlich löste ihre offizielle Reunion 1991 deshalb bei keinem größeres Erstaunen aus. Waren die überhaupt richtig weg gewesen? Dieses Gefühl verstärkte sich noch dadurch, dass Slime einsetzten, wo sie aufgehört hatten: Sie kommentierten ungebrochen das Zeitgeschehen und verarbeiteten in ihren Werken das gesellschaftliche Klima. Das Album Viva la Muerte (1992) war als Selbstfindungswerk unentschlossen, die an Paul Celans „Todesfuge“ angelehnte Single „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ dagegen als deutliche Reaktion auf die Ausschreitungen in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen zu verstehen. Im Jahr des Mordanschlags von Solingen (1993) wird Slime auf der größten Tour der Bandgeschichte ihr kultureller Einfluss erneut deutlich. Fans betonen den immensen Einfluss der ersten Slime-Alben auf ihre eigene musikalische Sozialisation. 1994 wird Schweineherbst veröffentlicht, die Band tourt, ist erfolgreich – und tritt kurz darauf aus Angst ab, zur „Rockinstitution“ zu werden.
Und plötzlich stehen sie wieder auf der Bühne. „Reunion“ heißt es ganz offiziell, das Wort für oftmals unwürdige Versuche Ewiggestriger, einen alten Geist zu beschwören. Wollen uns Slime eine Punklektion erteilen, sich selbst demontieren und den unliebsamen Kult-Status eigenhändig zertrümmern? Oder hat die Band etwa erkannt, dass sich klar identifizierbare Gesten heutzutage besser denn je verkaufen?
„Wenn man, wie ich, seit 1979 Punkrock und Rock’n’Roll … gespielt hat, kann man eigentlich gar nicht anders, als das immer weiter fortzusetzen. Das ist fast wie eine Sucht“, sagt Elf. Christian Mevs hingegen sucht nach einer Erklärung des Slime-Phänomens, spricht von Respekt dem eigenen Werk gegenüber und beschreibt damit kritische Distanz. Nicht in Bezug auf politische Inhalte wohlgemerkt, denn grundsätzlich habe sich nichts geändert. Also doch überkommene Gesten und reines Rebellionsgedenken? „Einige Songs haben schon an Aktualität eingebüßt, wie z. B. der Song ‚Karlsquell‘. Dieses wunderbare Dosenbier gibt es ja leider nicht mehr!“, sagt Elf scherzhaft. Wie aktuell Slime wirklich sind, darüber wird nicht zuletzt ihre Herbst-Tour entscheiden. Unzählige werden kommen, um sich zu vergewissern, ob Slime sich treu geblieben sind. Als linke Institution und verlässliche Punk-Band für die Einen – als gewaltiges Monster aus Politik und Bier für die Anderen. So oder so, auch 2011 wird irgendein Lautsprecherwagen auf irgendeiner Demonstration ihre Songs spielen.
www.slime.de
Die Geschichte von SLIME
Gründung 1979. Erste Single 1980: „Bullenschweine“.
SLIME I, die erste LP, erscheint 1981. Songs wie „A.C.A.B.“ und vor allem „Deutschland“ laufen auf vielen militanten Demos.
Das Album YANKEES RAUS kommt 1982. Die erste LP wird konfisziert. „Deutschland“, „Bullenschweine“ und „Polizei SA/SS“ werden mit Pieptönen überlegt und dürfen in den Originalversionen nicht mehr live gespielt werden.
Es folgen diverse Alben, Auflösungen und Reunions
2010 spielen Slime u. a. hier: 14. August: „Umsonst und draußen“ in Stemwede ( www.jfk-stemwede.de/festival); 15. August: „Dockville“ in Hamburg( www.dockville.de); 4. September: „Spirit from the Street“ bei Halle ( www.spirit-festival.com)