Ein gelassener Rebell


Biblischer Zorn und Lebensweisheit: Hans Söllner spricht die Sprache des Volkes und der Seele.

Radiosender setzen seine Songs auf den Index, Feuilletons interessieren sich bestenfalls für seine Beleidigungsprozesse, die Musikblätter der städtischen Intelligenz meiden ihn wie einen peinlichen Landbruder. Hans Söllner macht es seinem Publikum nicht leicht. Dennoch sind die Konzerte des bayerischen Liedermachers meist Wochen im voraus ausverkauft, setzt der „wuide Hund aus Reichenhall“ allein durch Mundpropaganda von einer Platte bis zu 100.000 Stück ab. Liegt das wirklich nur daran, dass seine urkomische Sponti-Show oft nahtlos in handfeste Politikerbeschimpfungen übergeht? Oder reicht die Botschaft des drahtigen Mannes mit Stoppelbart und Rasta-Frisur doch viel weiter als bis zum anarchistisch gefärbten Stammtisch-Gespräch?

Wenn Sollner sich in Jeans und mit einem nachlässig um den Haarschopf geschlungenen Palästinensertuch zum Gespräch in den Räumen seiner Münchner Plattenfirma Trikont einfindet, dauert es nicht lange, bis er sich warmgeredet hat und in das für ihn typische Wechselbad von alttestamentarischem Zorn und anrührend direkter Lebensweisheit eintaucht. Vor der Zimmertür schläft die zweijährige Josefina Marie im Kinderwagen – jüngster Sproß nach drei zehn, 14 und 16 Jahre alten Söhnen. „Joselina Marie bleib noch ein wenig in meim Kopf lass mich träumen von dir/Josefina Marie/ und lach später mal ned über mi“. singt er ihr auf dem neuen Album OIWEI I ein zärtliches Wiegenlied. Söllner bekennt sich dazu, ein Familienmensch zu sein: Ermahnungen, keine Gewalt gegen Kinderanzuwenden, gehören genauso zu seinem Repertoire wie die Einladung an den bayerischen „Krautmo „, Rausch und nächtliche Welt-Offenbarung zu teilen. Nicht selten wird dem 48jährigen sein kindlich-trotziger Gerechtigkeitssinn zur Fußangel, wenn er sich einer Sache annimmt, die kein Zurück duldet:“.Ajeda mechat gern sei Ruah haben “ – wenn die Obrigkeit nur mitspielen würde. Schließlich kann man ihm jede Menge Bodenständigkeit und ein Gefühl für die Sprache der kleinen Leute attestieren. Aber er ist kein Populist. Seine Lebensart und seine Songs predigen das Evangelium der Unangepassten, von der urbanen Schickeria Geschnittenen, Er verkörpert für den deutschsprachigen Süden etwa das, was Willie Nelson für den US-amerikanischen ist: ein langhaariger Kiffer mit Sinn für die Metaphysik der Underdogs.

Sollner WUChS alS „Glasscherbenhäusler“ in ärmlichen Verhältnissen auf. Der Bauarbeitersohn aus Weißbach bei Berchtesgaden schuhplattelte im örtlichen Trachtenverein, ging sonntags mit den Eltern in die Kirche. Nach der Volksschule absolviert er eine Lehre als Koch, lernt später auch noch Automechaniker. Auffällig wird er erst, als der glühende Dylan-Verehrer während der Berufsschulzeit in der Liederbühne Robinson für 40 Mark pro Abend selbstverfasste Lieder vorträgt. Im Dunstkreis der Münchner Hausbesetzerszene stößt deren anarchistischer Ton auf offene Ohren. Doch die Weißenbacher Heimat lässt den „verlorenen Sohn“ nicht los. Mehr noch als das, was Söllner sagt, zählt, wie er es sagt. Sein Sprachrhythmus, seine Lebensauffassung schöpfen tief aus der Gesprächs- und Streitkultur heimischer Wirtshäuser. Seine als Literatur oft banal wirkenden Texte packen den Hörer, zersetzen die Bewusstlosigkeit des Alltags, untergraben automatisiertes Obrigkeitsdenken, entlarven Politikergeschwätz. Auch den penetranten Mitklatscher fährt er gnadenlos an: „Bist du der Einheizer vom Moik?“

Doch nicht immer braucht Söllner harte Worte. Manchmal schwingt valentineske Komik mit, wenn er etwa sagt: „Ich vermittle den Leuten, dass du auch als Depp was sein kannst.“ Und dann stellt der Sänger eine untergründige Zärtlichkeit zur Schau, die Liebe einfordert – als gesellschaftliches Versprechen: „Er hat versucht, was zu erzähl’n/in seiner eigenen Sprach ‚/seinen Glauben hat er uns erklärt/ keiner hat ihm was glaubt/für ihn war Freiheit mehr/als bloß hingehen wo er mag/da bleiben wo er is, hätt ihm g’reicht jeden Tag …“ Zeilen aus dem neuen Song „A Drecksau is a Drecksau“, die von einem Asylanten oder Dissidenten handeln können oder von Söllners eigener Erfahrung: Erwarte eh jeden Tag nur drauf, dass die Polizei mal wieder sein Haus durchsucht, wegen angeblicher Cannabis-Pflanzen.

Die letzten ZWei Jahre habe er ein tiefes Tal durchschritten: Ein Kemptener Staatsanwalt hat ihm wegen eines alten Songs, in dem er Bayerns Innenminister Beckstein in einer Zeile mit Haider, Himmler und Hitler nannte, ein Strafverfahren um eine sechsstellige Summe angehängt. „Die wollen meine Existenz vernichten.“ Klar, sie gehört zu Söllners Person: die Einseitigkeit, die Polemik, die ordinäre Sprache. Aber sind seine Songs deswegen grobschlächtige Binsenweisheiten? Wer so fragt, hört nicht „das feine Singen der Axt“.

Inzwischen hat Hans Söllner aufgehört, in seinen Konzerten Namen zu nennen. Es war einfach zu teuer. Vor allem aber hat er viel mehr zu geben als nur die immergleiche Passionsgeschichte vom Rebellen kontra die Staatsgewalt. Ergreifend unsentimental adressiert er etwa einen seiner aktuellen Songs an einen verstorbenen Freund die eigene Trauer, Sehnsucht und Ohnmacht. Niemand kann von den letzten Dingen so reden wie er. Niemand anderem würde man es abnehmen, wenn er auf der Bühne den „lieben Gott“ duzt. Mit Bob Marley und dem Rasta-Glauben hat der rebellische Reichenhaller eine Blaupause für die gelungene Verbindung von Widerstand und Spiritualität entdeckt. So kann Hans Söllner, der täglich in der Bibel liest, heute von einer neuen Gelassenheit singen.-„Wir wissen, dass’s die Wahrheit ist/ wir wissen net, wer’s verträgt/… ihr waschts mir ned mit eurerm Ariel/meine schwarze Seele rein.“