Eight Miles High Summer Of Love


1967 Flowerpower, LSD und Sgt. Pepper veränderten vor 30 Jahren eine ganze Generation. Mit Blumen im Haar und Liebe im Herzen träumten die Hippies den schönen Traum von Love & Peace. Bis zum Ausverkauf ihrer ganzen Kultur.

Beseelt vom Gedanken an die Macht der Liebe begehrte die Jugend im Sommer 1967 auf. Ihr Motto: „Make love not war“. Zusammen mit den Haaren wuchs in Amerika auch der Wider stand gegen den Mief der reaktionären Eisenhower-Ära. Der kurz zuvor gefeuerte Harvard-Professor Timothy Leary gab mit seinem Slogan „Turn on, tune in, drop out“ das Startsignal zur Reise in die angeblich bewußtseinserweiternde Welt der Drogen. Und die Beatles katapultierten die Popmusik mit ihrem „Sgt. Pepper“-Album in bis dahin ungeahnte Höhen. Zu all dem sang Bob Dylan „The Times They Are A-Changing“. Und genau danach sah es überall aus — in New York und inSwinging London, in Berlin und Paris, vor allem aber in der US-Westküstenmetropole San Francisco.

Die Stadt am Golden Gate hatte im Sommer 1967 London als unumstrittene Wetthauptstadt des Pop abgelöst. Zwar ging es an der Themse weder brav noch langweilig zu. Neue Bands wie Pink Floyd,Cream,Trafficund diejimi Hendrix Experience sorgten für Furore. Und ein vergleichsweise angepaßter Zeitgenosse wie Paul McCartney gab öf-I fentlich zu, LSD geschluckt zu haben. Die Herren Jagger und Richards mußten sich gar vor Gericht verantworten. Trotzdem war es die US-Szene mit dem dichtenden Musiker Bob Dylan, mit den Beach Boys und den Byrds, die es geschafft hatte, sich an die Spitze der aufbegehrenden Jugendbewegung zu setzen. In San Francisco komprimierte sich diese Entwicklung zu einer einzigartigen Szene, die derart ungestört wohl nur in der von den Metropolen New York und Los Angeles isolierten Bay Area gedeihen konnte.

Schon zu Beginn der 60er Jahre entwickelte sich die Gegend um die Haight Street, nur wenige Blocks vom Golden Gate Park entfernt, zum absoluten In-Viertel. In der leicht heruntergekommenen, von einem bunten Völkergemisch bewohnten Gegend konnte man mit ein bißchen Glück eine alte viktorianische Villa mit 15 Zimmern und großem Grundstück für 175 Dollar im Monat mieten. Kein Wunder also, daß sich dort immer mehr Studenten der nahegelegenen Universität ansiedelten. Und diese jungen Leute suchten nach einem Lebensentwurf, der anders war als der, den ihre Eltern für sie vorgesehen hatten. Grace Slick, Sängerin der Frisco-Band Jefferson Airplane, erinnert sich: „Unsere Eltern hatten uns immer wieder erzählt, was wir zu tun hatten — ‚Du wirst einen Anwalt heiraText: Ernst Hofacker ten, dann kannst du dir zwei Autos leisten‘. Aber wir hatten das College besucht, hatten all die Bücher gelesen, aus denen wir erfuhren, welche Möglichkeiten das Leben sonst noch zu bieten hat. Was unsere Eltern für wunderbar hielten, fanden wir schlicht und ergreifend langweilig. Im Grunde bestanden die 6oer jähre aus einem Haufen Kids mit College-Bildung, die gesagt haben ‚Wir sehen das ganz anders‘.“

Dabei spielten Drogen eine wichtige Rolle. Grace Slick sang denn auch in ihrem Welthit „White Rabbit“ die folgenden Zeilen: „One pill makes you (arger, one pill makes you small, and the ones that mother gives you don’t do anything at all.“ Was immer man von derlei Dichtung halten mochte: Im Haight Ashbury-Distrikt jedenfalls entstand eine hyperaktive Untergrundszene. Theatergruppen führten experimentelle und zeitkritische Stücke auf. Dazu spielten lokale Bands, die sich um die eisernen Gesetze des Marktes ebensowenig scherten wie um die obligatorische Mitgliedschaft in der Musikergewerkschaft. Abgedrehte Dichter gesellten sich zu Park-Parties und hielten ihre Lesungen. Diese Szenerie hatte sich seit Ende 1965 zu einer Art Dauer-Happening entwickelt. Jeder war auf irgendeinem Trip. Und viele gar im wahrsten Sinne des Wortes. Ein gewisser Augustus Stanley Owsley III. versorgte die Gegend mit einem synthetisch hergestellten Halluzinogen, das sich LSD nannte. Die Droge wurde zum festen Bestandteil der Szene. Bei sogenannten „Acid Test“-Parties formierten sich die unterschiedlichsten Gruppierungen. Zu den Einflußreichsten unter ihnen gehörten Ken Kesey und seine Merry Pranksters, The Family Dog und vor allem die Charlatans. Der Gruppe um oc. -_¿ gendären Ober-Charlatan George Hunter ging es weniger um die Musik als um Stil, Image und Design. Ihre Platten waren zwar wenig originell, ihre Konzerte jedoch wurden schnell zur lokalen Attraktion. Die Charlatans waren die ersten echten Stars der jungen Szene.

Zu einer Schlüsselfigur wurde auch der Manager der Theatergruppe Mime Troupe, Bill Graham. Er hatte mit dem Lebensstil der Hippies zwar nichts am Hut, entdeckte aber als erster, daß sich hier für einen gewieften Geschäftsmann eine Menge Möglichkeiten zum Geldmachen auftaten. Also pachtete Graham das Fillmore und ließ die besten Bands der Stadt, die bis dahin meistens umsonst aufgetreten waren, dort spielen – gegen Eintritt, versteht sich. Binnen kurzer Zeit wurde das Fillmore zum musikalischen Mekka und Graham zum wichtigsten Macher der Frisco-Szene. Sein einziger Konkurrent war Chet Helms, der den Avalon Ballroom betrieb und 1966 die texanische Bluessängerin )anis Joplin in die von ihm gemanagte Gruppe Big Brother & The Holding Company holte.

Das ehemals ruhige Haight Asbury hatte sich zur Jahreswende 1966/1967 in einen subkulturellen Ameisenhaufen verwandelt. Als Höhepunkt der Bewegung gilt noch heute das „Human Be In“ vom 14. Januar 1967 auf dem Polofeld des Golden Gate Park. Dort traten neben den wichtigsten Gruppen der Stadt auch die Dichter Allen Ginsberg, Doug McCIure, üer LSD-Prophet Timothy Leary undderYippie-Aktivist Jerry Rubin auf. Der Untertitel des Spektakels, „A Gathering Of Tribes“, sagt viel über das Selbstverständnis der Hippies aus: Die Idee der Stammesgesellschaft fungierte als Klammer für die Vielfalt der subkulturellen Blüten – egal ob die Blumenkinder nun poltischen Protestlern, fernöstlichen Religionen, avantgardistischen Künstlerkreisen oder sonstweichen obskuren Gruppierungen anhingen, sie alle begriffen sich als Teil einer gemeinsamen Gegenkultur.

Die Weichen zum Niedergang von Haight Ashbury waren indes längst gestellt. Bill Graham, ein Mann, der sich seine ersten Sporen in der harten Geschäftswelt der Ostküste verdient hatte, war mit dem Fillmore auf eine Goldader gestoßen – und mit seinem umtriebigen Propheten hielt der Gott des Mammon Einzug in das bis dahin unschuldige Hippie-Idyll. Für die ersten enthusiastischen Pressekritiken sorgte indes der Jazz-Kritiker des „San Francisco Chronide“, Ralph J.Gleason, der Ende 1967 das US-Magazin „Rolling Stone“ gründete. Je mehr sich das Love & Peace-Phänomen herumsprach, desto stärker machte sich bei der kleinen Avantgarde, die alles angezettelt hatte, Katerstimmung breit. Jerry Garcia, der 1995 verstorbene Grateful Dead-Gründer, ereiferte sich noch Jahre später: „Diese Mediengeschichte von den unschuldigen Hippie-Blumenkindern war doch ein Witz. Alle Welt wußte doch, was da los war. So unschuldig war das gar nicht. Die Cops, die Politiker und der ganze Rest der Welt sind kein Stück von ihren eingefahrenen Bahnen abgewichen. Immerhin war Bill Graham ein fairer Geschäftsmann.“ Garcias englischer Kollege, der Who-Kopf Pete Townshend, sieht die Sache im nachhinein versöhnlicher: „Es gab jede Menge Heuchelei. Trotzdem war diese Zeit sehr wichtig, weil sie sich in gewisser Weise gegen das Leistungsprinzip gewendet hat. Das hat eine ganze Generation verändert.“

Der Summer of Love war eigentlich schon vorbei, bevor er kalendarisch über haupt angefangen hatte. Auch wenn die Beatles mit Blumen im Haar in einem Londoner Fernsehstudio in der ersten weltweit über Satellit ausgestrahlten TV-Sendung „All You Need Is Love“ verkündeten – aus dem schönen Traum war für viele längst ein böser Alptraum geworden. Denn in Vietnam setzten US-Militärs Napalm gegen die Zivilbevölkerung ein. Und die Jugend der westlichen Welt machte mit wütenden Massendemonstrationen gegen diesen Krieg mobil.

Selbst unter dem allgegenwärtigen Peace-Zeichen wurde nicht nur geliebt. So hauste im Haight, 636 Cole Street, ein kleinwüchsiger, dämonischer Hippie mit Knastvergangenheit, der naive Blumenkinder um sich sammelte, sie zu willfährigen Werkzeugen seiner kruden Allmachtsphantasien machte und 1968 als brutales Mordkommando in ein Villenviertel von Beverly Hills schickte. Der Mann hieß Charles Manson, und das prominenteste Opfer seines blutigen Gemetzels wurde die hochschwangere Filmschauspielerin Sharon Täte. Manson rechtfertigte die abscheulichen Ritualmorde später mit geheimen Botschaften, die ihm angeblich durch den Beatles-Song „Heiter Skelter“ übermittelt worden seien. Aufbruchstimmung und Euphorie hatten sich dagegen im Sommer ’67 bei den Managern der amerikanischen Popindustrie breitgemacht. Die Plattenbosse hatten die beiden besten San Francisco-Bands, Grateful Dead und Jefferson Airplane, zwar schon 1966 unter Vertrag genommen. Nun aber, nach den ersten Hits dieser Bands, stürzten sie sich mit Heißhunger auf das musikalische Phänomen des „San Francisco Sound“, den sie fortan als Soundtrack zum Summer of Love anpriesen. Die erfolgversprechendsten der rund 500 aktiven Bay Area-Bands wurden kurzerhand unter Vertrag genommen. Einige von ihnen, etwa Big Brother And The Holding Company mit Janis Joplin, Quicksilver Messenger Service, Country Joe & The Fish und Steve Miller, brachten es denn auch zu Ruhm und Ehre. Andere erwiesen sich als kommerzielle Fehlschläge. Und eine der besten Bands dieser Zeit, Moby Grape, wurde zum ersten Hype-Opfer der Plattenindustrie. Columbia wollte die Band zur Supergroup aufbauen, schürte unrealistische Erwartungen und veröffentlichte gleichzeitig fünf (!) Singles der Newcomer-Truppe. Trotz ihrer künstlerischen Substanz scheiterten Moby Grape zwangsläufig an den viel zu hoch gesteckten Erwartungen. Im Grunde war der vollmundig gerühmte „San Francisco Sound“ ohnehin ein Witz, zu verschieden waren die stilistischen Bezugspunkte der Bay Area-Musiker. Sie reichten von den Blues- und Folkwurzeln eines Country Joe McDonald, der im Frühling ’67 gerade seine Liaison mit Janis Joptin beendet hatte, bis zum durchkomponierten Rock von Moby Grape. In keine der gängigen Schubladen paßten auch die unberechenbaren Endlos-Jams der siebenköpfigen Grateful Dead-Kommune, die zu Beginn ihrer Auftritte allein eine halbe Stunde auf das Stimmen der Instrumente verwendete. Wenn es in der damaligen Musikszene überhaupt eine Gemeinsamkeit gab, dann die, daß fast alle Gitarristen eine Vorliebe für heftige Feedbackorgien entwickelten, und daß bei den Konzerten erstmals psychedelische Diaprojektionen eingesetzt wurden.

Einigen Frisco-Musikern brachte der Summer of Love Glück, sie starteten damals ihre Weltkarriere. Der Stand der Dinge im Haight war unterdessen ernüchternd. Ganze Busladungen jugendlicher Touristen fielen dort ein, steckten sich Blumen in die Haare, einen Joint zwischen die Zähne und hielten solches Tun für revolutionär. Ein Reiseveranstalter richtete gar eine Stadtrundfahrt für Flower Power-Touristen ein – der „Hippie Hop“-Bus machte Station am „Psychedelic Shop“, am Grateful Dead-Haus und an der „Pall Mall Lounge“-Bar, wo man für 25 Cent einen „Love Burger“ kaufen konnte. Die überall angebotenen Drogen waren mit dubiosen Zutaten durchsetzt und zu allem Überfluß auch noch überteuert. Als am 7. August George Harrison nebst Gemahlin Patti zur Kurzvisite im Haight aufkreuzte, war von dem einst so lebensfrohen Hippie-Quartier nur noch ein verdrecktes Stadtviertel mit ausjl gebrannten Drogenwracks und brutalen Straßenräubern übriggeblieben. Der Schriftsteller Ed Sanders verglich das damalige Haight mit einem „von pummeligen weißen Kaninchen bevölkerten Tal, das von verwundeten Koyoten umzingelt war.“ Die dort herumlungernden, LSD schluckenden Drop Outs waren denn auch leichte Beute für Figuren vom Schlage eines Charles Manson. Die echten Hippies dagegen hatten sich längst aufs Land verzogen, wo sie ungestört vom Pop-Tourismus neue Lebensformen ausprobieren wollten.

Trotzdem kam es pünktlich zum Sommerbeginn zum größten Ereignis, das die Szene bis dahin erlebt hatte. Vom 16. bis zum 18. Juni 1967 trafen sich rund 50.000 Menschen auf dem Monterey County Fairground, 100 Meilen südlich von San Francisco. Dort spielten beim ersten großen Festival der Rockgeschichte unter anderem Jimi Hendrix, Otis Redding, The Who, Jefferson Airplane, Ravi Shankar, die Byrds und Big Brother and the Holding Company mit Janis Joplin. Ein Augenzeuge, der Schauspieler Dennis Hopper, schwärmt noch heute: „Wunderschöne Stimmung, phantastische Musik. Für mich war es der reinste und schönste Moment dieses ganzen Sixties-Trips.“ Clive Davis, Manager von Columbia Records, stellte unter dem Eindruck der Ereignisse das Programm seiner Firma auf Rock um und konnte so seinen Umsatz in kürzester Zeit verdoppeln. Der Profit der Monterey-Macher, immerhin die damals astronomische Summe von 430.000 Dollar (das Geld floß in verschiedene caritative Projekte), signalisierte das noch ungenutzte Potential des Rockmarktes – Monterey wurde zum Vorgeschmack auf das, was zwei Jahre später in Woodstock folgen sollte. Letztlich also war Monterey die Initialzündung für das Multi-Millionengeschäft mit der Rockmusik.

Als Jimi Hendrix bei diesem Festival seine Gitarre in Flammen aufgehen ließ, war der kommerzielle Ausverkauf der Hippie-Kultur längst in vollem Gang. Nun steckten sich sogar brave Bundesbürger Blumen ins Haar. Und am 7. Oktober 1967 verdrängte der Folksänger Scott McKenzie mit seiner süßlichen Hymne auf San Francisco Peter Alexander vom ersten Platz der deutschen Hitparade. Einen Tag zuvor hatten die letzten Hippies von Haight Ashbury bei einer symbolischen Prozession einen Pappsarg durch die Straßen ihres einst so lebendigen Viertels getragen. Aufschrift: „Hippie, loyaler Sohn der Medien“.